zurück 4.7.1883, Mittwoch ID: 188307045

Die Linzer Tagespost Nr. 150 bringt auf S. 3 die Kritik der Wiener Allgemeinen Zeitung vom 29.6.1883 zur Aufführung der f-Moll-Messe am 24.6.1883:
           »Linz, 3. Juli 1883.
    § Die Bruckner'sche Messe. Ueber das bekannte Werk unseres berühmten Landsmannes, des Hof=Organisten A. Bruckner's Messe in F, welche am Sonntag den 24. Juni von der Hofkapelle unter der Leitung des Komponisten aufgeführt wurde, schreibt die „Wiener Allgemeine Zeitung”: Mehr als je hatte man heute den Eindruck eines ungewöhnlichen, ja sagen wir es gleich mit dem rechten Worte, eines zweifellos genialen Werkes. Diese Messe gehört zu dem Besten, das Bruckner geschaffen; sie ist mit einem Verständniß für Polyphonie, mit einer unerschöpflichen Phantasie und mit einer Beherrschung der Instrumentation geschrieben, wie sie nur die größten Meister besaßen. Dazu die bunte, oft überraschende Mannigfaltigkeit, und das Alles wie bei einem großen Maler in der interessantesten Vertheilung von starken und abgedämpften Farbentönen, in der Vertheilung von heller intensiver Beleuchtung und traulichem Dämmerschein und Halbdunkel. Und welches Gemisch der lieblichsten, reizenden, machtvollen und überwältigenden Tonwirkungen! Ich habe es schon einmal geäußert, Bruckner's Werk ist ein großartiges religiöses Musikdrama von hinreißender Kraft und Herzinnigkeit. Wie Mancher schüttelt stets das weise Haupt über das „Unbegreifliche”, das da „Ereigniß” geworden, und versteht nicht, wie man so etwas aufführen könne. Gewiß aber wird die Musikgeschichte in späteren Tagen neben anderen glänzenden Verdiensten Herbeck's und Hellmesberger's auch dieses mit Fug und Recht rühmen, daß sie dem größten der jetzt lebenden Komponisten Oesterreichs die Aufführung seiner Messen in der Hofkapelle ermöglichten. Denn nur die Hofkapelle kann in solcher Vollendung aufführen. Ich widerrufe meinen vor einem Jahre etwa geäußerten Satz, daß diese Messe in den Konzertsaal gehöre und thue Buße für ihn. Denn dieses Werk soll und wird doch am meisten in der Kirche wirken, niemals aber - das steht mir fest - können Damen die unendlichen Schwierigkeiten so bemeistern und die kindliche Naivetät mancher Stellen so rührend wiedergeben, wie unsere Prachtjungen dies thaten. Jeder Kenner wird sagen müssen, daß es wohl Weniges gibt, das sich an Lieblichkeit und Größe neben das Qui tollis stellen kann. Und wie wurde dies gesungen! Die schwierigste Partie hatten jedenfalls die fünf Soprane, aber auch der Altsolist hat eine ungemein gefährliche und anstrengende Partie. Das Großartigste, die Krone der Messe, ist doch das Credo. In zartester Feinheit wird das Incarnatus behandelt, Passus und Crucifixus est werden ebenso edel und wirksam zum Ausdruck gebracht, aber das Resurrexit überbietet Alles in dieser Messe an kolossaler Kraft und niederwerfender Wucht des Eindrucks. Ich habe einmal an Führich's Auferstehungsbild als malerisches Analogon erinnert; heute hat mich dieses Gewühl von erschütternden Tönen, in denen sich die Vorstellung der allgemeinen Auferstehung der Todten in niederzwingender Größe entwickelt, mit tiefer Rührung erfüllt. Wohl, hätte Bruckner nichts als dieses Resurrexit geschrieben, sein Name würde dauern für alle Zeiten! Und wie erhaben hat der Komponist den von Glaubenszuversicht zeigenden [sic] ersten Satz wieder am Schlusse hindurchgeführt! Ist das Credo das Mächtigste das Werkes, so ist das liebevoll ausgearbeitete Benedictus das Wärmste und Melodiöseste, es fluthet und wogt in ihm, und flötet und singt wie Tausende von Vogelstimmen! Nur ein Krösus von musikalischer Phantasie kann so schreiben! Das Sanctus mit seinem herzigen Hosannah darf ebenso wenig vergessen werden als das reich mit Schönheiten ausgestattete Agnus. Und hält man noch das ernste, gehaltvolle Graduale wie das herrliche Tonstück „Os justi” hinzu, so wird man sich mit der freudigen Ueberzeugung erfüllt haben: Wir besitzen an Bruckner, dem Sohne des prächtigen lieben Oberösterreich, ein Musiktalent ersten Ranges, einen Meister, dessen Größe erst die kommenden Generationen voll und ganz verstehen werden. Es sei gestattet, noch einige Worte über die Aufführung zu sagen. Sie war der Hofkapelle völlig würdig, nein, sie war so, wie sie nur die Hofkapelle zu leisten vermag. Und das will bei der großen Schwierigkeit der zu behandelnden Partien viel bedeuten.«


Zitierhinweis:

Franz Scheder, Anton Bruckner Chronologie Datenbank, Eintrag Nr.: 188307045, URL: www.bruckner-online.at/ABCD-188307045
letzte Änderung: Feb 02, 2023, 11:11