zurück 29.10.1895, Dienstag ID: 189510295

Berichte über die Aufführung der 4. Symphonie unter Adalbert Schreyer [27.10.1985] erscheinen
 
im Linzer Volksblatt Nr. 250 auf S. 3f, signiert "r.":
"Erstes statutenmäßiges Concert des Musikvereins in Linz.
                                                   28. October 1895.
     Das erste diesjährige Musikvereinsconcert stand unter dem Stern Dr. Anton Bruckners, dessen vierte (romantische) Symphonie gestern im landschaftlichen Redoutensaale zur Aufführung gelangte. Ueber die Persönlichkeit unseres genialen Landsmannes und Tonheroen zu berichten, halten wir für unnöthig, da Bruckner, speciell den Linzern, gar wohlbekannt [ist] und von allen hochgeschätzt und geehrt wird. Den Lebensabend Bruckners verschönt die Gnade Sr. Majestät unseres Kaisers, welcher den greisen Tondichter jeder materiellen Sorge enthoben hat. Dr. Bruckner wohnt als Gast des Kaisers im kaiserlichen Belvedere zu Wien und erfreut sich, wie wir hören, dermalen einer zufriedenstellenden Gesundheit.
     Dr. Bruckners 4. Symphonie erzielte gestern unter der vorzüglichen Leitung des Musikdirectors Herrn Adalbert Schreyer auch hier einen vollen, verdienten Erfolg.
     Bruckners Muse zeigt unstreitig Aehnlichkeit mit jener Richard Wagners. Insbesondere ist es die Kunst der Instrumentierung, die den großen Symphoniker Bruckner dem großen Dramatiker Wagner nahe bringt. Die Länge der Symphonie wird durch den Reichthum der instrumentalen Abwechslung nicht fühlbar. Der erste Satz erscheint uns als der gelungenste; in diesem ist alles wie aus einem Guss, die Steigerungen wirken mächtig. Ein liebliches Thema folgt dem gewaltigen Hauptmotiv und erzeugt einen wohlthuenden Contrast; die Dissonanzen klingen weniger herb, wie in den folgenden, besonders im Schlusssatze. Mit einem edel geformten Motiv beginnen die Celli den zweiten Satz, der von ergreifender Wirkung ist; später werden die Violen zur Führung des Hauptthemas herangezogen. In diesem Satze hat Bruckner dem gedämpften Streichorchester einen merkwürdigen Reiz verliehen, selbst das Pizzicato erklingt gedämpft. Der dritte Satz hat den Charakter eines Jagdstückes; in den Hörnern ertönt eine freudige Fanfare, welche, von den Trompeten übernommen, bis zu den tiefsten Orchesterstimmen: Posaunen und Basstube geleitet wird, dabei ein schillendes Tremolo der Streicher, eine glänzende Zusammenwirkung. Der Contrast im zweiten Theil wird durch jenen des dritten (Trio) überboten. Wie ein oberösterreichischer Ländler vornehmster Fractur [sic] muthet uns dieser Theil an. Im letzten Satz gelangt das Orchester in einen gewaltigen Aufruhr; das Pastorale wechselt mit breiten, oft wilden Orchestereffecten ab, es erklingt ein Stürmen und Drängen, als gelte es den Untergang der Welt.
     Die Symphonie, deren Spieldauer fünf Viertelstunden ist, hinterließ einen mächtigen Eindruck auf die überzahlreich erschienenen Zuhörer. Der Dirigent, Herr Musikdirector Schreyer, hat durch Aufführung dieses großen Werkes neuerdings bewiesen, welch einen vorzüglichen Musiker und Dirigenten Linz in ihm besitzt. Man merkte besonders bei Bruckners Symphonie, mit welch liebevoller Sorgfalt er diese Composition einstudiert und zur Geltung gebracht hat. Das Orchester des Musikvereines löste seine schwierige Aufgabe in vortrefflichster Weise und verdient die wärmste Anerkennung, die auch der exacten Durchführung der ersten Nummer des Programmes "Eine Faust=Ouverture" von Richard Wagner wohlverdientermaßen gezollt wurde. [... Lob für Ludwig Haslinger mit "Jessonda" ...]; daß Herr Haslinger, wie immer, vielen ungetheilten Beifall fand, ist selbstverständlich.
                      r." (*)
 
und in der Linzer Zeitung auf S. 1268 (signiert »K.« [vermutlich Victor Kerbler]):
„  Erstes Musikvereinsconcert.
     
