zurück 1.12.1894, Samstag ID: 189412015

In der Deutschen Kunst- und Musik-Zeitung Nr. 23 erscheint auf S. 289 ein Bericht über die Aufführung der f-Moll-Messe [am 4.11.1894]:
"                Concerte.
     Unsere zwei großen Concert=Unternehmungen, die Philharmoniker und die Gesellschaft der Musikfreunde, haben ihre Thätigkeit in dieser Saison wieder aufgenommen. und wenn nicht alle Zeichen täuschen, unter einem „neuen Curs", zu welchem unseren österreichischen Componisten nur zu gratuliren wäre. Oder ist es vielleicht nur Zufall, daß das erste philharmonische Concert neben Smetana's „Sarka" aus dem symphonischen Cyklns „Mein Vaterland" auch noch Robert Fuchs' Serenade Nr. 5, welche dieser treffliche Meister zum Strauß=Jubiläum geschrieben hatte, aufführte. Während das erstgenannte Werk wegen seiner schönen, dramatisch=bewegten Musik, die allerdings etwas darstellen soll, das nicht in der Macht der Tonkunst liegt, gerne wiedergehört werden wird, ist Fuchs' Arbeit lediglich Gelegenheitsmusik, geistreich und schön gearbeitet, wie alle Musik dieses Meisters, doch von geringerer Bedeutung und jedenfalls nur deshalb in das Programm der philharmonischen Concerte aufgenommen, um die Serenade auch einem weiteren Kreise der Wiener Musikfreunde vorzuführen. Die Gesellschafts=Concerte eröffneten ihren Reigen mit Bruckner's F-MoII-Messe. Ganz abgesehen von der Ehrung des Meisters, welche anläßlich seines 70. Geburtsfestes damit beabsichtigt war, verdiente das herrliche Werk eine Wiederaufführung schon deshalb, weil es den Altmeister der gegenwärtigen Componisten in seinem besten Lichte zeigt. — Auch sonst hat es an Concerten in Wien nicht gefehlt. [...]    Keller." [Otto Keller] (*).

Auf Seite 300 informiert ein Inserat des Verlages Doblinger über gedruckte Bruckner-Werke [inhaltlich wie am 15.11.1894]:
"                 Soeben erschienen:
                      Anton Bruckner.
           Grosse Messe Nr. 3 in F-moll.

Clavierauszug mit Text, arrangirt von Josef Schalk netto fl. 7.20 | Orchester=Partitur netto fl. 21, Orchesterstimmen, netto fl. 21, Chorstimmen fl. 3.60.
Erste Aufführung im 1. Concert der Gesellschaft der Musikfreunde in Wien am 4. November.
              Zweite Symphonie C-moll.
Clavierauszug zu 4 Händen, arrangirt von Josef Schalk fl. 7.20
Orchester=Partitur netto fl. 18     Orchesterstimmen netto fl. 18.
I. Aufführung in einem der ersten philharmonischen Concerte.
     
Früher erschien von demselben Componisten:
               Erste Symphonie C-moll.
Clavierauszug zu 4 Händen, arrangirt  von Ferd. Löwe fl. 7.20
Orchester=Partitur netto fl. 18.     Orchesterstimmen netto fl. 18.
     Der 150. Psalm für Chor, Soli und Orchester.
Clavierauszug mit Text, arrangirt von Cyrill Hynais netto fl. 2.40
Partitur netto fl. 6, Orchesterstimmen netto fl. 6, Singstimmen fl. 1.20
Helgoland, Gedicht v. Dr. Aug. Silberstein, für Männerchor und Orchester.
Clavierauszug mit Text, arrangirt von Cyrill Hynais fl. 3. –
Orchester=Partitur, Orchesterstimmen in Abschr., Chorstimmen fl. 1.44.
Verlag von Ludwig Doblinger (B. Herzmansky),
     [... Adresse etc. ...]" (**).

