zurück 11.1.1885, Sonntag ID: 188501115

Besprechung des Quintetts in der Wiener Sonn- und Montags-Zeitung Nr. 4 auf S. 3 durch »Florestan« [= Dr. Woerz (*a)]:
                »Concerte.

    Vierzig Jahre sind verflossen, seit Felicien David [... über ein Konzert des WMGV und das 3. Gesellschaftskonzert ...]
     Es erübrigt noch, der in die letzte Woche fallenden Quartettproductionen von Radnitzky und Hellmesberger zu gedenken. Im Wesentlichen handelte es sich für uns bei Radnitzky um Labor's Quintett (mit Clavier und Contrabaß), bei Hellmesberger um das Streich=Quintett in F von Bruckner. [... über Labors Werk und seine Präsenz in der Öffentlichkeit ...] Anders liegt die Sache bei Anton Bruckner, der es längst aufgegeben hat, als Orgelvirtuose in den Concertsälen zu glänzen. [... positive Besprechung des Quintetts, Einwände gegen das Finale ...] Bruckner hatte allen Grund, sich bei Hellmesberger bestens zu bedanken; aber Hellmesberger durfte auch im Vorhinein überzeugt sein, daß die auf das Einstudieren dieses Quintetts verwendete Mühe keine verlorene ist. Es fehlte nicht viel, und die Beiden wären sich coram publico in den Armen gelegen. Die Dankesbezeigungen waren übrigens auch ohnedieß dramatisch genug.

    Schließlich wollen wir auch noch dem Bedauern Ausdruck geben, daß uns ein Gastspiel im Operntheater verhinderte, den ersten Liederabend Gust. Walter's mitzugenießen. Hoffentlich werden wir am zweiten und dritten Abende glücklicher sein.    Florestan.« (*).

(**) Artikel im Alpenboten Nr. 3 auf S. 3 über die Aufführung der 7. Symphonie [30.12.1884], mit wörtlicher Übernahme des Artikels der Deutschen Zeitung vom 8.1.1885:
    »(Erfolg eines Oberösterreichers.) Aus Leipzig wird unterm 3. d. geschrieben: „In dem im hiesigen Stadttheater zu Gunsten der Errichtung eines Richard Wagner=Denkmal [sic] veranstalteten Concerte kam Anton Bruckner's siebente Symphonie zur ersten Aufführung. Dem größten Theil des Publicums war wol der Name des Wiener Componisten noch unbekannt und es schien nur zu vermuthen, daß in einem Programm, welches, der Feier entsprechend, nur die auserlesensten Nummern enthielt, auch nur ein ungewöhnliches und würdiges neues Werk habe Raum finden können. Mit deutlich wahrnehmbarer Aufmerksamkeit und wachsendem Interesse folgte es nun der Entfaltung jener großartigen und tiefernsten symphonischen Gedanken, welche dieses Werk in sich birgt. Von Satz zu Satz steigerten sich Beifallskundgebung und Enthusiasmus. Am Schlusse erschien nach langanhaltenden Rufen der Componist und wurden ihm zwei Lorbeerkränze überreicht. Capellmeister Nikisch hatte das Werk in seinen großen Zügen wahrhaft congenial erfaßt und brachte es durch sein Orchester zu überwältigendem Ausdruck. Eine Wiederholung dieser einzig dastehenden Aufführung findet schon im nächsten Monat statt”. Es ist dies gewiß ein sehr schmeichelhafter Erfolg unseres bescheidenen Landsmannes, den wir besonders als Oberösterreicher mit Freude und Stolz bezeichnen. [... zur Biographie Bruckners ... über die Zurücksetzung in Wien ...] was zum Theile auch in dem überaus bescheidenen und nichts weniger als weltläufigen Wesen unsers [sic] bedeutenden Landsmanns gelegen sein mag. Der Erfolg in der Musikstadt Leipzig wird nicht verfehlen, Bruckner auch als Componist berümht [sic!] zu machen.« (**).

