zurück 31.1.1892, Sonntag ID: 189201315

Hinweis auf die heutige Kirchenmusik in der »Presse« Nr. 31 auf S. 7 (Kalendarium im Local-Anzeiger [inhaltlich wie die Ankündigungen am 30.1.1892] (*).

Bei der Messe in der Votivkirche erklingen eine Missa in C von C. Kempter, Bruckners »Os justi« als Graduale und als Offertorium das »In virtute tua« von J. Mettenleiter (**).

Artikel in der Ostdeutschen Rundschau Nr. 5 auf S. 4 mit Äußerungen über einen Kritiker "des Szeps'schen Tagblattes" und mit einer Besprechung des Konzerts vom 20.1.1892 (3. Symphonie):
"     Neuer Richard Wagner=Verein. [... am 3.2.1892 Versammlung ...] — Der Vereinsabend vom 20. d. M. war der bisher am schwächsten besuchte; für die wenigen Theilnehmer aber war übergenug Schönes und Großes geboten worden: R. Wagner, VII. Abschnitt aus "Deutsche Kunst und deutsche Politik" und das Tannhäuservorspiel (Herren Bause und Hynais); Dr. Anton Bruckner, III. (R. Wagner gewidmete) Symphonie von zwei Brucknerschülern, Herren v. Oberleitner und Hynais, in begeistert liebevoller Hingabe an das große Werk wirklich vollendet gespielt; [... Beethoven-Violinsonate ...] Herren Herold und Hynais). Deutsche Gäste sind an jedem Vereinsabende herzlich willkommen. - [...].
                               Aufruf.
     Der Neue Richard Wagner=Verein zu Wien fordert deutsche, stimmbegabte Männer und Frauen auf, seinem Vereinschore beizutreten. [... über die Modalitäten ...] werden die Proben erst begonnen werden, wenn mindestens 40 verläßliche Anmeldungen eingelaufen sind. Der Chor steht unter der Leitung des Kunstwartes Herrn Cyrill Hynais, und der Verein beabsichtigt, in der nächsten Zeit Chöre aus den Werken Wagner's, Liszt's, Bruckner's u. s. w. aufzuführen. Anmeldungen (mit genauer Angabe des Wohnortes) bittet der Verein an den Kunstwart, Herrn C. Hynais, V., Hundsthurmerstraße 12, gelangen zu lassen."
[dieser Aufruf erschien erstmals am 20.12.1891]
     Stilblüthen aus der Judenpresse. In welch' bombastisch=phrasenreicher Weise die Judenpresse ihre Günstlinge zu verhimmeln weiß [... Zitate aus einer Kritik vom 27.1.1892 über ein Konzert der Rubinstein-Schülerin Sophie v. Poznanska ...] – Gott, wie talentvoll!!" [keine Signatur] (***).

Auf S. 5 schildert ein Augenzeuge (Name oder eher eine Signatur: Freyr) das Verhalten des Publikums bei der Aufführung des "Te deum" [am 20.12.1891]:
"     Concertskizzen. Wer über die oft geführte Klage wegen des Abhandenkommens echten Kunstgefühls in den höheren Schichten unserer modernen Gesellschaft etwa noch ungläubig den Kopf schüttelt, der möge gefälligst ein Mittagsconcert im Wiener Musikvereinssaale besuchen. [... Inkompetenz des Publikums, das sich nicht zu benehmen weiß ...] Schreiber dieser Teilen [...] sprach vor Beginn des Zweiten Gesellschaftsconcertes mit einem bekannten Herrn über das bevorstehende Programm: "Vor der letzten Nummer, dem "Te deum" von Anton Bruckner, ergreife ich die Flucht! Die Jugend denkt freilich über so etwas anders. Aber das Alter ist schon gesetzter und sieht es mit ruhigerem Auge an!" — Herr Gemeinderath, die Jugend bedauert Sie nicht um dieses ruhigere Auge! — Einige Reihen vor ihm sitzt ein modernes Pärchen, so recht modern. Mitten in den Aufführungen sprechen und kichern sie, sie fährt hin und her mit ihrem schwarzgelben Hut, er dreht sich öfters um und lehnt sich, mit seinem nichtsweniger als geistreichen oder arisch=schönem Gesichte gegen das hinter seinem Sitze befindliche Publicum gekehrt auf seine Hand. So benimmt man sich und betrachtet die Musik als geringfügige Zerstreuung, welcher Art immer jene angehört. Solche Leute hören sich das "Te deum" von Bruckner an! [...] Aber es kommt noch schöner. Mitten im gewaltigen "Te deum" stehen in den vorderen Reihen zwei Damen auf, sie gehen hinaus und empfehlen sich im Vorübergehen noch von Bekannten mit Händedruck und freundlichem Lächeln. Eigentlich ist es im Musikvereinssaale verboten, während der Production ein= und auszugehen. Aber der Fall ist ja zu entschuldigen; galt es ja, gegen deutsche Musik zu demonstriren oder mit feiner Toilette Aufmerksamkeit zu erregen! — Bravo! Großartig! Heil! schreit das Stehparterre nach Beendigung des "Te deum". Im Parterre halten nur Einzelne stand, ihrer Begeisterung und Liebe zum Meister Ausdruck zu geben, während ihre Umgebung unter höhnischen Blicken auf diese "unanständigen" Menschen hinausdrängt. "Heil Bruckner!" ruft Schreiber dieser Zeilen, als der Meister auf der Rampe erscheint. "Um Himmels Willen, kommt der auch noch!" bemerkt ein Herr neben ihm und seufzt.
     Verehrliches Publicum, das Du den Bravourstücken der Virtuosen zujubelst, wenn ihr musikalischer Werth auch gleich Null ist, das du meistens Gefallen an den Productionen nur heuchelst, wie es schon Meister Richard Wagner constatirte, – große Begeisterung für unanständig hältst, das du nur aus Mode Concerte besuchst, – du gehörst zum Ronacher; uns kannst du gestohlen werden!
                                                             – Freyr. – " (°).


Zitierhinweis:

Franz Scheder, Anton Bruckner Chronologie Datenbank, Eintrag Nr.: 189201315, URL: www.bruckner-online.at/ABCD-189201315
letzte Änderung: Dez 22, 2023, 14:14