zurück 25.9.1895, Mittwoch ID: 189509255

Die Neue Freie Presse Nr. 11166 (Abendblatt) meldet auf S. 1, daß Bruckner Vorlesungen an der Universität angekündigt habe:

"     [Von der Universität.] Der vor Kurzem ausgegebene Lections=Katalog der Universität enthält wie alljährlich eine Fülle interessanter und bedeutender Vorlesungen, [...] Heuer aber glänzt die Universität nicht weniger durch ihre thätigen Lehrer als durch ihre abwesenden. [... u.a. Eugen Burckhard, Hanslick (wegen Altersgrenze, wie auch Brentano), Wickhoff (beurlaubt) ...] Der greise Meister Anton Bruckner liest wie immer sein Colleg über Harmonielehre. [... Prof. v. Berger, Emil Reich ...] Mit diesen wenigen Beispielen ist die Reihe der interessanten Vorlesungen aus den verschiedensten Disciplinen noch lange nicht erschöpft." (*).
 
In einem Feuilleton des Pester Lloyds Nr. 230 auf S. 3f, signiert "L. H-i." [vermutlich Ludwig Hevesi], über eine Münchner Kunstausstellung wird Böcklins Malweise mit Bruckners Musiksprache verglichen:
"               Münchener Brief.
                                      – 22. September.*)
[Fußnote: *) Der erste Brief ist im Morgenblatte Nr. 228 vom 22. d. erschienen.]
     L. H–i. Die moderne, oder wie ich sie lieber nenne: modernistische Bewegung in der Malerei scheint einstweilen zum Stillstand gekommen. Es ist eben kein Mensch Genie genug, um jeden Tag das Pulver zu erfinden. Man steht plötzlich vor einer Mauer und hat keine Leiter, so daß man sich schließlich entschließen muß, auf die Schultern der verpönten Alten zu steigen, um hinüberzukommen. Es ist überaus lehrreich zu sehen, wie so mancher wilde Fußsteig wieder zurückmündet in die alte Landstraße. So malt Fritz v. Uhde, der feinfühlige Meister heiliger Nebel- und Zwielichtstimmungen, neuestens große Renaissancebilder aus dem Neuen Testament. [... (das Bild mit Bruckner ist nicht darunter) ... Franz Stuck ...]
     Und Böcklin selbst, den die Moderne als einen Grundpfeiler des Systems vergöttert, ist er etwa in ihrem Sinne modern? [... 15 Bilder in beiden Ausstellungen, die neuesten wie von einem Altdeutschen ...] Seine naive Freude an starken Lokalfarben, die er schneidend neben einander stellt, erzeugt Bilder, die mich immer wieder an alte Glasgemälde erinnern. Wäre der Mann nicht in seinem ganzen Empfinden so urwüchsig, daß er den Beschauer vergewaltigt, so würde man sie nicht gelten lassen. Er ist ein Ungeschlachter, der voll persönlicher Feinheiten steckt: man könnte ihn darin mit Anton Bruckner, dem Wiener Organisten und Komponisten vergleichen. Er hat etwas von der Unzurechnungsfähigkeit des großen, ewigen Kindes, das nach Sonne und Mond greift, und dabei einen eigensinnigen Kunstverstand, der sich seine eigene Welt geschaffen hat. [... über Böcklins Stil ...]
     [... Worpswede (Mackensen, Modersohn, Overbeck, Vogeler) etc. (u. a. Menzel), zuletzt über Lenbachs Porträts ...] So schafft man aus Nichts die Welt." (**).


Zitierhinweis:

Franz Scheder, Anton Bruckner Chronologie Datenbank, Eintrag Nr.: 189509255, URL: www.bruckner-online.at/ABCD-189509255
letzte Änderung: Feb 02, 2023, 11:11