(***) Von der Aufführung des Quintetts berichtet auch der Sonn- und Feiertagskurier Nr. 3 auf S. 3, signiert »H-e.«):
           » Quartett Hellmesberger.
    H-e. Ein genußreicher Abend. [... über die anderen Werke ...] Und zum Schluß eine Novität - Quintett von Bruckner. Eine durchaus interessante Composition und namentlich in den beiden Mittelsätzen von echter musikalischer Schönheit, wenn auch nicht völlig frei von gesuchten Efecten, zu denen auch der gar zu süßliche und gar zu lang ausgesponnene Schluß des Adagio zu rechnen ist. Dem letzten, etwas ruppigen Satze fehlt es an schönem Fluß sowohl als an Geschlossenheit. Der glückliche Componist dankte persönlich für den außerordentlichen Beifall und gab davon symbolisch einen Theil an die Künstler ab, die sich durch ihre vorzügliche Interpretation des neuen Werkes auch gerechten Anspruch darauf erworben hatten.« (***).

Bericht in der Wiener Sonntags-Post auf S. 2f, signiert "ahm.":
      "Musik.
[...]
    Am Tag darauf erfocht das Quartett Hellmesberger einen glänzenden Sieg im großen Musikvereinssaal. Ueber das wunderbare Zusammenspiel erfreute man sich wie immer, die Wahl des Schauplatzes muß man ebenfalls wie immer, beklagen. [... nicht ausverkauft, der kleine Saal brächte künstlerischen Gewinn ...] Zum Vortrage kam [...] schließlich ein neues Quintett von Bruckner. Nach dem spectakulösen Beifall zu schließen, mit dem jeder Satz dieses Quintetts aufgenommen wurde, muß man glauben, daß uns der neue musikalische Messias erschienen ist. Wir gönnen dem vielverdienten, tüchtigen und geschickten Musiker, der ja so manches Schöne geschaffen hat, von Herzen den großen Erfolg und bedauern nur, in den Jubel der Brucknerianer nicht so ganz von Herzen einstimmen zu können. Daß Bruckner Wagnerianer ist, weiß die ganze Welt, daß er demnach bestrebt sein wird, Wagner'sche Ausdrucksweisen, Wagner'sche Harmonisirungen und dessen Ueberschwänglichkeiten möglichst getreu zu copiren, darf nicht Wunder nehmen. Es frägt sich nur, ob der Kammermusikstyl derlei Experimente verträgt. Hier muß die Musik ihre eigenste Sprache reden und auf alle Ausdeutungen und Ergänzungen durch das Wort oder die Scene verzichten. Wo Herr Bruckner nichts sein will, als Musiker, ist er auch des Gelingens sicher, so z. B. im Adagio (wenigstens im größten Theile) und im Trio des Scherzos. In den anderen Sätzen will er zuviel geben und bleibt eben darum weit vom Ziel. Die einzelnen Abschnitte und Perioden verfließen unklar ineinander, die Themen treten nicht prägnant genug auf und die Form scheint vielfach zerstückelt und zerpflückt. Herr Bruckner ist ein hochbegabter ernst strebender Mann, das ist nicht zu leugnen, aber er ist auf falschem Wege; leider scheint er vollkommen überzeugt, daß gerade dieser Weg der richtige ist.
    [... weitere Konzerte, Liederabend Gustav Walter ...] Ungerecht wäre es, die discrete und verständnißinnige Begleitung der Lieder durch Herrn Erben, nicht mit einigen lobenden Worten zu erwähnen!               ahm." (°).

Da eine Reaktion von Brahms ausbleibt, bittet Frau von Herzogenberg in einem weiteren Brief ihn um seine Stellungnahme zu Bruckner (°°).

(5. Philharmonisches Konzert unter Hans Richter mit Werken von Cherubini, Bach und Mendelssohn (3. Sinfonie) (°°°).


Zitierhinweis:

Franz Scheder, Anton Bruckner Chronologie Datenbank, Eintrag Nr.: 188501115, URL: www.bruckner-online.at/ABCD-188501115
letzte Änderung: Feb 08, 2023, 8:08