zurück 9.11.1894, Freitag ID: 189411095

Brief Bruckners an Ludwig Koch:
    Dankt für die Wahl und Aufführung der Messe [f-Moll-Messe am 4.11.1894] der Direktion, dem Dirigenten [Gericke], den Mitwirkenden, vor allem dem Singverein und dem Vorstand Köstinger (*).

Besprechungen der f-Moll-Messe (am 4.11.1894) erscheinen

im Deutschen Volksblatt Nr. 2103 auf S. 1:
»                         Aus dem Concertsaal.
     Nicht so bald dürfte eine Musiksaison mit so umfassenden Feierlichkeiten eingeleitet worden sein, wie die diesjährige, es galt ja, eine ganze Reihe auserlesener Geister bei Wiederkehr ihrer Ehrentage mit Sang und Klang zu verherrlichen. [... Johann Strauß ...]
     [... Palestrinas und Orlando di Lassos 300. Todestag ... Aufführung ließ zu wünschen übrig ...]
     Um nicht zu herb zu werden, möchten wir es dem fast bis zur Neige erschöpften Jubel für den einen, streng heimatlichen Tondichter zuschreiben, daß für einen anderen, gewiß nicht Geringeren, für Dr. Bruckner, die Ehrung in ungleich mäßigerem Grade ausfiel. Zum 70. Wiegenfeste des um die Tonkunst Deutsch=Oesterreichs so hochverdienten und unbestreitbar ersten einheimischen Meisters der Gegenwart hätten wir eine öffentliche und als solche auch klar angekündigte große Feier nur recht und billig gefunden, sie hätte dem bescheidenen und auch heute noch von mancher Seite verkannten und heftig angegriffenen Tonkünstler ebenso wie nur irgend einer unserer Größen vollauf gebührt. Der Plan hierzu hat wohl bestanden, kam aber nur deshalb nicht zur Verwirklichung, weil hierzu auserlesene Kräfte aus Gründen, die uns schwer einleuchten können, ihre Mitwirkung versagt hatten. Wenn es dennoch zu einer Bruckner=Feier kam, so ist dies der Gesellschaft der Musikfreunde zu verdanken, welche gewiß nicht ohne Absicht am verflossenen Sonntag in ihrem ersten Concert Bruckner's große F-moll=Messe aufführte, das entschieden eigenartigste und hervorragendste kirchliche Opus der Neuzeit. [... Besprechung im März 1893 ... heute nur Aufführungsbericht: zu den einzelnen Sätzen ... die letzten Sätze] dürften sicherlich manchen Gegner Bruckner's in seiner Anschauung erschüttert haben. Als Krone des Ganzen glänzte auch diesmal das gewaltige, überzeugungstreu klingende Credo. [... "Incarnatus", "Resurrexit", "Regni non erit finis" ...] Dem umfangreichen Werke ward unter Gericke's Leitung eine treffliche Aufführung zutheil, wenngleich stellenweise etwas mehr Schwung nicht geschadet hätte. Die Soli wurden von den Damen Chotek und Kusmitsch und den Herren Erxleben und Kraus gesungen; Letzterer war für den plötzlich verhinderten Herrn von Reichenberg erfolgreich eingetreten. Ohne die Verdienste der mitwirkenden Einzelsänger schmälern zu wollen, hätten wir es doch lieber gesehen, wenn Kräfte allerersten Ranges in den Dienst der Bruckner'schen Muse getreten wären. Reicher, stürmischer Beifall wurde dem anwesenden Tondichter und allen Mitwirkenden gezollt.
     Der Vollständigkeit halber sei noch einer letzten Feier gedacht, des sehr gelungenen Hans Sachs=Abends in der Hofoper ("Die Meistersinger von Nürnberg") [mit Reichenberg als Pogner trotz Indisposition], über welchen wir an anderer Stelle bereits berichtet haben. [... über weitere Konzerte (Bellincioni, Pachmann, Felix Kraus mit Paumgartner), wegen der "Meistersinger" das schlecht besuchte, aber herausragende Konzert der Engländer versäumt ... heute nochmals Gelegenheit], die phänomenale Erscheinung gleichfalls zu beurtheilen.
                                            Camillo Horn.« (**)

und im Fremdenblatt Nr. 308 auf S. 6. signiert "L. Sp." [Ludwig Speidel]:
„      Theater und Kunst.
                 Konzerte.

