zurück 10.11.1895, Sonntag ID: 189511105

Brief Joh. Ev. Haberts an Battlogg:
     Bruckner habe wieder Universitätsvorlesungen angekündigt, sei aber sehr krank. Jedenfalls sei so der für Habert vorgesehene Platz [als Universitätslektor?] nicht frei. "[...] Bruckner hat die Vorlesungen auf der Universität wieder angekündigt; wie ich aber erfuhr, ist er wieder sehr krank (Wassersucht). Solange er activ ist, ist eben der Platz nicht frei, den man mir vermeinte. [...]"(*).

Datierung Franz Bayers in einer von ihm geschriebenen Stimme zum Requiem [WAB 39] (Baß) (**).

Artikel von Theodor Helm über die 4. Symphonie [Fortsetzung vom 27.10.1895] in der Neuen Musikalischen Presse Nr. 45 auf S. 2:
"   Bruckner's "Romantische Symphonie"
           
      von Theodor Helm.
                            (Fortsetzung).

     Dabei begnügt sich aber der erfindungsreiche Componist nicht mit der notengetreuen Wiederholung des ersten Theiles (der Sonatenform), sondern hebt dessen Interesse sofort noch mehr durch sinnvolle Veränderungen: Das von dem Tremolo des Streichquartettes gestützte Grundmotiv (Notenbeispiel 1) [27.10.1895] wird jetzt nicht mehr blos von dem ersten Horn allein, sondern verstärkt durch das dritte Horn intonirt, dazu haben die Flöten nach Vorschrift das Meisters "so ruhig und leise als möglich" eine lieblich umspielende Vierviertelfigur auszuführen (die eigentlich schon in der oben geschilderten orgelpunktartigen Rückleitung angedeutet war). Im Uebrigen entsprechen die nächsten Partitur-Seiten 21–27 (Buchstabe M–R, im Clavier-Auszug Seite 2028) so organisch formgerecht den früher betrachteten Partien des ersten Theiles (bis Seite 13, Buchstabe F der Partitur), dass hier wohl eine weitere Schilderung überflüssig erscheinen dürfte.
     Die einzelnen zum Theil sehr interessanten, für Bruckner's reiche Phantasie und unerschöpfliches contrapunktisches Vermögen zeugenden Abweichungen wird der Leser beim Anhören der Orchester-Aufführung oder Durchspielen des Clavier-Auszuges selbst finden. Es sei nur auf das kunstvolle polyphone Stimmgewebe hingewiesen, welches in der Partitur, Seite 25 (im vorletzten Takt), dadurch entsteht, dass den zwei Motiven des Gesangsthemas (Notenbeispiel 4) nun noch eine umspielende Achtelfigur der ersten Geigen (alternirend mit den Bratschen und den zweiten Violinen) an die Seite gestellt wird. Aus der trotzig kühnen Steigerung einer auf- und abwogenden Achtelfigur gewinnt der Meister schliesslich auch die mächtige Coda des Satzes, welche thematisch ganz und gar durch das Grundmotiv beherrrscht wird. Nachdem sich dieses auf einem Lieblingsaccorde Bruckner's (dem Quintsextaccord der zweiten Stufe – hier von Es-moll) mit titanischem Eigensinn förmlich eingebohrt, bildet den eigentlichen Schluss des Satzes ein brausendes Schwelgen und Jubeln im Dreiklang der Haupttonart, in welcher endlich ein letztes Mal jener anfängliche Hornruf ertönt und unter Zutritt der Trompete durch zwei Takte auf der Dominante B hochfeierlich aushallt, worauf dann im Vollschall des ganzen Orchesters der Schlussaccord wie ein Keulenschlag niedersaust.
     Ich denke, es hat sich aus vorstehender sehr genauer Analyse ergeben, dass der so oft wider Bruckner erhobene Vorwurf musikalischer Zerrissenheit, Verworrenheit und Unlogik mindestens diesem Satze gegenüber in Nichts zerfällt. Erscheinen ja in demselben sogar die üblichen Theilglieder der klassischen Form eines ersten Sonaten- oder Symphonie-Satzes, nämlich erster Theil, zweiter oder Durchführungstheil, dritter oder Wiederholungstheil, Coda, mit allern dazu gehörigen Haupt- und Nebenthemen plastisch abgegrenzt, deutlich erkennbar. Freilich Alles in genial neuer Umbildung, womit jedenfalls den Interessen der Kunst weit mehr gedient ist, als mit sklavischer Nachbildung.
