zurück 12.7.1892, Dienstag ID: 189207125

Kritik zur 3. Symphonie (signiert ”G. Ar.” [= Guido Adler?]) in der Neuen Freien Presse Nr. 10015 auf S. 6:
   "Die Musik- und Theater-Ausstellung.
   [...]
   In dem letzten Symphonie=Concert trat Herr Ferdinand Loewe als gastirender Dirigent auf. Eigentlich war es ein Probe=Dirigiren, denn noch nie vorher hatte der junge Mann, welcher Clavierlehrer am Conservatorium ist, vor der Oeffentlichkeit ein Orchester geleitet. Herr Loewe verrieth ein bemerkenswerthes Talent und kann sich mit Ausdauer und Fleiß dereinst noch einen Platz erringen in der Reiher jener Dirigenten, welche, in den letzten Jahren von Wien ausgehend, den Ruhm der Musikstadt in ferne Lande trugen. Derzeit thut er noch zu viel des Guten, er verwirrt die Spieler durch das immerwährende Markiren kleiner Einsätze - die Erfahrung wird seine beste Lehrmeisterin sein. Der eingeladene Dirigent hätte sich in seinem Programm an die bereits zur Gewohnheit gewordene Tradition halten sollen. Das Meistersinger=Vorspiel am Schluß eines langen Concertes ist zu ermüdend für Hörer und Spieler - bei den Violinläufen war die Abspannung nur allzusehr zu merken. Und gar wenn Compositionen vorangehen, wie Anton Bruckner's D-moll-Symphonie (Richard Wagner gewidmet), welche die angestrengteste Aufmerksamkeit  verlangt. Der erste und dritte Satz gehören zu den besten Conceptionen des Tonsetzers; sie sind durch die Umarbeitung prägnanter, conciser geworden und zeigen den Symphoniker im vortheilhaftesten Lichte. Schade, daß seine zahlreich erschienenen Anhänger nach jedem Satze den greisen Componisten selbst zum Opfer ihrer Beifallsschlachten machten. Dieses modernste musikalische Heilthum ist eine Verzerrung würdiger Ovationen, wie sie einem Künstler gebühren. Belästigend war auch im letzten Concert, daß die Saalkellner immerwährend hin= und herliefen und die Gäste während der Vorträge umkreisten. Auch das Eindringen der Schallwellen von benachbarten Productionen war störend; diese Capellen sollten während der Vorträge in der Tonhalle innehalten. Solche Unzukömmlichkeiten müssen behoben werden; darauf haben nicht nur die Besucher ein Recht, sondern auch das Orchester, welches sich mit Feuereifer allen ihm gestellten Aufgaben hingibt. Die nächste größere Leistung, welche allerdings sorgfältigster Vorbereitung bedarf, sollte sein: eine Symphonie von Johannes Brahms.     G. Ar."
 


Zitierhinweis:

Franz Scheder, Anton Bruckner Chronologie Datenbank, Eintrag Nr.: 189207125, URL: www.bruckner-online.at/ABCD-189207125
letzte Änderung: Feb 02, 2023, 11:11