zurück 29.11.1892, Dienstag ID: 189211295

Theodor Helm bespricht im »Wiener Musikbrief« im Pester Lloyd, Abendblatt Nr. 273, auf S. 4 [= S. 14] die Aufführung des 150. Psalms [am 13.11.1892]:
"                          Feuilleton.
              Wiener Musikbrief
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     Wie alljährlich, war es auch heuer unseren Philharmonikern bestimmt, die Konzertsaison zu eröffnen [... kompletter Text bei www.anno.onb.ac.at/cgi-content/anno?aid=pel&datum=18921129&seite=14 ... über die ersten Philharmonischen Konzerte ...]

     Die bedeutendste Nummer des zwischen den beiden philharmonischen veranstalteten ersten Gesellschafts=Konzertes war der 150. Psalm ("Hallelujah" und "Alles was Odem hat, lobe den Herrn") in der kraftvoll genialen Vertonung unseres greisen Anton Bruckner. Wieder eine Reminiszenz an die zuletzt so sang- und klanglos dahingeschwundene Wiener Musikausstellung, indem der Psalm ursprünglich zu deren Eröffnung bestimmt, aber für diesen Zeitpunkt nicht rechtzeitig fertig geworden, nun die im September geplante Tonkünstlerversammlung des Allgemeinen Deutschen Musikvereins in der Tonhalle hätte festlich begrüßen sollen, welches künstlerische Fest indeß wegen der Choleragefahr im letzten Augenblick abgesagt wurde. Am meisten dem berühmten "Te Deum" Bruckner's verwandt, nur in kleineren Formen gehalten, als dieses, elektrisirt der neue Psalm durch einen wahrhaft apostolischen Schwung echt religiöser Tonsprache und verräth überdies in einer grandios kühnen Schlußfuge deutlich genug den großen Kontrapunktiker, nur vergißt der Komponist leider, wie so oft in seiner Begeisterung, der natürlichen Grenzen des Ausführungsmöglichen und muthet namentlich den Choristinnen Dinge zu, die vielleicht bei 20 - 30 Proben nicht ganz rein herauszubringen wären. Da der Dirigent der Gesellschaftskonzerte, Herr Gericke, für die Novität nicht so viel Zeit erübrigt hatte und außerdem die Interpretin des Sopransolos, Frl. Standhartner, welche ihren Part gleichsam improvisirt von einer anderen Sängerin übernehmen mußte, mit der schwierigen Aufgabe nicht völlig fertig geworden war, schwankte denn die Wiedergabe an allen Ecken und Enden. Man gewann daher von Bruckner's glänzendem Gelegenheitswerk nur einen lückenhaften Eindruck und rief den liebenswürdigen alten Herrn wohl mehr um ihm eine Freude zu machen, als wegen der Wirkung seines Psalms, mehrmals hervor. [... über die anderen Programmnummern und andere Konzerte ...]        Dr. Theodor Helm." (*).
 
Bruckner wird erwähnt in der Allgemeinen Österreichischen Gerichtszeitung Nr. 48 auf S. 383 in einem umfangreichen juristischen Artikel (S. 377  - 384), dem letzten Teil einer seit dem 20.9.1892 erscheinenden Artikelserie:
"Der Entwurf eines neuen österreichischen Urheberrechtsgesetzes.
              Von Prof. Dr. Heinr. M. Schuster.
                              (Schluß.)
     Dies Alles ist aber auf's Bestimmteste zu verneinen. [... das Interesse an Kunstwerken sei auch länger als 30 Jahre vorhanden ...Beispiele aus Literatur, Oper, Kirchenmusik ... ausführliche Erörterung ... S. 383: "Freibeuterei" (fremde Kultur einzuführen" sei nicht nötig], wohl aber haben wir nöthig, solche Gegenseitigkeit zum Schutze unserer Cultur, die auch in der Gegenwart so glänzende Leistungen aufweist, daß sie in's ferne Ausland verbreitet wird, wo ihr also Schutz verschafft werden soll, man denke nur an unsere medicinische Literatur, an Beispiele der poetischen Literatur, wie die Werke unseres jüngst verstorbenen Hamerling, und in der musikalischen der Schöpfung unseres glücklicher weise noch lebenden und schaffenden Anton Bruckner, ganz zu geschweigen z. B. von Johann Strauß und anderen populären Künstlern. Ihnen durch Zusicherung der Gegenseitigkeit Schutz allerwärts zu verschaffen, diese einzuführen ist also in erster Linie und in concreto ein eminent österreichisches Interesse um unseres Nutzens willen, aber auch, wenn dem anders wäre, und wir noch unseren geistigen Bedarf fast ausschließlich vom Auslande beziehen würden, um der Ehre Oesterreichs willen darf es einen zweiten Trattner [Johann Thomas von Trattner (1717 - 1798)], der wie der erste durch Nachdruck von Novitäten reich wird, nicht mehr geben. [...]" (**).


Zitierhinweis:

Franz Scheder, Anton Bruckner Chronologie Datenbank, Eintrag Nr.: 189211295, URL: www.bruckner-online.at/ABCD-189211295
letzte Änderung: Feb 02, 2023, 11:11