zurück 23.3.1893, Donnerstag ID: 189303235

Hinweis auf das heutige Konzert im Deutschen Volksblatt Nr. 1517 auf S. 6:
"Concertaufführung von Meister Bruckner's F-moll-Messe.
     Heute Abends findet im großen Musikvereinssaale das vom Akademischen Wagner=Vereine veranstaltete Concert statt, bei dem Bruckner's F-moll-Messe ihre erste Concertaufführung in Wien erleben soll. Das Concert verdient in mehr als einer Hinsicht einen Platz in der Geschichte des Wiener Musiklebens, denn es wird mit demselben abermals der leider bereits mehrfach fehlgeschlagene Versuch erneuert, die Alleinherrschaft der beiden Hauptconcertinstitute Wiens zu brechen und dem Publikum bei volksthümlichen Preisen und musterhaften Leistungen den Genuß werthvoller deutscher Meisterwerke zu ermöglichen. Daß Bruckner's F-moll-Messe einen der ersten Plätze in der Reihe der deutschen Meisterwerke verdient, wird die heutige Aufführung beweisen, sie wird aber auch bestätigen, daß Wien der Boden ist, auf dem sich nicht nur echt künstlerisch gebildete Kräfte zu wahrhaft classisch erhabenen Thaten zusammenfinden, sondern auf dem auch das Publikum solchen idealen Bestrebungen das nöthige Verständnis entgegenbringt. Die heutige Vorstellung wird den Beweis erbringen, ob man den Versuch in der nächsten Saison mit Aussicht auf Erfolg erneuern darf, oder ob das Wiener Concertleben in seiner bisherigen Versumpftheit ewig beharren wird. Wir halten es daher für eine nationale Ehrenpflicht jedes Deutschen, das Wirken kunstbegeisterter Männer für deutsche Musik, durch den Besuch des heutigen Concertes nach Kräften zu unterstützen. Die Mitwirkung hervorragender Kunstkräfte und der Name des Leiters des heutigen Concertes bürgt für den günstigen Erfolg. Karten zu volksthümlichen Preisen sind zu haben in der k. und k. Hof-Musikalienhandlung Gutmann, sowie in den Musikalienhandlungen Haslinger und Rättig." (*a)

und im Wiener Tagblatt Nr. 82 auf S. 6:
"     Theater, Kunst und Literatur.
[…]
     * Heute Abend bringt der akademische Wagner=Verein unter der Leitung seines Dirigenten Josef Schalk zum erstenmale Anton Bruckner’s große Messe in F-moll im großen Musikvereinssaale zu Gehör. Der Vereinschor wurde durch zahlreiche Mitglieder des akademischen Gesangvereins wesentlich verstärkt. Die Ausführung der Soli haben die Damen Chotek und Wiedermann, Kammersänger Gustav Walter und Herr Michael Hugel übernommen. Das Werk, welches schon während des Studiums das lebhafteste Interesse der Ausführenden erregte, wird die zahlreichen Verehrer des heimischen Komponisten vollzählig versammeln.“ (*b).

Die Deutsche Zeitung Nr. 7628 berichtet auf S. 7, signiert "h–m." [Theodor Helm], von der Generalprobe der Messe [die Kolumne zuvor ist datiert "22. März"]:
"    – Heute Abends (halb 7 bis halb 9) fand im großen Musikvereinsaal unter Professor Schalk's Leitung die Generalprobe der Aufführung von Bruckner's F-Moll=Messe statt. Der Ausfall der Probe, der Eifer und die Begeisterung aller Mitwirkenden, berechtigte zu den schönsten Erwartungen bezüglich der morgen (Donnerstag) zu empfangenden hehren und tief ergreifenden Kunsteindrücke. Ist es für Wien schon an und für sich ein Kunstereignis zu nennen, daß überhaupt eine Bruckner’sche Messe zum erstenmale vollständig im Concertsaale zur Aufführung kommt, so steigert sich die Bedeutung dieses Ereignisses noch wesentlich durch die getroffene Wahl. Denn gerade Bruckners F-moll=Messe gehört ja zu seinen herrlichsten Schöpfungen. Reich an den zartesten und kühnsten, den innigsten und großartigsten Stellen, uns in die tiefsten Geheimnisse religiös-musikalischer Mystik einführend, dann wieder in überirdische Regionen erhebend, wird das gewaltige Werk von keiner kirchlichen Composition der Gegenwart überragt. Ein dreifaches glänzendstes Zeugniß seiner Genialität, seiner Meisterschaft, seiner flammenden Glaubenskraft, hat sich unser Bruckner in dieser Messe selbst geschrieben – für die Ewigkeit! Möge sich daher kein wahrer Kunstfreund morgen den großen Eindruck entgehen lassen!    h–m." (*c).

