zurück 19.4.1883, Donnerstag ID: 188304195

Artikel Theodor Helms (»Musikbrief Wien«) über die 6. Symphonie im Musikalischen Wochenblatt Nr. 17 auf S. 216f:
»               Wien.
          (Fortsetzung.)
     Wenden wir uns nun wieder der Concertsaison zu [... Kritik an der Bequemlichkeit der Philharmoniker, überwiegend Abgespieltes zu bringen ...]
     Relativ am meisten Interesse erweckten zwei Sätze einer neuen Symphonie unseres abenteuerlich-genialen Anton Bruckner, die ersten, welche überhaupt in diese Concerte Eingang fanden; es mit einer ganzen Symphonie des unzweifelhaft hochbegabten und dabei vaterländischen Autors zu wagen, konnten sich die Philharmoniker nicht entschliessen. [... bedauert das Fehlen des 1. Satzes, der schon in der 3. Symphonie und der »Esdur-Symphonie No. 5« [4. Symphonie] der stärkste gewesen sei ... die Einzelsätze verraten großes Talent ... das Adagio erinnere an »Tristan«, »Siegfried-Idyll« und die »Quartettcantilene des letzten Beethoven« ... das Scherzo an die schmiedenden Zwerge im »Rheingold«, den »Walkürenritt« und Beethovens Neunte ...] Hr. Bruckner hat aber diesmal die fremden Elemente gar zu unverändert und unvermittelt aneinander gereiht, gleichsam einen grellen Contrast auf den anderen gethürmt, sodass der Eindruck - bei erstmaligem Hören wenigstens - mehr ein barocker, als ein poetischer genannt werden musste. Auf Andere mag vielleicht das Stück anders gewirkt haben, da einige Partien darin von einem wahrhaft dramatischen Feuer belebt sind - freilich durch unerklärliche Stockungen, Kunst- (oder Verlegenheits-?)Pausen unterbrochen, die beinahe in keinem Bruckner'schen Tonsatze fehlen. Offen gestanden, würde man durch Vorführung entweder einer ganzen früheren Symphonie oder mindestens einzelner Sätze aus diesen vom Philharmonischen Comité so perhorrescirten Werken dem Componisten einen besseren Dienst erwiesen haben, als mit der Sonderaufführung jenes wunderlichen Scherzos und selbst des so viel gehaltvolleren Adagios, indem beide Stücke doch nicht des Künstlers volles Können widerspiegeln. Der äussere Erfolg war übrigens dem neuen Adagio entschieden günstig, das Scherzo, obgleich von den intimen Freunden des gewiss hochverdienten Autors noch rauschender applaudirt, schien das Gros der Philharmonischen Hörerschaft eher zu befremden, wenn nicht gar - aber nicht im Sinne des Componisten - zu belustigen.
(Fortsetzung folgt.) [Signatur am 13.9.1883 (!)] Dr. Th. Helm


Zitierhinweis:

Franz Scheder, Anton Bruckner Chronologie Datenbank, Eintrag Nr.: 188304195, URL: www.bruckner-online.at/ABCD-188304195
letzte Änderung: Feb 02, 2023, 11:11