zurück 28.12.1892, Mittwoch ID: 189212285

Brief Amands an Oddo Loidol:
     Übersendet Camillo Horns Kritik der 8. Symphonie vom 20.12.1892. Er habe fast alle Kritiken (auch Hanslicks) gelesen. Hans Richter gebühre Dank für die vortreffliche Einstudierung (*).

Artikel von Theodor Helm in der Deutschen Zeitung Nr. 7543 auf S. 1f (**), u.a. den »Kritik-Pascha« Hanslick (***).
"Bruckner's achte Symphonie und die Wiener Kritik.
     Es traf sich recht gut, daß Bruckner's achte Symphonie am 18. December, also gerade vierzehn Tage vor Anbruch des Neujahrs 1893 hier erstmalig aufgeführt wurde. Wir finden uns dadurch in die angenehme Lage versetzt, auf die verschiedenen musikalischen Genüsse von 1892 zurückblickend, in der so großartig erfolgreichen Erstaufführung von Bruckner's achter Symphonie das bedeutendste Ereigniß in diesem ganzen Jahr zu erkennen und gleichzeitig den Irrthum jenes Kritikers zu berichtigen, welcher schon im Januar (!) eine andere Erstaufführung - die des Brahms'schen Clarinettenquintetts - als "das wichtigste (nicht nur Concert=, sondern) musikalische Ereigniß schlechtweg" fürs laufende Kalenderjahr zu erklären die Kühnheit hatte. [... über den Beckmesser und Kritik-Pascha [Hanslick], seinen aufgewärmten "ältesten Kohl" und seine Unflexibilität. Das lasse die von Heuberger für alle Bruckner-Kritiker geforderte Loyalität vermissen. Die guten Kritiken Albert v. Hermanns, Robert Hirschfelds und Camillo Horns seien zu erwarten gewesen, doch auch andere Kritiker wie Albert Kauders, Balduin Bricht (in der Österreichischen Volkszeitung) und Wörz (in der Sonn- und Montagszeitung) hätten die Bedeutung des Werkes anerkannt. Bei aller einhellig geäußerten und berechtigten Kritik an den Programmerläuterungen Josef Schalks dürfe man die Verdienste dieses Mannes nicht vergessen ...] der daher, selbst wo er irrt, jene hochachtungsvolle Behandlung in Anspruch nehmen darf, welche der thatkräftig begeisterte Bahnbrecher eines großen Genies unter allen Umständen verdient.          Theodor Helm." (**).