Mit einem Programme von eminent fortschrittlicher Haltung eröffnete gestern unser Musikverein die Reihe seiner diesjährigen Vereinsconcerte. Richard Wagners Faust=Ouverture oder, wie das gestrige Concertprogramm gewissenhaft meldete, „Eine Faust=Ouverture“ gehört zu den effectvollsten Stücken des modernen Concertrepertoires und wird heute auch von dem conservativsten Musiker gerne entgegengenommen. […] Herr Musikdirector Schreyer hatte sich mit Erfolg bemüht, daß von den hohen Schönheiten dieses Werkes so wenig als möglich verloren gieng.
     Der Glanz, den Wagners Ouverture verbreitet, würde wohl auf so manches andere Werk starke Schatten werfen, nicht aber auf Bruckners Es-dur=Symphonie, die sogenannte romantische, welche die zweite Hauptnummer des Programmes bildete.
     Ein unermeßlicher Reichthum der Erfindung offenbart sich in diesem Werke, das alle Stimmungen des menschlichen Gemüthes musikalisch erschöpft. Neben titanenhaften Gedanken, die zu den erhabensten Eingebungen seit Beethoven gehören, finden sich nicht wenige Züge jener unverfälschten und ungekünstelten Gemüthlichkeit, die uns in Bruckner den Oberösterreicher erkennen lassen. In solchen Zügen gewährt aber Bruckner keineswegs den Eindruck eines Mannes, der unwillkürlich in das Idiom seiner Jugend zurückfällt, er drückt sich vielmehr in seiner Mundart aus, weil und solange es ihm gefällt.
     Bewunderungswürdig ist die Polyphonie, welche auch in der vierten Symphonie an mehr als einer Stelle zutage tritt. Allerdings ist es gerade die unermüdlich arbeitende Phantasie, sowie die vollendete Vertrautheit mit dem gesammten musikalisch=technischen Rüstzeug, welche den Componisten zuweilen verleiten, bei einem Thema, dem der Meister immer wieder neuen Reiz zu geben weiß, zu lange zu verweilen. Man erinnert sich hiebei wohl an den Organisten Bruckner, der auch nicht so leicht von der Orgelbank wegzubringen war, wenn ihm ein passendes Thema unter die Hände gekommen war.
     Großartig ist stets seine Steigerung, bei der er nie die Herrschaft über die herangezogenen Tonmassen verliert, sondern sie mit zielbewußter Energie dorthin führt, wohin er will. In Bezug auf Klangfülle und Farbenpracht des Orchesters wird Bruckner wohl kaum von einem der lebenden Componisten übertroffen.
     Der erste Satz der vierten Symphonie überragt nicht nur durch die Großartigkeit der Motive, sondern auch durch seine Einheitlichkeit die übrigen Sätze, insbesondere den zweiten, den man mehr vermöge der prächtigen Detailarbeit, denn als Ganzes bewundern muß. Das Scherzo, bei dem sich der Componist völlig der überkommenen, geschlossenen Form bedient, ist ebenso interessant durch die lebendige Rhythmisierung wie durch prächtige Farbengebung. Der vierte Satz, an herrlichen Gedanken ebenso reich wir der erste, läßt dieselben nicht so plastisch hervortreten wie der erste. Ueberdies befremdet bei diesem Satze die stellenweise etwas zu gewaltsame Instrumentierung.
     Als im Jahre 1888 Bruckners romantische Symphonie in Wien zum zweitenmale aufgeführt wurde, veröffentlichte einer der begeistertsten Verehrer des Meisters ein Programm, das an Ueberschwenglichkeit nichts zu wünschen übrig ließ. Wie wenig Bruckner selbst mit diesem Programme zu thun hatte, geht aus einer Thatsache hervor, welche damals erzählt wurde. Im Freundeskreise aufgefordert, das Programm seiner vierten Symphonie zu entwickeln, sprach sich der Meister folgendermaßen aus: „Im ersten Satze wird von der Linzer Stadtkirche das neue Jahr angeblasen. Im zweiten will ein verliebter Bursche Fensterln geh’n, wird aber von dem Mädchen nicht eingelassen. Der dritte stellt eine Hasenjagd vor, und im vierten – ja, da weiß ich selbst nicht mehr, was ich dabei gedacht habe.“ Diese letzter Bemerkung ist ungemein charakteristisch für Bruckners Schaffen, das sich an eng umschriebene Programme nicht binden läßt, sondern als die Emanation eines durch und durch musikalischen Fühlens erscheint. Bruckners Symphonie wurde mit Begeisterung gespielt und mit Begeisterung aufgenommen. Herr Musikdirector Schreyer konnte seine angestrengte, hingebungsvolle Thätigkeit in der tadellosen Leistung des Orchesters wie in der warmen Aufnahme des herrlichen Werkes durch das Publicum belohnt sehen.
     Zwischen beiden Orchesternummern sang Herr Haslinger eine Arie aus Spohrs „Jessonda“ mit jenem guten Geschmacke, den wir bei diesem Sänger, der es nie mit den Naturalisten gehalten hat, gewohnt sind. K.
(**).
 
Datierung Franz Bayers in von ihm geschriebenen Stimmen zum Requiem [WAB 39] (Horn und Baßposaune) (***).
 
Brief von Karl Aigner an Bruckner:
    Die vorgestrige Aufführung der großartigen 4. Symphonie sei sehr lobenswert gewesen und begeistert umjubelt worden. Er könne seine Eindrücke nicht mit Worten wiedergeben. Grüße von Ignaz Bruckner (°).
 
Die Deutsche Zeitung Nr. 8560 meldet auf S. 7 den Erfolg der Linzer Aufführung:
"     – Man schreibt uns aus Linz unterm 27. d.: Heute wurde in unserer Stadt, deren Ehrenbürger Anton Bruckner ist, in welcher er als Domorganist, Liedertafel=Chormeister und – Clavierlehrer wirkte, seine vierte Symphonie ("die romantische") unter Musikdirector Schreyer's ausgezeichneter Leitung in würdiger Weise zur Aufführung gebracht. Hatten die Orchesterproben zu diesem schwierigen Werke schon viele Musikverständige angelockt, so war heute der Redoutensaal geradezu überfüllt von Zuhörern, welche, von der genialen Schöpfung des Meisters begeistert, nur das Eine bedauerten, daß es dem gefeierten Landsmanne nicht gegönnt war, in der Stadt, in der er in Freundeskreisen so oft und gerne geweilt, Zeuge seines neuerlichen Triumphes zu sein." (°°).


Zitierhinweis:

Franz Scheder, Anton Bruckner Chronologie Datenbank, Eintrag Nr.: 189510295, URL: www.bruckner-online.at/ABCD-189510295
letzte Änderung: Nov 23, 2023, 14:14