zurück 17.2.1887, Donnerstag ID: 188702175

Das Mährische Tagblatt Nr. 38 übernimmt auf S. 1 - 3 einen Artikel des Pester Lloyds, als dessen Autor ziemlich sicher Ludwig Hevesi anzunehmen ist:

          "Wiener Brief.
(Zur Sitiation.[sic] - Hanuschkoff. - Ein neuer Fürst von Bulgarien. [...])
      Auch die letzte Woche scheint an der Wienerstadt ohne verhängnißvolle Ereignisse vorübergegangen zu sein. [...]
     Etwas stiller ist es allerdings in Wien geworden, seitdem Hans v. Bülow wieder in der Ferne schweift. Dieser Hecht bringt den musikalischen Karpfenteich immer ganz gehörig durcheinander. An sonderbaren Einfällen dazu fehlt es ihm nicht. Als er z. B. neulich in Budapest concertirte fiel es ihm ein, zwischen seiner zweiten und dritten Piéce [sic] ein Telegramm nach Wien zu senden, an den Tonkünstlerverein, der eben beisammen zu sitzen hatte. Das Telegramm lautete: "Lassen Sie sofort Anton Bruckner nach Sofia reisen er ist zum Fürsten von Bulgarien gewählt worden." Unterzeichnet: "Hanuschkoff." [... über diese Namenswahl ...] Die Drahtbotschaft Hanuschkoff's ermangelte nicht, im Tonkünstlerverein das gebührende Aufsehen zu erregen. Meister Bruckner, der große Orgelrührer, empfand einen electrischen Schlag und überlegte schon, ob er sich für den bulgarischen Thron doppelte oder nur einfache Wäsche einpacken soll; man begann ihn bereits von allen Seiten mit den heftigsten Hoheiten zu tituliren, als die Vereins=Skeptiker sich meldeten und die Meinung aufstellten, jener Hanuschkoff möchte doch vielleicht kein russischer Generalbevollmächtigter, sondern nur der bekannte Spaßvogel dieses Namens sein und die Ereignisse von Sofia in etwas unverläßlicher Fassung berichten. Da traf ein zweites, noch weit dringenderes Telegramm ein, welches zwischen der fünften und sechsten Piéce Bülow's aufgegeben sein konnte, und ungefähr folgendermaßen lautete: "Schicken Sie sofort zehntausend Photografien Anton Bruckner's nach Sofia, das Volk schreit nach dem Bilde seines Fürsten. Gez. Hanuschkoff." Das war gewiß ein effectvoller Zug und dennoch ein Fehlzug. Wo sollte der Meister der Wiener Orgel     in der telegrafisch vorgeschriebenen Sofortigkeit nicht weniger als zehntausend Lichbilder seiner Schattenseite, nämlich seines umfangreichen Aeußeren hernehmen? Unmöglich! Er erschrak und erklärte nach einigen bangen Augenblicken, zum großen Leidwesen der Weltgeschichte, Hanuschkoff möge sich in Gottes Namen selbst darauf setzen.
     [... über Bülows Marotten mit der tschechischen Sprache, seine "Caligula Seidenschopf"-Visitenkarte ... über Pianisten-Allüren ... Wilhelm Jahns Beziehung zu Troppau ...]
          ("Pester Lloyd.") "
[siehe Anmerkung] (*).
 
Der Amsterdamer Musikbrief im Musikalischen Wochenblatt Nr. 8 auf S. 92 beschäftigt sich mit der Aufführung der 7. Symphonie [am 18.11.1886] und des Quintetts [am 11.12.1886]:
               "Amsterdam, im Januar 1887.
     In dem ersten diesjährigen "Caecilia"-Concert war, wie ich Ihnen bereits in meinem vorigen Berichte andeutete, Bruckner's 7. Symphonie pièce de résistance. Ueber dieses schöne, bedeutende Werk ist in Ihrem Blatte verschiedentlich geschrieben worden. Ich beschränke mich deshalb darauf, zu constatiren, dass Hrn. de Lange's Bemühungen, dem Werke bereits vor der Aufführung durch Wort und Schrift Freunde zu erwerben, keine verlorene Liebesmüh waren. Die Zuhörerschaft zeigte wirklich Aufmerksamkeit und zollte lebhafteren Beifall, als wir ihn sonst nach symphonischen Aufführungen gewöhnt sind. Ein Beweis, dass der Geist der Neuerung - denn das Bruckner'sche Werk darf wohl als ein "modernes" bezeichnet werden - endlich auch bei uns Eingang findet. Die Ausführung unter de Lange's Direction war recht brav, ebenso die der übrigen Werke [... Liszt "Tasso", Beethoven 4. Sinfonie...] Zu bedauern ist, dass Hr. de Lange sich allzusehr in der Auslegung musikalischer Spitzfindigkeiten gefällt. Hierzu rechne ich die Wiedergabe der Beethoven'schen Symphonien mit Phrasirung à la Riemann. Hr. de Lange ist als Dirigent, was er im Leben ist: Kritiker und Theoretiker. Vielleicht ist er wohl im Stande, sich eine schwungvolle Aufführung zu denken - leiten kann er sie nicht. Hierzu fehlt ihm die Naivetät der Begeisterung und vor Allem Klarheit. (?)
     Die 2. Soirée für Kammermusik brachte uns abermals ein Bruckner'sches Werk: sein Fdur-Quintett. Bei diesem Opus ist unser Publicum nicht allein durchgefallen, sondern es  hat sich nebenbei sehr taktlos benommen. Wenn ihm von fünf vorzüglichen, mit Recht als gebildete Musiker geschätzten Künstlern, ein neues und mit aller Sorgfalt einstudirtes Werk geboten wird, so verlangt die einfache Höflichkeit, ihr Streben anzuerkennen. In diesem Puncte entwickelt unser Concertpublicum freilich öfter etwas antediluvianische Begriffe. Das Lange und Breite von der Sache ist: es rührte sich nach Beendigung des Quintetts keine Hand. Ich meinerseits stimme vollkommen der Ansicht der HH. Künstler (Cramer, Hofmeester, Kes, Meerlow und Bosmans), die das Werk doch jedenfalls schön und einer liebevollen Ausführung für würdig fanden, bei. Am meisten haben mich der 1. Satz und der Eingang des Adagio gepackt. Dies stelle ich dem Schönsten zur Seite, was Beethoven und Brahms auf dem Gebiete der Quartettmusik geschrieben. Das Scherzo ist reizend; leider steht das Trio nicht auf gleicher Höhe. Dies ist - um classisch zu sein und den Ausdruck "trivial" zu vermeiden - "a bissel zu Wianerisch!" Auch der letzte Satz ist gross - beinahe zu orchestral für Kammermusik. Was man dem Werke aber hauptsächlich nachrühmen muss, ist die vorzügliche Behandlung der fünf Instrumente: es ist echte Ensemblemusik.
     [... über das Phänomen "Dirigenten-Epidemie", über Röntgens missglückten Karrieresprung zum Musikdirektor, hier bei Händels "Josua" ...]
               (Schluss folgt.)"
[keine Signatur, auch nicht beim Schlussteil am 24.2.1887] (**).


Zitierhinweis:

Franz Scheder, Anton Bruckner Chronologie Datenbank, Eintrag Nr.: 188702175, URL: www.bruckner-online.at/ABCD-188702175
letzte Änderung: Mai 13, 2024, 13:13