Die Musikalische Rundschau Nr. 22 erwähnt Bruckner auf S. 157:
"            Pariser Brief.
(Berlioz-Aufführungen.) [...] Will man übrigens, da wir dabei sind, ein Beispiel anderer Art und aus jüngerer Zeit, so erinnere man sich, daß auch das ursprünglich von den (oder mit den) Philharmonikern geplante Bruckner-Concert [2. Symphonie am 14.1.1894] abgesagt wurde. – "Wegen Ueberbürdung des philharmonischen Orchesters" hieß es in den Zeitungen, und sicher verhielt es sich auch so. – Es ist nur die Frage, ob das philharmonische Orchester, da es sich um die Feier des 70. Geburtstages des großen Meisters handelte, nicht etwa auf anderer Seite hätte entlastet werden können – selbst wenn hierdurch das neu-italienische und sonstige merkwürdige Repertoire der Hofoper zu kurz gekommen wäre." (***).

Auf S. 160 werden die Konzerte vom 4.11.1894 (mit der f-Moll-Messe) und 25.11.1894 (mit der 2. Symphonie) besprochen, signiert "G." [vermutlich Max Graf]:
"           Bruckner-Concerte.
     Den 70. Geburtstag Anton Bruckner's feierte die Gesellschaft der Musikfreunde mit der Aufführung seiner F-moll-Messe. Da das Werk in Nr. 7 des Jahrganges 1893 gelegentlich seiner Aufführung im Concerte des Wagnervereines (23.März 1893) ausführlich besprochen wurde, sei hier nur erwähnt, daß der Eindruck wiederum der eines echten Kirchenmusikwerkes eines großartigen modernen Tonmeisters war, wenn gleich die Aufführung es oft an Schwung und mitreißender Begeisterung fehlen ließ. Die Philharmoniker gratulirten mit Bruckner's II. Symphonie (C-moll). Das Werk steht zwischen Bruckner's I. Symphonie (C-moll), in welcher sich die Themen wie erotische [sic] Blöcke gigantisch, aber formlos ineinanderthürmen und der dritten Symphonie (D-moll), die in ihrem Gemisch heroischen Aufschwungs (1. Satz), fröhlicher Jagdstimmung (3. Satz) und mit Tanzlust unterbrochener Tragik (4. Satz) ein seltsam ungegohrenes Ganze [sic] bietet. Bei solcher Nachbarschaft wird man sich über den Mangel einheitlichen Aufbaues – diese Kunst hat Bruckner erst in seiner "romantischen" 4. Symphionie (Es-dur) gelernt – nicht wundern. Jeder Satz zerfällt in mehrere Episoden, welche einzelne Themen in wunderbarer Contrapunktik ausbauen, die Entwicklung auf einem Orgelpunkt ausruhen lassen und mit einer langen Generalpause abbrechen, ohne daß die Episoden selbst organisch verbunden sind oder sich im Gegensatze steigern. Staunenswerth bleibt jedoch der Reichthum lyrischer Episoden: so schmeichelt sich die Gesangsgruppe des ersten Außensatzes mit ihrer schwellenden, von den übrigen Streichern umrankten Cellomelodie unfehlbar in's Ohr ein. Von den drei Hauptthemen des ersten Satzes trägt überhaupt keines – wie sonst bei Bruckner – heroische Physiognomie. Die Perle des Werkes ist ein in religiösem Hymnus anhebendes und großartig aufgebautes Adagio, mag auch das Scherzo mit seinen kräftigen Rhythmen und dem wienerisch anklingenden Mittelsatze bei der Aufführung den größten Jubel geweckt haben.     Mit Ausnahme des Scherzos ist das Verständnis der Symphonie – wenn wir nicht irren – auf große Schwierigkeiten gestoßen. Das will nicht verwundern bei einem Werke, welches jedes Maß althergebrachter Größe verschmäht. Wer wagt zu entscheiden, ob nicht gerade Dasjenige, was unklar schien, das Wetterleuchten einer fernen Zukunft war, das heute den Blick blendet? Daß sich darin die Größten hierin oft geirrt, mag eine Kritik Karl Maria Weber's über Beethoven's 4. Symphonie, dieses Muster [sic] an klarem Ebenmaß, beweisen: "Hört das Recept der neuesten Symphonie, das ich soeben von Wien erhalte, und urtheilt darnach: Erstens ein langsames Tempo voll kurzer, abgerissener Ideen, wo ja keine mit der anderen [Zusa]mmenhang haben darf! Alle Viertelstunden drei oder vier Noten! – Das spannt! Dann ein dumpfer Paukenwirbel und mysteriöse Bratschensätze, Alles mit der gehörigen Portion Generalpausen und Halte geschmückt. Endlich, nachdem der Zuhörer vor lauter Spannung auf das Allegro Verzicht gethan, ein wüthendes  Tempo, in welchem aber hauptsächlich dafür gesorgt ist, daß kein Hauptgedanke hervortritt und dem Zuhörer desto mehr zu suchen übrig bleibt; Uebergänge von einem Ton in den anderen dürfen nicht fehlen.  .  .  .  Ueberhaupt vermeide man alles Geregelte, denn die Regel fesselt nur das Genie."               G." (°).

