zurück 30.10.1895, Mittwoch ID: 189510305

Brief Bruckners an Ignaz Bruckner:
    Ignaz solle jetzt nicht [nach Wien] kommen [vgl. Brief vom 27.10.1895]. Er, Anton, sei noch immer leidend. Falls Bekannte aus St. Florian ihm schreiben, solle Ignaz gleich im voraus Antons Dank melden. Namenstagsgrüße an Aigner [Karl Borromäus, am 4.11.1895]. "[...] Komme jetzt nicht, - bis künftiges Jahr. Ich bin noch immer leidend. Hochwürdigsten H. Praelaten meinen Respekt! [...] Sollte jemand schreiben, so melde gleich im Voraus meinen Dank. Dein Bruder Anton. Wien, 30. Okt. 1895." (*).

Brief Bruckners an Ernestine Korda:
    Dankt für Ihren Brief. Sein leidender Zustand scheine sich zu bessern. Wie ein Gefangener harre er der Erlösung (**).

Bericht der Linzer Tagespost Nr. 251 auf S. 5f über die Aufführung der 4. Symphonie [am 27.10.1895], signiert "Dr. - zl." [Dr. Emil Kränzl]:
"                       Erstes Musikvereinsconcert.
     Die Aufführung einer Symphonie von Anton Bruckner ist uns in zweifachem Sinne ein musikalischer Freudentag; erstlich, dass sich endlich wieder ein Meister gefunden hat, der berufen war, das Erbe Beethovens anzutreten und Werke von wahrhaft symphonischem monumentalem Gepräge geschaffen hat, und dann dürfen wir in diesem Falle doch auch den landsmännischen Gefühlen etwas Raum geben und uns freuen, dass dieser Meister einer der Unseren ist. Es ist von Bruckners Verehrern viel geklagt worden, dass ihm erst so spät die Siegespalme der Anerkennung zutheil geworden; er hat es eben nicht verstanden, in modern industriösem Geiste selbst für den Vertrieb seiner Werke zu sorgen, er saß still in seiner Kammer und schrieb eine Symphonie nach der andern, bis er die durch Beethoven geheiligte Neunzahl erreicht hatte. Es war vielleicht gut so – allzufrühe Verhimmelung ist für den schaffenden Kpnstler eine große Gefahr, und nur in schwerem Mühen und Ringen wird da Höchste erreicht, das Amt des Hohenpriesters der Kunst erworben, wie die Kunstgeschichte aller Zeiten darthut. Schwer erklärbar bleibt es aber doch, dass ein Werk von so packender Ursprünglichkeit, Kraft und Klarheit, wie gerade Bruckners vierte Symphonie, nicht schon längst in den Concertsälen heimisch und allgemein bekannt geworden ist. [... geringe Neugier bei Konzertveranstaltern etc. (Bruckner wäre sonst nicht unbemerkt geblieben) ... ] Es ist ja auch sonst in neuerer Zeit auf dem Gebiete der Symphonie manch liebenswürdiges und interessantes Werk geschaffen worden, das meiste hievon könnte man aber besser orchestrierte Sonaten- oder Kammermusik nennen, es fehlt der große Zug, der monumentale Charakter, der unserem Bruckner in so hohem Maße eigen.
     Vor mehreren Jahren hat der Linzer Musikverein die 3. (D-moll) Symphonie des Meisters aufgeführt, gestern ließ er die 4. (in Es-dur) folgen. Sie hat vor jener mehr Geschlossenheit im Aufbau und in der Form voraus. Sie dürfte wohl überhaupt die beliebteste und populärste unter ihren Schwestern werden, an Klarheit und leichtem Fluss der Tonsprache steht sie wohl – wenn man allenfalls den 4. Satz ausnimmt – unter ihnen obenan. Der Meister nannte sie die "romantische", wohl nur relativ, wie man etwa unter Beethovens Symphonien die 4. und 6. "romantisch" nennen könnte. Es gibt wohl kaum einen modernen Tondichter, der so wenig von der romantischen Kunstrichtung beeinflusst ist, wie Bruckner. Seine Muse ich nicht im romantischen Dämmerlichte zu finden, es ist alles klarer, lichter Tag. Bruckner hat eine Vorliebe für das Glänzende, er liebt den Goldglanz des Hörner= und Trompetenklanges und verwendet ihn reichlich, seine Bilder sind, wie die der altchristlichen Maler, auf Goldgrung gemalt. Auch seine Harmonik ergeht sich nicht so häufig in den gebrochenen Farben der alterierten  Accorde und ebenso zeigt sein Rythmus [sic] mehr ruhige Festigkeit und Beständigkeit, als man dies sonst in neuerer Musik gewophnt ist.
     Unbestritten ist endlich Bruckners hohe contrapunktische Meisterschaft.
     Der erste Satz der Es-dur-Symphonie entfernt sich in Form und Gliederung nicht allzuweit vom classischen Sonatensatze [... Vorliebe zu Cäsuren ... "wahres Prachtstück" ...einige Details ...] Das Andante der Symphonie (C-moll) ist einer der schönsten, edelsten Symphoniesätze, die man finden kann, [... Scherzo ein Jagdstück ...]. Am schwersten dürfte der Finalsatz zu erfassen sein, der anfangs wild=leidenschaftliche Fragen aufwirft und dabei auch vorübergehend Themen des ersten und dritten Satzes hineinschleudert, bis er sich auf C-moll beruhigt und dann seine eigentlichen Themen entwickelt, von denen insbesondere das zweite ein schmerzvoll resigniertes, von packender Kraft ist. Zum Schlusse wird er völlig visionär (Accordfolge Es-Ces), der ganze Satz ist ein gewaltiges Seelendrama.
     Der Musikverein und sein Dirigent, Herr Musikdirector Schreyer, sind an die schwere Aufgabe, dieses Werk aufzuführen, mit großer Pietät und Gewissenhaftigkeit herangetreten. Es wurde mit wahrer Hingebung gespielt und ohne wesentliche Mängel. Die Aufführung verdient vollstes Lob. Dass der Saal für Bruckners Orchester viel zu klein und die Klangwirkung darin wahrhaft betäubend ist, ist ein recht unangenehmer Uebelstand in unseren dermaligen Concertverhältnissen. Jener Jagdruf im Scherzo der Symphonie klingt da wie der Ruf zum jüngsten Gericht! Hoffentlich wird's in einigen Jahren anders!
     Das letzte Musikvereinsconcert wurde mit der "Faust"=Ouverture von Richard Wagner, einem Jugendwerke des großen Dramatikers, eingeleitet. [... über dieses Werk und kurz über "Jessond" ...]   Dr. –zl." (***)

