zurück 10.2.1888, Freitag ID: 188802105

Die Musikalische Rundschau Nr. 14 zitiert auf S. 153 aus einem Leserbrief:
»H. M. in T. Was Bruckner auf dem Gebiete der Symphonie bedeutet, wird wahrscheinlich erst eine spätere Zeit vollkommen begreifen, wie das ja immer so der Fall zu sein pflegt.« (*).

Besprechung des Konzerts vom 22.1.1888 (mit 4. Symphonie und »Te deum«) durch Robert Hirschfeld in der Wiener Allgemeinen Zeitung Nr. 2858 auf S. 1:
          "Concerte.
     "Aber den größten Defect díeser Music verursachet die Opera" ... Diese gelegentlichen Klageworte Johann Sebastian Bach's drängt uns die Aufführung einer Symphonie von Bruckner jedesmal auf die Lippen. Auch Bruckner's vierte Symphonie (Es -dur) leidet durch die "Opera"; sie steht völlig auf dem Boden des dramatischen Styls, auf einem Fundament, das durch ein unheimliches inneres Feuer stetig in Bebung und Unruhe erhalten wird, durch Rückungen und Risse zu Spalten und zum Bersten gelangt. Das Hasten und Stocken, der erregte Puls der dramatischen Schreibweise, jene eigenthümliche Beweglichkeit, die immer des Wechsels und der Veränderung gewärtig scheint, will dem symphonischen Styl nicht frommen. Die Bruckner'schen Symphonien, so weit wir sie kennen, haben ihren Styl und somit gewissermaßen ihren Beruf verfehlt. Anders als mit dieser Erkenntniß können wir den großartigen, in vielen Theilen überwältigend schönen Tonschöpfungen Bruckner's nicht näher treten. Es ist eine Musik, welche fast durchwegs von scenischen Wandelvorstellungen losgelöst oder zu solchen hinzuleiten scheint, also Dramenmusik, welche aus Musikdramen ihre Stärke holt. Nur Musik solcher Art kann mit einem Schein von Recht von solchen "Programmen" behelligt werden, wie Joseph Schalk, dessen Dirigenten=Tugenden wir weit mehr schätzen als seine programmatischen Visionen, sie zu verfassen liebt. [... Zitate aus Schalks Text und Kommentar dazu ...] so wird es völlig klar, daß die Symphonie erst ohne dieses Programm wirklich ernst zu nehmen sei ... An schöpferischer Kraft, welche sich in der Erfindung bedeutender und beseelter Themen offenbart, übertrifft Bruckner alle lebenden Symphoniker. [... Themen ungekünstelt, von Naturkraft getrieben ... schlagfeste Motive im Geiste Beethovens ...an Schubert gemahnende Melodien ...] Wenn Bruckner nur den Strom seiner Erfindung auch zu lenken und in das Bett zwingender Formen zu leiten wüßte! [... das Scherzo gehöre zu dem Besten in der symphonischen Literatur ... unvermitteltes Aufeinanderprallen von Gegensätzen ... der dramatisch bewegte Zug des modernen Lebens findet sich in der Symphonie wieder ... Bruckners Werke sind so ein getreues Spiegelbild ihrer Zeit ... kurz über das "Te deum" ... typisch für die beklagenswerten Kunstzustände sei es, daß ein Konzert, in welchem sich so viele] zu einer glänzenden Kunstthat sich verbinden, von einem Theile unserer Kritik einfach todtgeschwiegen wird, als handle es sich um sie pianistische Missethat eines Clavierunholdes.
     [... es folgt die Besprechung eines Wagner-Konzertes mit der Jugend-Symphonie in C-Dur, nochmal mit Bemerkungen zu Bruckner: ... "Dort die weit ausgreifende Symphonie eines greisen Mannes, dessen Künstlergeist aber noch in Gährung begrifffen scheint; hier ..." ... "Beim alten Bruckner ein Ueberschäumen der Phantasie, beim jungen Wagner ein ängstliches Haushalten mit Ideen" ... kurz über weitere Konzerte ... Signatur auf S. 3:]
                Dr. Robert Hirschfeld." (**).


Zitierhinweis:

Franz Scheder, Anton Bruckner Chronologie Datenbank, Eintrag Nr.: 188802105, URL: www.bruckner-online.at/ABCD-188802105
letzte Änderung: Feb 02, 2023, 11:11