Die Ostdeutsche Rundschau Nr. 330 veröffentlicht auf S. 1f eine Kritik August Püringers zur Aufführung der 2. Symphonie:
"               Zweites philharmonisches Konzert.
     Wenn man von dem Höllentanz moderner Musikmacherei schon ganz schwindlig und taumelig geworden ist, so wirkt das echtgezeugte und freigeborne Werk des Genies auf Einen, als ob man mitten in dem heißen hautzerschneidenden Wirbel eines wüsten Sand= und Staubsturmes hätte Stand halten müssen, während plötzlich aeolische Gunst die graue, grieslige Wand vor unserem Gesichte zerreißt und uns einen entzückenden Asublick auf die fernen blauen Berge jenes Wunderlandes der Geheimnnisse des Daseins öffnet, das nur die ernsten Forscherblicke des entkörperten Geistes, des schaffenden Genius genießend durschweifen [sic] dürfen. [... über die Diskrepanz zwischen dem Genie und den anderen sich zur Bedeutung Aufspielenden, die nur Staub aufwirbeln (Liszt: "Mundus vult schundus!") ...]
     [... über Beethovens "Egmont", Liszts Klavierkonzert mit Richard Epstein ...], wenn auch nicht mit allzugroßer Empfindung, die durch das unleidliche Arpeggiren weicher Akkorde nicht ersetzt werden kann.
     Zum Schlusse gab's noch ein wahrhaftiges Meisterstück: Bruckner's zweite Symphonie. Bruckner war noch um gut 20 Jahre jünger, als er dieses Werk schuf, welches denn auch eine straffe Gedankenkonzentration aufweist, die z. B. der F-moll Messe und Werken des greiseren Bruckner unseres Erachtens an manchen Stellen mangelt. Es gibt kaum etwas Zündenderes auf dem Gebiete der symphonischen Tonkunst, als das knappe Scherzo dieser zweiten Symphonie mit dem kecken Rythmus [sic] der Pauken und Trompeten und der geradezu überwältigend herzinnigen Gesangsstelle im Trio; selten hat uns ein Adagio eine solche geniale Weltschau eröffnet, wie der zweite Satz dieser Symphonie, in dessen großartigem Schlusse wir nur an das sehnsüchtig schmerzliche leise, wie über einen weiten blauen See herüberdringende Flötenthema zu erinnern brauchen, um eine Stimmung heraufzubeschwören, wie man sie sehnsuchtsvoller sich gar nicht ausdenken kann. –
     Der Beifall, den dieses Werk fand, war begeistert und begeisternd.
                                         Aug. Püringer." (°°).