Auf Seite 3f wird die Konzertsaalsituation zur Sprache gebracht:
"    (Wieder einmal die Saalfrage.) Das Concert des Musikvereins gibt wieder einmal willkommenen Anlass, die bereits vielbesprochene Saalfrage zu erörtern. Dass der Redoutensaal für die Abhaltung solcher Concerte wie das vorgestrige nicht nur räumlich weitaus zu klein ist, sondern auch in akustischer Beziehung gar nicht entspricht, bedarf wohl keiner Erwähnung; ein so gut besetztes Orchester, wie wir es vorgestern zu hören Gelegenheit hatten, ist für den kleinen Saal viel zu stark, infolgedessen leidet die Klangwirkung bei den Kraftstellen sehr. Man muss noch froh sein, ein so großartiges Werk wie das Bruckner'sche in Linz überhaupt hören zu können, wenn auch im kleinen, für ein solches Concert allen Anforderungen nicht entsprechenden Redoutensaal, und kann sich zufrieden geben, als ohnedies neue Saalbauten in Aussicht stehen. [... Wunsch: ausreichende Saalgröße ...] Wir führen diesbezüglich an, dass z. B. beim vorgestrigen Concerte etwa 60 Musiker beschäftigt waren; diese mussten sehr gedrängt sitzen, jedoch wäre der Musikverein in der Lage, wenn es die Raumverhältnisses gestatten würden, die Zahl der Geiger zu verdoppeln, was selbstverständlich die Wirkung des Gebotenen noch erhöhen würde. [... mehr Abonnenten brächten nur Vorteile ... Volksgartensalon und Umbau der Volksfesthalle keine Lösung ...]. Das erste Musikvereinsconcert in dieser Saison illustrierte am deutlichsten die Nothwendigkeit der Schaffung eines großen, musikalischen Zwecken dienlichen und dienenden Saales." [keine Signatur] (°).

Bruckner wird (in Zusammenhang mit der bildenden Kunst [vgl. Böcklin 25.9.1895]) erwähnt in der Ostdeutschen Rundschau Nr. 298 auf S. 2:
"                    Künstlerhaus.
(Graphische Ausstellung der Gesellschaft für vervielfältigende Kunst.)
                              I.
     Man mag über die Kunst des 19. Jahrhunderts denken, wie man will; man mag stolz auf sie sein [... oder jammen und sich entrüsten ... über die Breitenwirkung und Stellung der Kunst ...]
     [... über Max Klinger, über einzelne Werke ...]. Man sehe die "Rettung ovidischer Opfer", die "Psyche", [...], das reizvoll blühende Blatt "Phantasie und Künstlerkind", die gewaltige "Brahms=Phantasie", die wirklich wie breit und meerhaft dahinfluthende Tonwellen auf uns wirft, allerdings Beethoven und Bruckner verwandter, als Brahms u. v. A.! Freilich, der Laie wird sich in die Eigenart Klinger's ein wenig vertiefen müssen; [...]
     [... andere Künstler (darunter Karl Stauffer, Bern, und Max Liebermann) ...].
                          E. M. Steininger. " (°°).


Zitierhinweis:

Franz Scheder, Anton Bruckner Chronologie Datenbank, Eintrag Nr.: 189510305, URL: www.bruckner-online.at/ABCD-189510305
letzte Änderung: Jan 22, 2024, 15:15