zurück 28.11.1892, Montag ID: 189211285

Bruckner gibt durch einen Zettel an der Hörsaaltüre bekannt, daß er infolge ärztlicher Anordnung [Dr. Schrötter] seine Universitätsvorlesung heute nicht halten kann (*).

Brahms zitiert im Gespräch mit Heuberger eine Bemerkung Bülows über Bruckners 9. Symphonie [»Ode an die Schadenfreude«] (**).

In der Wiener Sonn- und Montags-Zeitung Nr. 48 erscheint auf S. 2 eine mit »H. W.« [= Hans Woerz] signierte Besprechung des 150. Psalms [am 13.11.1892]:
"                    Musik.
             [Inhaltsübersicht]
     H. W. Während im Operntheater die letzten Vorbereitungen zu "Signor Formica" getroffen wurden, bemühten sich auch die Concertgeber ihr Publicum durch Erstaufführungen neuer oder doch unbekannter Werke in besonderer Weise anzuregen. [... das Gesellschaftskonzert, 1. Teil ...] der andere Theil, Bruckner's "150. Psalm" und "Wanderers Sturmlied" von Richard Strauß, soll uns heute beschäftigen. Die Aufführung des Psalms darf in jeder hinsicht eine schwere Geburt genannt werden. Die ersten Nöthen hatte mit ihm der Componist selbst. [... Terminprobleme bei Bruckner, Cholera-Epidemie ... unfertiger Eindruck (oder nur beim Singverein?) ... Extremforderungen nicht dem Singverein anzulasten ...] Der Anfang gibt sich freilich schön, ja sogar imposant, und an Schönheiten vornehmer Art fehlt es dem Werke überhaupt nicht. Das ist man ja bei Bruckner gewohnt und stets bereit anzuerkennen. Allein auch die üble Seite seiner Arbeit trägt sein typisches  Gepräge: den Mangel an Logik. [... Folgerichtigkeit ist ein Naturgebot, nicht durch Willkür ersetzbar ... Details sind einzeln ohne ästhetischen Wert ...] und wir können nur aufrichtig beklagen, daß Bruckner in seinem 150. Psalm wie in den meisten seiner größeren Tonschöpfungen so viele kostbare Bausteine mit souveräner Willkür – durcheinandergeworfen hat. Wir können ein Trümmerfeld für kein Bauwerk der Kunst halten, wenn nicht für ein zerstörtes.
     Regiert in Bruckner's Psalm die selbstgefällige Ordnungslosigkeit, so verursacht uns R. Strauß mit seinem Sturmlied empfindliches Mißbehagen durch maßloseste Ueberladung im Ausdrucke eines poetischen Gedankens [... über dieses Werk und andere Konzerte ...]" (***).


Zitierhinweis:

Franz Scheder, Anton Bruckner Chronologie Datenbank, Eintrag Nr.: 189211285, URL: www.bruckner-online.at/ABCD-189211285
letzte Änderung: Aug 02, 2023, 12:12