In seinem Konzertbericht im Deutschen Volksblatt Nr. 2125 auf S. 1ff geht Camillo Horn auch auf die Aufführung der 2. Symphonie (am 25.11.1894) ein:
"                      Aus dem Concertsaal.
     Wenige Anzeichen deuten bis nun darauf hin, daß wir schon in strenger Winterszeit leben; die milden Tage könnten uns noch den Herbst vorspiegeln, wären nicht die Abende, die unermüdlich Concerte auf Concerte bringen, ungeachtet dessen, daß fast alle einer gewissen Kälte und Frostigkeit begegnen. [... große Zahl, spärliche Anziehhungskraft ...] Nur ein ähnlich gefesteter Ruhm und eine fast sagenhafte Beliebtheit, wie sie die Philharmoniker besitzen, veranlassen das Publikum, sich in Schaaren heranzudrängen, um auch den geräumigsten Saal zu füllen. Es war dies beim 2. Abonnement=Concert der Philharmoniker zu bemerken, welch' letztere sich diesmal mit einem besonders gewählten, ebenso stilvollen als fesselnden Programm eingefunden hatten. [... Beethoven, Hans Richter, Richard Epstein, Liszt ...] Besonderes Interesse weckte die 2. C-moll=Symphonie von Anton Bruckner, welche im Concerte der Philharmoniker zum erstenmale gespielt wurde, nachdem sie schon am 26. October 1873 (wie der Bruckner=Kenner Dr. Th. Helm in dem sehr empfehlenswerthen Programmbuch der Philharmoniker nachweist), in einer Art Festconcert unter des Componisten persönlicher Leitung zum Schlusse der Weltausstellung aufgeführt worden war. An Kühnheit und an Mächtigkeit der Gedanken wird dieses Werk von anderen uns bisher bekannt gewordenen Symphonien Doctos Bruckner's wohl noch übertroffen. Gleichwohl trägt es in allen vier Sätzen ein geniales, durchaus originelles Gepräge und bekundet glänzend Bruckner's meisterhafte Gestaltungskraft und seine geradezu verschwenderische Fülle herrlicher Gedanken. Schon der erste Satz mit seinem ausgedehnten Hauptthema, der idyllischen, echt Bruckner'schen Ges-dur=Stelle und sonstigen reizenden Einzelheiten fand lebhaften Beifall, der sich nach den beiden folgenden Sätzen noch erheblich steigerte. Das feierliche Andante fesselte nicht wenig durch seinen ungemein interessanten Seitensatz mit seiner hartnäckig festgehaltenen Pizzicato=Begleitung, durch die später auftretende äußerst kunstvolle Polyphonie und den poetischen, an fernes Glockengeläute mahnenden Schluß. Wie aus einem Gusse erscheint mit überschäumender Lebenslust das Scherzo, zu welchem das liebliche, gemüthvolle Trio in wirkungsvollem Gegensatz steht. Dieser letztere Theil muthet wie ein Stimmungsbild aus Bruckner's Heimat an. Die Begeisterung, welche sich in ebenso stürmischer als herzlicher Weise äußerte, darf der berühmte Componist als einen vollgiltigen Beweis seiner großen Beliebtheit ansehen.
     Mit minder anziehendem Programme führte sich dieses Jahr das tschechische Streichquartett ein. [... über dieses und andere Konzerte, die Hans-Sachs-Feier der "Meistersinger zu Wien" mit einem Vortrag Otto Kellers ...]
     [... über den Meistersänger Eugen Gura, unterstützt durch die] Hilfeleistung, welche Herr Dr. Paumgartner durch seine ausgezeichnete Begleitung dem Sänger und den Tondichtern gewährte.                                 Camillo Horn." (°°°).


Zitierhinweis:

Franz Scheder, Anton Bruckner Chronologie Datenbank, Eintrag Nr.: 189412015, URL: www.bruckner-online.at/ABCD-189412015
letzte Änderung: Mai 14, 2024, 8:08