Artikel von Hans Puchstein über Hanslick und Bruckners 8. Symphonie im Deutschen Volksblatt Nr. 1432 auf S. 7:
"Professor Hanslick und Bruckner's achte Symphonie.
     Es ist eine alte, durch den mächtigsten aller Herrscher, das deutsche Gemüth, dictirte Gepflogenheit, während der fröhlich=heiligen Weihnachtszeit jedweden Hader und Zwist ruhen zu lassen und die Austragung aller Streitigkeiten zu vertagen. Dieser von uns stets in Ehre gehaltenen gutdeutschen Sitte möge es zugeschrieben werden, wenn wir auf die Kritik des musikalischen Hofrathes der "Neuen Freien Presse" über Meister Bruckner's achte Symphonie erst heute antworten.
     Es war vorauszusehen, daß sich Herr Hanslick von dem Riesenerfolge, den dieses jüngste Werk des greisen Lieblings des fortschrittlich gesinnten musikalischen Publikums im letzten philharmonischen Concert errang, nicht sonderlich erbaut zeigen werde, und wir hatten uns auf eine neue Auflage der mit boshaften Nergeleien gespickten Kritiken des Führers unserer musikalischen Reactionäre gefaßt gemacht. Das, was der im finstersten Brahminenthum verstockte Herr Professor aber diesmal leistete, eine derartige von wahrhaft infernalischer Wuth dictirte Verbissenheit hatten wir nicht erwartet. [... starrköpfig, verletzte Eitelkeit, nun Fluch der Lächerlichkeit und des mangelnden Anstandes ... Hanslicks Ausdrücke sind "in mehr als einer Hinsicht einfach unanständig": gegenüber einem dem Kaiser gewidmeten Werk, gegenüber einem altehrwürdigen Meister (der noch 1891 als "Freund" bezeichnet wurde) und einem Werk, das sogar Gegner "als das Product ernster, gewissenhafter Geistesarbeit betrachten"], vor der Herr Hanslick als Professor denn doch einigen Respect haben sollte.
     Es lohnte fürwahr der Mühe, die Ausführungen Hanslick's Satz für Satz in ihrer absoluten Unhaltbarkeit, in ihrem Widersprechen und ihrer crassen Ungerechtigkeit zu beleuchten, die heimtückische Kampfesweise des Herrn Hofrathes würde dabei in ihrer vollen Nacktheit zu Tage treten. [... "einige kurze Andeutungen ...]
     Vor Allem gibt sich der Herr Professor den Anschein, durch gründliche Vorbereitung, Studium der Partitur und den Besuch der Generalprobe sich eine genaue Kenntnis des Werkes verschafft zu haben. [... aber: früher schon habe Hanslick falsch zitiert (z. B. im jüngsten Verriss des Chamberlain-Buches) oder falsche Wagner-Zitate eingesetzt ... erschütterte Glaubwürdigkeit: an Universität wegen Krankheit bis Neujahr keine Vorlesungen, dennoch Schreiben boshafter Kritiken möglich; zur 8. Symphonie kein Eingehen auf Details, sondern nur Pauschal-Angriffe ohne konkrete Beispiele ...]
     [... seine Einschätzung des Werkes sei konträr zur Meinung anderer (Bruckner-ferner!) Kritiker, die wohlwollender urteilen ... der Nachweis, dass die Symphonie auf den Gesetzen musikalischer Logik aufbaut, kann gerne erbracht werden ... wenn aber Hanslick blind sei für den Gestaltungsreichtum, die Bereicherung der Ausdrucksmittel, die kontrapunktische Kunst ...], so thäte er besser, sein Amt einem Fachorgan zu überlassen, als sich und sein Blatt durch derartige unbeabsichtigte Geständnisse seiner Unwissenheit und der Mängel seines Auffassungsvermögens zu blamiren.
     Herr Hanslick schließt seinen erbitterten Schmähartikel mit der allerdings vorsichtiger Weise wieder in die Form einer indirecten Frage eingekleideten Behauptung, die Philharmoniker hätten ihren Abonnenten keinen Gefallen erwiesen, ein ganzes philharmonisches Concert ausschließlich der Bruckner'schen Symphonie zu widmen. Ein solcher Satz ist ebenso unverfroren, wie lächerlich: der Riesenbesuch des Concertes, bei dem auch nicht ein Plätzchen leer blieb, und der brausende Beifall, der von allen Plätzen des Hauses und nicht nur aus dem Stehparterre, wie Hanslick glauben machen will, erscholl, gibt beredtes Zeugnis von der Beliebtheit des Meisters und dem gewaltigen Eindruck, den sein Werk machte.
     Wir haben gegen des Herrn Professors Vorschlag, die "Gegenprobe zu machen" und die Bruckner'sche Symphonie in einem Extraconcert außer dem Abonnement zu geben, nichts einzuwenden. Herr Hanslick wird dann sehen, daß nicht nur die Majorität des neulich erschienenen Publikums nach einer nochmaligen Aufführung lebhaftes Verlangen trägt, sondern, daß auch die dann etwa noch leer bleibenden Plätze durch die Hunderte, welche bei der ersten Aufführung keinen Platz finden konnten, vollauf in Anspruch genommen werden.
     Soviel für heute. Sollte der Herr Professor Lust verspüren, seinen Angriff zu wiederholen, so stehen wir mit einer vielleicht noch deutlicheren Antwort gerne zu Diensten.
                                            Hans Puchstein." (°).

