zurück 10.9.1894, Montag ID: 189409105

Artikel (signiert »H. W.« [= Hans Woerz]) in der Wiener Sonn- und Montagszeitung Nr. 37 auf S. 1f:
"                  Anton Bruckner.
          (Geboren am 4. September 1824).
     H. W. In aller Stille, fern von Wien, der Hauptstätte seines künstlerischen Wirkens, beging der vaterländische Tondichter, dessen Name an der Spitze dieser Zeilen steht, in der verflossenen Woche zu Steyr in Oberösterreich den Tag, an welchem es ihm beschieden war, sein siebzigstes Lebensjahr zu vollenden. [... Huldigungen fielen aus, können in der Konzertsaison nachgeholt werden ... seine Erfolge verdanken sich nicht nur der neuen Kunstrichtung, haben außerhalb der Parteiungen "allgemein giltigen Werth" ... der passive Widerstand mancher Kunstfreunde wird sinken,wenn Missionseifer und Reklametrommeln der "Korybanten" nachlassen ...]
     [... zur Biographie ...33jährig [sic] nach Linz ... Wien (Konservatorium, St. Anna, Universität) ...]; allein das Unterrichten Anderer hat nie zu den starken Seiten in Bruckner's Veranlagung gehört, und es ist daher ein glückliches Ereigniß zu nennen, [... dank Ehrenpension keine Unterrichtstätigkeit mehr nötig ...]
     [... Orgel-Erfolge ... Komponist ...] Wenn der Bischof von Linz erklärte, er habe bei der Aufführung der Bruckner'schen Messe im dortigen Dome "gar nicht beten können," so mag man daraus immerhin folgern, daß es dem Bischofe an dem nöthigen musikalischen Verständniß gefehlt habe: aber das läßt sich gewiß nicht daraus folgern, daß diese Messe oder doch so mancher Theil derselben "kirchlichen Charakter" besitze. Auf symphonistischem Gebiete regte sich der Geist Bruckner's schon während der Zeit des Linzer Aufenthaltes; [... kurz über die Symphonien u. a. Werke, keine "einhellige Anerkennung" ...] Umso stürmischer brauste freilich der Jubel der wagnerisch gefärbten "Brucknerianer." Diese Herren scheuen sich ebensowenig vor dem Vorwurfe der Aufdringlichkeit, wir vor den nachtheiligen Rückwirkungen ihres Gebahrens auf die Beurtheilung, die der gemäßigte Theil der Zuhörer einem aus Parteirücksichten in den Himmel gehobenen Werke von genialer Anlage, aber fragwürdiger Formvollendung angedeihen läßt. [... manches Positive ...], das Alles genügt für sich allein nicht zu einem Kunstwerke ersten Ranges, als welches jede Tondichtung Bruckner's von seinen Anhängern den Gläubigen wie den Ungläubigen zur bedingungs- und besinnungslosen Anbetung auf den Altar gestellt wird. Aber der Künstler, den wir mit diesen Zeilen ehren wollen, trägt in seiner Brust zweifellos den Funken des Genies; er hat in kleineren und größeren Formen Einzelnes geschaffen, über dessen Werth es unter verständigen, fühlenden und unparteiischen Beurtheilern keine Meinungsverschiedenheit geben sollte, – und selbst jene zahlreichen Edelsteine, die zuweilen aus der chaotischen Verwirrung eines Tonsatzes hervorleuchten, sind von so vornehmer Schönheit, daß sie ihren Schöpfer für Jeden, der sehen will, als einen Mann von ungewöhnlicher Begabung, als einen Tondichter erkennen lassen, der – so, wie er nun einmal im Laufe seiner siebzig Lebens= und Schicksalsjahre geworden ist, – trotz aller ihm anhaftenden Mängel und Schwächen über die Schaaren der "beliebtesten" Mode= und Speculationscomponisten gewaltig erhaben ist.
     Wir wissen, daß wir mit unserem Urtheile über Anton Bruckner der heutigen öffentlichen Meinung nicht entsprechen und weder seinen Freunden, noch den Gegnern seines Wesens genugthun. Als Künstler ist unser Jubilar ein self made man – und "was kein Verstand der Verständigen sieht, das übet in Einfalt ein kindlich' Gemüth." " (*)
 