Aufführung der f-moll-Messe um halb 8 Uhr im Großen Musikvereinssaal durch den Wagner-Verein (verstärkt durch den Wiener Akademischen Gesangverein) und das Orchester von Eduard Strauß unter Josef Schalk (in dessen Bearbeitung) in Anwesenheit Bruckners (*).
     Es wirken mit: der Vereinschor, Frl. Sophie Chotek, Frl. Bertha Widermann, Herr Gustav Walter [statt (#) Herrn Winkelmann (?)], Michael Hugel (#1) (= Michael Hugl, = Michael Kugel?), Violinsolo August Duesberg (#2), und als Organist Josef Labor (Orgel-Präludium über Motive der Messe und Zwischenspiel zwischen Sanctus und Benedictus) (**).
Ernst Decsey singt als Chorist mit (**a).
Außerdem gelangen das »Locus iste« und ein Interludium Josef Labors über das Benedictus der Messe zur Aufführung (***).
     Im Publikum befinden sich Hans Richter, Brahms, Gericke (°), [Göllerich (°°)?] und die Kritiker Helm, Graf, Hanslick [(°°°)?], Kunitz, Horn, Heuberger und Speidel (##).
     "Auch in diesem Jahre hat der Verein Gelegenheit gefunden, seinem Ehrenmitgliede Dr. Anton Bruckner seine Liebe und Verehrung zu bezeigen. Als der Richard Wagnerverein am 23. März 1893 die große Messe in F-moll dieses Bedeutendsten unter den lebenden Tondichtern zur Aufführung bringen wollte, lud er den Akademischen Gesangverein zur Mitwirkung ein, und dieser folgte gerne dem Rufe und sicherte dadurch dem Werke den Erfolg."
     "Trotz der Osterferien war eine größere Zahl von Vereinsmitgliedern der Einladung des Wiener akademischen Wagner-Vereines gefolgt, bei der Aufführung der großen Messe in F-moll von Dr. Anton Bruckner mitzuwirken.
     Der greise Meister konnte gar nicht genug Worte der Anerkennung und des Dankes dafür finden, daß durch diese thatkräftige Mitwirkung die Aufführung seines Werkes ermöglicht wurde. Wir freuen uns der freundlichen Worte und geben unserm verehrten Ehrenmitgliede die Versicherung, daß es auf seine "Gaudeamus" stets rechnen kann, wenn es gilt, seinen Werken zum Siege zu verhelfen." (###).

Das Konzert wird finanziell kein Erfolg, da die Preise "volksthümlich" waren. Ein Comité von Bruckner-Anhängern stellte "einen von einer früheren Bruckner-Aufführung erübrigten Betrag dem Vereine [...] zur Verfügung". Bruckner nimmt an der anschließenden »geselligen Vereinigung« teil, wo er "seinem lebhaften Dankesgefühle gegenüber unserem Vereine und der warmen Anerkennung über die Aufführung der Messe in seiner schlichten Weise Ausdruck verlieh." (a).

Aus dem Kassenbericht: "Gastbeiträge zu den internen Musik-Abenden und Einnahmen bei der Musikaufführung am 23. März . . . 1142 fl. 50 kr." und "Auslagen der Musikaufführung am 23. März . . . 1128 fl. 81 kr." (b).


Zitierhinweis:

Franz Scheder, Anton Bruckner Chronologie Datenbank, Eintrag Nr.: 189303235, URL: www.bruckner-online.at/ABCD-189303235
letzte Änderung: Nov 27, 2023, 9:09