zurück 23.7.1892, Samstag ID: 189207235

Theodor Helms Artikel im Pester Lloyd Nr. 176 auf S. 5 (= Beilage) enthält eine Kritik der Aufführung der 3. Symphonie am 9.7.1892:

"Musikalisches von der Wiener Musik- und Theaterausstellung.
              [... Inhaltsübersicht ...]
      In unserem vorletzten musikalischen Ausstellungsbericht hatten wir auch der interessanten Vorführung bisher in Wien gänzlich unbekannter amerikanischer Orchesterkompositionen unter der Leitung des Herrn F. X. Arens zu gedenken. [... kompletter Text bei www.anno.onb.ac.at/cgi-content/anno?aid=pel&datum=18920723&seite=5 ... über zwei Konzerte amerikanischer Künstler und ein populäres Konzert unter Grädener mit der Eroica, bei der das Publikum zu essen und zu trinken vergaß ...]
     Schließlich hat sogar bei der Aufführung einer Bruckner'schen Symphonie - die doch nach Länge und komplizirtem Bau an die Fassungskraft und Geduld der Hörer noch weit höhere Anforderungen stellt, als die einer Beethoven'schen - die gefährliche Tischaufstellung der Wirkung des Kunstwerks keinen wesentlichen Abbruch gethan. Der denkwürdige Abend dieser wieder geradezu sensationellen Bruckner=Aufführung  - 9. Juli - brachte uns zugleich einen neuen Dirigenten in der Person des an dieser Stelle von uns wiederholt rühmend erwähnten Herrn Ferdinand Löwe, Klavierprofessors am Wiener Konservatorium. Mit Rücksicht darauf, daß der junge Mann nie einen Taktirstab in der Hand gehabt, machte er seine Sache erstaunlich gut und erwies sich als ein Dirigent voll Geist, Feuer und von eindringlichstem Verständnisse, welch letzteres er durch seinen hingebungsvollen Eifer auch dem Ausstellungsorchester mitzutheilen wußte. Als einer der begeistertsten Verehrer Bruckner's hatte er des greisen Meisters dritte Symphonie (D-moll, Richard Wagner gewidmet, 1890 von unseren Philharmonikern aufgeführt) in die Mitte des Konzerts gestellt und verschaffte dem großartigen, aber so schwer faßlichen und so vielfach von der herkömmlichen Norm abweichenden Werke - das er, wie Beethoven's Coriolan=Ouverture und Wagner's Meistersinger=Vorspiel, durchwegs auswendig dirigirte - stürmische Anerkennung bei dem aus den verschiedensten Elemente sich zusammensetzenden Ausstellungspublikum, unter welchem diesmal auch auffallend viele Fremde bemerkt wurden. Nach der vorliegenden Partitur dirigirte Herr Löwe nur die zwei übrigen Nummern des Konzerts: Tanz der Irrlichter und Tanz der Sylphen aus Berlioz' "Damnation de Faust", unter welchen das zweitgenannte Orchesterstück - wie aus Mondscheinstrahlen gewebt, wie ein Hauch verschwebend - sofort wiederholt werden mußte.
     Ueber die vornehme Ruhe, Sicherheit und geistige Ueberlegenheit des neuen Dirigenten war man in Hinblick auf ein erstes Debut allgemein erstaunt. Jedenfalls hat Professor Löwe, den man seit Jahren in Wien als einen der überzeugendsten Interpreten moderner, namentlich Bruckner'scher Orchestermusik am Klavier kennt und schätzt, überraschend gezeigt, daß ihm - gerade wie seinem Freunde und Gesinnungsgenossen Professor J. Schalk - diese seltene Darstellungskunst auch dem wirklichen Orchester gegenüber, vom Kapellmeisterpult herab verliehen sei.          Dr. Theodor Helm." (*).

Mit Verspätung erscheint an diesem Tag der von Guido Adler herausgegebene Ausstellungskatalog der Musikabteilung für Deutschland und Österreich-Ungarn (**).

Besprechung der "Tristan"-Aufführung in Bayreuth [22.7.1892] im Neuen Wiener Tagblatt Nr. 203 auf S. 6 (***).


Zitierhinweis:

Franz Scheder, Anton Bruckner Chronologie Datenbank, Eintrag Nr.: 189207235, URL: www.bruckner-online.at/ABCD-189207235
letzte Änderung: Feb 02, 2023, 11:11