zurück 9.5.1886, Sonntag ID: 188605095

Kastner's Wiener Musikalische Zeitung Nr. 30 bringt auf S. 72 einen Bericht über das Scherzo der 3. Symphonie unter Mahler am 18.4.1886:
»Prag. [...] Ein Elite-Concert in jeder Beziehung war die zum Besten des Unterstützungsverein deutscher Rechtshörer veranstaltete Matinee. Namentlich der orchestrale Theil war reichlich bedacht; [...] Scherzo aus der neusten Symphonie von Anton Bruckner und - last not least - Wagner's grandioser "Kaisermarsch". Hauptsächlich die beiden letzteren Nummern erweckten einen mitunter frenetischen Beifallsjubel, der nicht wenig der trefflichen Ausführung durch das Orchester des deutschen Landestheaters unter der genialen Leitung des Kapellmeisters Mahler, der sämmtliche Piècen mit staunenswerther Sicherheit auswendig dirigirte, galt.« (*a).

In derselben Zeitschrift auf S. 74f der erste Teil von Paul Marsops Artikel über das »Te deum« (*b):
»Wagneriana.
Das Tedeum des Verkannten 1).
Von Paul Marsop.
[Fußnote: »1) Mit geringfügigen Auslassungen drucken wir nachstehenden bedeutsamen Aufsatz aus der "Gegenwart" vom 24. April ab.«]
   Dass ein Mensch, welcher auf Schritt und Tritt mit Niedertracht und Gehässigkeit zu kämpfen hat, in Stumpfsinn versinkt oder gar verzweiflungsvoll des Daseins Bürde von sich wirft, ist die Regel; dass er ungeachtet jahrelanger Enttäuschungen muthig ausharrt und in rastloser Arbeit und Pflichterfüllung Trost sucht und Ruhe findet, darf schon als seltene Ausnahme gelten; dass aber vollends ein Mann an der Schwelle des Greisenalters, wenn er auf die langen, langen, nur in Kummer und Bitterniss verbrachten Jahre zurückschaut, keinen Seufzer des Grames zu den Sternen emporsendet, sondern ein frohes Dankgebet dafür, dass er leben dürfe, leben und schaffen: das ist etwas Einziges. Herr, erbarme Dich unser - so hätte ein Anderer aufgeschrien in seiner Noth!
   Anton Bruckner, der Künstler mit dem gläubigen Kindergenüth, componirte ein stolzes und sieghaftes "Te deum laudamus". [... über die Widmung an Gott, die anwachsende Bruckner-Bewegung ...] Es ist lange her, dass in Deutschland ein bedeutsames religiöses Werk geschaffen wurde. [...] Es liess sich so an, als ob mit der Frömmigkeit auch die religiöse Kunst verschwunden wäre. [... Bruckners Werk beweise, daß echtes musikalisch-religiöses Empfinden doch noch nicht verschwunden sei, auch der Hörer sei im Innersten bewegt ...] Vielleicht ist dem herrlichen Gedicht des "Ambrosianischen Lobgesanges" seit Händel keine so kühne und kraftvolle musikalische Ausgestaltung zutheil geworden, wie sie nunmehr in Bruckner's Composition vorliegt. [... das Gebet eines Mannes ... lutherisches Element in diesem überzeugungstreuen Katholiken ...] Der Wucht des Inhaltes entspricht das Kraftvoll-Kernhafte der Form. [...] Wir kannten diese Gedrungenheit im kirchlichen Style bisher nicht; wir werden uns an sie gewöhnen. [...] Aber wie ist es möglich, dass jemand den Riesenstoff des Tedeum in einem Zeitraume von dreiundzwanzig Minuten völlig formgerecht bewältigt? Ja -- wie ist es möglich, dass ein Mensch ein Genie sei?
   Man muss sogar betonen, dass gerade wegen der ausserordentlich geschickten Handhabung der Form Bruckner's neueste Schöpfung einheitlicher und übersichtlicher ist als seine symphonischen Arbeiten. Von einem gelegentlichen rhapsodischen Ausschweifen, von einem eigensinnigen Ausspinnen einer weniger sich dem Wesen der Composition anschmiegenden als zufällig am Wege aufgerafften Idee ist hier nichts zu merken; jeder Takt kommt einer einheitlichen Durchführung der Gesammtanlage zugute. Die Schrullen haben nur im Weltlichen ihren Platz; auch Jean Paul dünkt uns dort manierfrei, wo er religiös wird.
(Schluss folgt.)« (*b).

Kalendernotiz Bruckners (bei den Gebetsaufzeichnungen):
»Mittwoch 2 Uhr [/] Montag 5 Uhr H Graf Pückler, Metternichgasse 11.« (**).


Zitierhinweis:

Franz Scheder, Anton Bruckner Chronologie Datenbank, Eintrag Nr.: 188605095, URL: www.bruckner-online.at/ABCD-188605095
letzte Änderung: Apr 01, 2024, 19:19