Konzertbericht im Neuigkeits-Weltblatt Nr. 296 auf S. 10:
"               Theater und Konzerte.
("Faust" im Burgtheater. – Der Erfolg von Bruckner's VIII. Symphonie.)
     Die Weihnachtswoche mit ihrem himmlisch-reinen, sinnvollen Zauber ist die Woche stillen Friedens, in welcher auch der Alltagsmensch sich gerne einmal in die traute Poesie der Kinderzeit zurückversetzt und mit vollem Behagen in dem Reize des Familienlebens aufgeht. [... zufällig dennoch "die bedeutsamsten Ereignisse": das Burgtheater brachte Goethes "Faust" I ...] und unsere vornehmste musikalische Körperschaft die jüngste der großen symphonischen Schöpfungen des spät, aber doch zur verdienten Würdigung gelangten Meisters Anton Bruckner.
     [... seltenes Zusammentreffen: "mächtige Erregung" ... über "Faust" ...] Mit aufrichtiger Freude aber konstatiren wir nochmals den großen tiefgehenden Erfolg, welchen Meister Anton Bruckner, der geniale Greis mit dem ewig jungen, musiküberströmenden Empfinden, mit der Erstaufführung seiner Achten Symphonie im Vereine mit den Philharmonikern errungen hat. [... "Beifallswüthige" nicht nur in der "Bruckner=Gemeinde", sondern auch im Stammpublikum ...] Aber dem Eindrucke dieses Feuergeistes kann sich der vorurtheilslose Hörer für die Dauer nicht entziehen. [... nicht die kontrapunktische Kunst, nicht die Orchesterbehandlung], es ist vielmehr der außerordentliche Ideenreichthum, mit welchen uns dieser bedeutendste Symphoniker nach Beethoven immer wieder überrascht. Seine Schöpfungen sind Offenbarungen einer elementaren, musikalischen Natur, deren Ueberkraft in der Produktion sich nur schwer in die gewohnten Formen zwingen läßt. Ist dies aber ein Fehler, hat nicht vielmehr ein so hochbedeutender Komponist das Recht, die vorhandenen Grenzen in der Formengebung zu erweitern und zu einem eigenen Styl herauszuarbeiten? [... Beispiele Beethoven und Richard Wagner ... die Hörer müssen sich damit vertraut machen ... dann sei sicher, daß] das Verständniß dieses großen Meisters in immer weiteren Kreisen Platz greifen wird.
     Nur möge Gott den allzu nachgiebigen Künstlergreis vor Kommentatoren von jener Art bewahren, wie wir sie mit Schaudern aus dem "erklärenden" Programm-Text zu seiner "Achten Symphonie" kennen gelernt haben. Daß Bruckner diesem Schwulst von Phrasen und willkürlichem Großsprecherthum seine Sanktion ertheilen konnte, war mehr als Schwäche. Bruckner ist kein "Programm-Musiker", seine Tonsprache bedarf nicht des geschraubten Erklärerthums und wir möchten, um das Uebel mit der Wurzel auszurotten, überhaupt für die Abstellung aller dieser Programm-Erläuterungen plaidiren. Dagegen möchten wir den Leitfaden mit Notenbeispielen das Wort reden, wie solche bei den Symphonie-Konzerten in der dahingegangenen Musik- und Thater-Ausstellung [sic] ausgegeben wurden und die möglichst frei von den subjektiven Anschauungen des Herausgebers zu halten wären. Damit wäre eine ebenso zweckmäßige, wie dem Publikum erwünschte Einrichtung getroffen. An kundigen Kräften hiefür ist gottlob bei uns kein Mangel.                                Alpha." (°°).

Der "Leeuwarder courant" Nr. 307 (Leeuwarden) berichtet auf S. 3 vom gestrigen Konzert [mit dem "Ave Maria" [vermutlich WAB 6], am 27.12.1892, falls die Kolumne auch mit 28.12.1892 zu datieren ist]:
"             KUNSTNIEUWS.
     Het concert van het Koor a capella, onder directie van den heer Ant. Averkamp, had gisteren namiddag eene talrjjke schare in do Grooto Kerk doen opkomen. Alles wat ten gehoore werd gebracht bevestigde volkomen de zoo gunstige beoordeelingen, uit andere plaatsen tot ons gekomen. Het programma bestond uit 12 nummers; het waren composities van Sweelinck, Obrecht, de Palestrina, de Près, Lotti, Mozart, Bortniansky, Bruckner en Mendelssohn. Het kwam alles, dank zij ook de voortreffelijke aooustiek van het gebouw, overschoon uit en verwekte eene ernstige, ja plechtige stemming Als men de oogen sloot en de zangeressen en zangers niet zag, kon men soms wanen, de volle, reine accoorden van een orgel te hooren. Bijna, vlekkeloos zuiver, zouden wij durven zeggen, onberispelijk van klank en intonatie, juißt zoo moeielijk bij a capellazang, dragen de stemmenelkander, vereenigen zij zich tot eene heerlijke harmonie, en toch is schier iedere partjj op zich zelve te volgen, iedere stem te ontleden. Dit geldt zoowel van de mannen-, als van de vrouwenstemmen. De uitwerking van de crescendo's en decresendo's was voortdunnd zoo treffend mogelijk. Uit alles was het voorts merkbaar, dat de leden van het Koor hadden weten door te dringen in den geest der door hen voorgedragen toonwerken, evenzeer in die van de oudere meesters, als in die van lateren tijd. Noode slechts konden de aanwezigen zich onderdrukken, om luide applaudissementen te doen hooren; men wil dit echter nu eenmaal niet in een kerkgebouw.
     Mej. G. Poutsma, die, als correspondente der Ned. Toonkunstenaars-Vereeniging, ook weder deze uitvoering organiseerde, verdient den dank van de leden dezer Vereeniging en van allen, die tegenwoordig waren, voor het aangeboden kunstgenot. Ook voor haar hopen wij, dat dit moge bijdragen tot vermeerdering van het getal leden te Leeuwarden." (°°°).


Zitierhinweis:

Franz Scheder, Anton Bruckner Chronologie Datenbank, Eintrag Nr.: 189212285, URL: www.bruckner-online.at/ABCD-189212285
letzte Änderung: Feb 02, 2023, 11:11