     Am jüngsten Sonntag hat die Gesellschaft der Musikfreunde Anton Bruckner's siebzigsten Geburtstag durch die Aufführung der F-moll-Messe des Jubilars gefeiert. Der Gefeierte war anwesend und dankte dem Publikum, das sich mit Beifall nicht genug thun konnte, aus seiner Loge. Bruckner's Messe ist schon früher aufgeführt und besprochen worden, doch sind die Eigenthümlichkeiten und Schönheiten des großangelegten und mit Geist durchgeführten Tonwerkes durch die Verwendung der reichen künstlerischen Mittel, die der Gesellschaft der Musikfreunde zu Gebote stehen, stärker und voller hervorgehoben worden. Bekanntlich ist Bruckner, der an der Orgel aufgewachsen, aus der Kirche hervorgegangen und hat mit ihr stets Fühlung behalten, wenn er auch die Bahnen der modernsten Weltmusik mit unvergleichlicher Kühnheit durchmaß. Es gibt Stellen und Sätze in seinen Symphonien, wo ihn das Heimweh nach der Kirche, nach ihrem Weihrauchduft und ihrer Sonntagsseligkeit zu beschleichen scheint, und gleich neben diesen Erinnerungen macht sich ein kindliches Behagen an den Volksbelustigungen am Kirchweihfeste geltend. Seine Jugend, der Schulmeister, der Organist, der Spielmann wacht dann musikalisch in ihm auf, und nicht nur für die empfangene Seelenspeise ist er dankbar, sondern jeder Bissen Krapfen und jeder Schluck Most, den ihm eine gastliche Hand geboten, scheint ihm in der Nachempfindung noch wohltzuthun. Von Zeit zu Zeit wendet er sich als Komponist ganz der Kirche zu. Er schreibt seine Kirchenmusiken, von denen seine Messe in F-moll wohl die bedeutendste ist Die alte Neckfrage, ob seine Messe denn kirchlich sei, hat auch Bruckner hören müssen. Es ist etwas Eigenes mit der Kirchlichkeit der Musik. Wenn man auch vor dem Herrn die Schuhe auszieht, so ist man doch erst recht ein Mensch, wenn man auf seinen nackten Füßen steht. Der Geist muß es machen auch in der Kirchenmusik, nicht aber ein abgezogener, dürrer, todtschlächtiger Geist, sondern ein Hauch und Feuer, das ins Irdische führt, daß es zum Himmel auflodert. Jede Zeit hat es verstanden, mit ihren künstlerischen Mitteln kirchlich zu sein; Mozart so gut wie Palestrina, oder braucht Mozarzt's Ave verum — ein von allem irdischen Wohllaut geschwellter himmlischer Gesang — vor irgend einem Satz von Palestrina an Kirchlichkeit zurückzustehen?  .  .  .   Auch Bruckner ist kirchlich in seiner Musik, ohne seine Sprache verleugnen zu müssen. Mit heiligem Ernst geht er in seinen Gegenstand ein; er trachtet auf seine Tiefe zu kommen, er sucht ihn zu erschöpfen. Wie faßt er nur das „Erbarme Dich unser“ von allen Seiten! Von der tiefsten Demuth und Zerknirschung steigert er den Nothschrei bis zur Höhe des Kampfgebets. Wie nun das Credo den ganzen christlichen Glauben umfaßt, so ist hier Bruckner's Musik auch am reichsten, am beredsamsten, am eindringlichsten. Das Dogma sprengt seine Schale, wird Leben, wird Geschichte, wird Drama, und neben und mit den Seelenregungen, die sich im Gläubigen vollziehen, werden auch die Heilsvorgänge mit sinnlicher Anschaulichkeit vorgeführt. Man meint zu sehen, indem man hört. Und immer erscheint wieder, wie ein Alles zusammenhaltendes starkes Band, das Hauptthema, das voll Kraft und Zuversicht den Glauben charakterisirt. Der lieblichste Satz ist das Benedictus, wo die über der Violoncellen und Geigen herabsteigenden Frauenstimmen an niederschwebende Engel gemahnen  . . .  Das große Tonwerk, das namentlich an die Sänger bedeutende Ansprüche macht, wurde unter Wilheln Gericke's Leitung vortrefflich ausgeführt. Man konnte den Meister nicht oft genug rufen. Bei jedem neuen Erscheinen erfreute man sich an dem scharf geschnittenen Charakterkopf, der ein ganzes Künstlerleben zu erzählen scheint.
     Sonst hat es an Konzerten nicht gefehlt, aber es läßt sich darüber nicht gar viel sagen.[... über weitere Konzerte ....]         L. Sp." (***).


Zitierhinweis:

Franz Scheder, Anton Bruckner Chronologie Datenbank, Eintrag Nr.: 189411095, URL: www.bruckner-online.at/ABCD-189411095
letzte Änderung: Mai 14, 2024, 8:08