zurück 6.2.1886, Samstag ID: 188602065

Die Wiener Allgemeine Zeitung Nr. 2134 bringt auf S. 1 - 3 (über Bruckner S. 2f) einen Bericht über die Aufführung des »Te deum« am 10.1.1886:
            »Feuilleton.
                  Concerte.
(Schütz=Jubiläum. - Te Deum von A. Bruckner. - Quartett=Soiréen und Lieder=Concerte.)
    Die Wohlthat der kleinen Concertpause, welche uns der Fasching einstweilen zu bewilligen geruht, raubt uns die Entschuldigung [... über viele Konzerte sich auszuschweigen ...] Es muß also heraus, daß die Gesellschaft der Musikfreunde in ihrem letzten Concerte statt eines Jubiläums und einer Auferstehung ein Leichenbegängniß gefeiert hat. [... ausführlich über Heinrich Schütz ...]
     Auf dieses ehrwürdige Denkmal einer uns fremd gewordenen Zeit folgte im Gesellschafts=Concert ein Werk allermodernster Frömmigkeit, welches nicht blos wegen des Sprunges über mehrere Jahrhunderte den denkbar stärksten Contrast zu der idealen Ruhe des ersteren bildete. Ein Te Deum ist freilich keine Charfreitags=Andacht, und ein Tondichter des neunzehnten Jahrhunderts darf andere Töne anschlagen, als einer des siebzehnten. Aber eine so maßlose, ungebändigte Empfindung, wie sie Anton Bruckner's religiösen Lobgesang durchbraust und durchwühlt, gehört zu den besonderen Kennzeichen der gegenwärtigen musikalischen Verwilderung. Schon technisch betrachtet, strotzt das Werk von Seltsamkeiten, kaum zu überbietenden Wagnissen und Schwierigkeiten. Es schließt mit einem hohen C der Soprane, wie es wohl kaum ein anderer, als der Wiener Singverein rein und imposant zu prästiren vermöchte. Dieses wilde C krönt einen Satz, welcher die Zuversicht auf die Ewigkeit mit dem Maurerpinsel malt, dergestalt, daß er den Sopran fünfundzwanzig Tacte lang durch alle Halbtöne vom zweigestrichenen Fis bis zum hohen B hinaufwindet! Ob solch' eine Steigerung Effect macht, lieber Leser! Ein ähnlich forcirtes Wesen herrscht in der Modulation, in der Stimmführung, in der Ausbeutung des Unisono, des Wechsels zwischen begleitetem und unbegleitetem Gesange, endlich in der Verwendung des Orchesters. Der Anfang gleicht eher einem Hohngelächter der Hölle, als einem anbetenden Hymnus der himmlischen und irdischen Heerschaaren. Die hohlbrausende Quintenfigur, welche sich von hier an durch vier Nummern des Werkes in den Streichinstrumenten charakteristisch hindurchzieht, ist so wenig religiös, so derb und unrein empfunden als möglich. Dazwischen freilich treten edlere Partien auf, die unseren warmen Antheil erregen. Für das Talent Bruckner's, wenn Jemand auf dieses Zugeständniß wartet, zeugt gerade sein Te Deum unzweifelhaft und stärker vielleicht als sein durch Hellmesberger wiederholt aufgeführtes Quintett. Handelte es sich um das Werk eines unreifen Jünglings, so könnte jenes leicht noch mehr zu loben als zu warnen geben. Als Erzeugniß eines Sechzigers jedoch, der in Arbeiten geistlichen Styls fast ergraut ist, erweckt es uns wenig Hoffnung. Der ruhigste, feierlichste und musikalisch werthvollste Satz ist ohne Frage der zweite (Te ergo quaesumus), welchen das schöne Motiv der Solo=Violine umspielt, und seine bedeutende Erweiterung im vierten (Salvum fac). In den übrigen finden sich anziehende Stellen und bemerkenswerthe Intentionen. Das Eigenthümliche dieses Componisten sowie der ganzen Schule, der er angehört, ist eben, daß sie über schöne Einzelheiten und Intentionen selten hinauskommt. Aus dem ersten Satz heben wir die inbrünstige Versenkung in das Leiden der Menschwerdung, aus dem stürmischen Chorsatz Per singulos die schöne Bitte um Erbarmen, aus der geschraubten Fuge Te domine (fast der einzigen Stelle des Werkes, wo sich contrapunktische Arbeit in etwas größerem Zuge ausbreitet) ebenfalls eine rührende Mittelstelle im pp hervor, eine Imitation zwischen Tenor und Alt über ruhendem Baß, welches [sic] das Ohr wie ein lang ersehntes Eiland mitten unter drohenden Klippen und Sandbänken begrüßt.
    Wir hatten genug mit der Aufnahme dieses seltsamen, übrigens mit großem Beifall aufgenommenen Werkes zu thun, um zu beurtheilen, ob der Chor die enormen Schwierigkeiten, die der Componist ihm bereitet hat, alle siegreich überwand. Ueber den anstrengenden Proben zu der Novität war aber jedenfalls "Mirjam's Siegesgesang" von Schubert etwas zu kurz gekommen [... über dieses Werk und über andere Konzerte ...] Mit so vielen Lieder=Concerten die Saison auch noch renommiren möge, den Müller=Lieder=Cyklus Gustav Walter's werden wir gewiß nicht versäumen.      G. Dömpke.« (*).

Die in Klagenfurt erscheinende Zeitschrift "Freie Stimmen" Nr. 6 macht auf S. 6 auf eine am 31.1.1886 erschienene Zeitschrift mit einem Bruckner-Artikel aufmerksam:
            "Literatur.
[...]
     Deutsche Wochenschrift. Organ für die gemeinsamen nationalen Interessen Oesterreichs und Deutschlands. Herausgegeben von Heinrich Friedjung. Wien, IX., Wasagasse Nr. 20. Inhalt von Nr. 5 vom 31. Jänner 1886: [...] - Musik (Brahms: E=moll=Symphonie. - Bruckner Tedeum.) Von Dr. Robert Hirschfeld. - [...] (**).


Zitierhinweis:

Franz Scheder, Anton Bruckner Chronologie Datenbank, Eintrag Nr.: 188602065, URL: www.bruckner-online.at/ABCD-188602065
letzte Änderung: Feb 02, 2023, 11:11