und (teilweise irrig) in der Wiener Montagspost Nr. 44 auf S. 5:
"     Prof. Dr. Anton Bruckner, der größte lebende Symphonik [sic] feierte am 4. September d. J. seinen 70. Geburtstag. Unser Meister, welcher sich in Steyr momentan aufhält, wurde von zwei Gesangs= und Musikvereinen durch ein Ständchen überrascht, und von einer Deputation, der Bürgermeister an der Spitze, begrüßt. Langezeit war Bruckner eine vielbestrittene Erscheinung. [... biographische Angaben: u. a. "Dom=Organist in St. Florian", dann Linz, 1867 [sic] nach Wien, Konservatorium, Universität, Ehrendoktorat ...] Was Bruckner als Lehrer anbelangt, ist er höchst originell. Man muß nur wissen wie der Meister bei der Dissonanz anklopft, und ihr quasi mit allen Schrecknissen der Hölle droht, sich aufzulösen, und wie er dann mit freudestrahlenden Augen die Dissonanz (auch Waucherl) seiner Auflösung zuführt. [... zu einzelnen Werken, u. a. "Halleluja" [= 150. Psalm], Adagio des Quintetts etc. ...] Die Fuge "Alles was Odem hat, lobet [sic] den Herrn" aus dem 150 Psalm, ist contrapunctisch so großartig gebaut, wie nur ein J. S. Bach es vermocht hatte. Und wahrlich, wenn auch Bruckner heute noch nicht anerkennt werden will, theils wegen seiner nationalen Richtung, theils wegen der Presse, wir sind Oesterreicher und reichen ihm gleich dem "Deutschen Michel" die Hände und rufen ihm zu: Eine Deiner Symphonien hören, Meister dann mach' mit uns was Du willst! – Zu seinem siebzigsten Geburtstage wollen wir ihm nicht nur als Auserwählten des österreichischen Volkes wissen, sondern auch in Liebe und Verehrung den größten lebenden Symphoniker nennen." [keine Signatur] (**).

Brief von Lothar Fleischanderl (Steyr) an Bruckner:
     Wegen eines Abitur-Treffens in Linz habe er versäumt, die Glückwünsche und Blumengrüße des Neuen Richard-Wagner-Vereins rechtzeitig zu übermitteln (***).
 
Brief von Anton von Ölzelt-Newin (Maria Wörth) an Bruckner:
     Gratuliert verspätet, da er als säumiger Zeitungsleser erst heute vom 70. Geburtstag erfahren habe (°).
 
Adolf Exner gestorben. Der entsprechende Partezettel hat sich erhalten (°°).
 
Die Extrapost Nr. 660 (Wiener Montags-Journal) setzt sich auf S. 4 mit dem Phänomen "Ehrungen" auseinander:
"     (Was sich Wien erzählt!) Sonst war es in Wien Gebrauch, Künstler, Dichter und Musiker unserer Heimat würdig, wenn sie nur erst ein Alter von mindestens 80 Jahren erreicht hatten, zu ehren. Das sollte sie für die allgemeine Theilnahmslosigkeit, für Erniedrigungen, Entbehrungen und Hohn der jüngeren Jahre entschädigen, die ihnen, wie etwa Grillparzer und Saar, bei uns zumeist zutheil werden. Bei solchen Gelegenheiten erinnern sich gewöhnlich alle Vereine und Körperschaften, die Wohlhabenden der Gesellschaft einer Art von Pflicht gegen unsere Meister. Diplome, Adressen und Spenden aller Art mit geistreichen Widmungen, sind die äußeren Zeichen, denen man gerne die weiteste Publicität gibt, denn sie verdienen Nachahmung. Nun kam Bruckner an die Reihe. Berufene Kritik hat seine hohe Kunst eingehend gewürdigt. Den zweiten Beethoven nannte man ihn, Das mußte genügen. Feste, Feierlichkeiten, die üblichen Ehrungen, oder gar Salvatormedaillen gab es diesmal nicht. Man begeht die Einen und verleiht die anderen jüngster Zeit nur wenn es gilt einen besonderen Künstler zu ehren wie etwa – Girardi. Und wer ist der greise Jubilar der vergangenen Woche, das Musikgenie, das große Kind Bruckner, der bescheiden und still ein dornenvolles Leben muthig durchgelebt, wohl für die große Menge der geistreichen Jubiläumskibitze? Wer ist der Organist Bruckner wohl für den Gemeinderath? Und darum können wir diesmal nichts von großen Jubiläumsfeierlichkeiten melden, von Auszeichnungen und kostbaren Geschenken, die man, um Meister Bruckner zu ehren, gespendet hat. " [keine Signatur] (°°°).
 
"Het vaderland" Nr. 213 ('s-Gravenhage) schreibt auf S. 6 zum 70. Geburtstag ergänzend: "     Bij gelegenheid van zijn 70n verjaardag werd Bruckner ook eereburger van Linz en eerelid van den Schubert-bond te Weenen. Onder de gelukwenschen was er ook een van prof. baron Eiselberg te Utrecht." (#).


Zitierhinweis:

Franz Scheder, Anton Bruckner Chronologie Datenbank, Eintrag Nr.: 189409105, URL: www.bruckner-online.at/ABCD-189409105
letzte Änderung: Jan 16, 2024, 10:10