     Einem feierlichen Umzuge frommer, bussfertiger Pilger, die inbrünstig nach dem Heil verlangen, möchte ich das nun folgende Andante (C-Moll 4/4) vergleichen, mit der gemessen schreitenden Hauptmelodie, die so sehnsüchtig erst aus dem Violoncell
[11. Notenbeispiel: die ersten sechs Takte]
dann aus den Holzbläsern, später besonders aus der Viola heraussingt. Die Fortsetzung, oder wenn man will, die Antwort auf diesen langathmigen Gesang, wie er in den vorstehenden Notenbeispiel ersichtlich, bildet ein kurzes Motiv der getheilten ersten Geigen in Dur.
[12. Notenbeispiel: zwei Takte in Ces-Dur]
     Im Grunde bilden diese beiden Gedanken, die sich etwa wie "Bitte" und "Verheissung" zu einander verhalten, das ganze thematische Material des sehr weit ausgeführten Andante's; um so bewunderungswürdiger erscheint die Kunst des Meisters in den immer neuen Wendungen, der immer mehr ergreifenden Ausprägung der Stimmung, durch welche er das Interesse des Hörers in disem Satz stets auf gleicher Höhe zu erhalten und gegen den Schluss noch überraschend zu steigern weiss.
     Uebrigens muss man dieses Andante aus dem Orchester heraus hören und wieder hören, es ist schwer durch beschreibendes Wort und Notenbeispiel die rechte Vorstellung von seinem eigenartigen poetischen Zauber zu geben. Unwillkürlich wird man immer wieder zu dem obigen Phantasiebilde angeregt. Ein geheimnissvolles Dämmerlicht umfliesst die Scene, nur zeitweilig blinkt ein Hoffnungsstern, bei dem unsäglich, milden und weichen Hornsolo, welches (S. 36, Buchstabe E der Partitur) in Ces-Dur einsetzt, glaubt man Engelsstimmen zu vernehmen, die den müden Wanderern in der Irre heiligen Trost zusprechen. Den wunderbaren "schier unendlichen" Gesang der Bratsche (beginnend S. 40, Buchstabe H der Partitur) hat schon Prof. Schalk in jenem Grazer erklärenden Programm hervorgehoben. Ich wüsste überhaupt kaum ein Tonstück zu nennen, in welchem die Bratsche reicher, ausdrucksvoller verwendet würde, als in diesem auch sonst ganz herrlich instrumentirten Andante. Wie singen die Geigen mit den Hörnern und Holzbläsern um die Wette! Und dabei wird die fromme Stimmung immer zuversichtlicher, steigert sich zu fast ekstatischer Verzücktheit. Wenn gegen den Schluss des Satzes die Posaunen und die Basstuben [sic] das Hauptthema glanzvoll in H-Dur, weiterhin im Verein mit den Trompeten noch grandioser in C-, As- und Ces-Dur erschallen lassen, da ist's als ob die helle Sonne durch die Wolken bräche, um sich ein Meer von Licht verbreitend! Aber noch einmal verdüstert sich der Himmel, kehrt die bange Stimmung wieder, seufzt die zerknirschte Klage im Horn, in der Oboë und Clarinette tief auf. Dann aber winkt doch Erlösung: Unter leisen Paukenschlägen (C-G-C) und dem Pizzicato des Streichquartettes verhallt der Satz in Dur; dem mystischen Anfang entsprechend ein gleich mystischer Schluss.
                     (Fortsetzung folgt.)" (***).

Hinweis auf den zweiten Teil von Theodor Helms Artikel im Prager Tagblatt Nr. 311 auf S. 18:
"                         Literarisches.
[...]
     – Neue Musikalische Presse. Zeitschrift für Musik, Theater, Kunst, Sänger= und Vereinswesen. Herausgegeben von C. Kratochwil in Wien. Die vorliegende Nr. 43 des vierten Jahrganges dieser Zeitschrift bringt an leitender Stelle einen Aufsatz über Gemma Bellincioni nebst einem Porträtbilde der Sängerin. Weiter enthält das Heft die Fortsetzung einer Abhandlung über Bruckner's "Romantische Symphonie" von Theodor Helm und zahlreiche Musik= und Theaterberichte." (°).

Das Neue Wiener Tagblatt Nr. 309 macht auf S. 39 auf eine Neuerscheinung aufmerksam:
"    * (Der "Wiener Almanach",) herausgegeben von H. Bohrmann und J. Jaeger, erscheint demnächst in seinem fünften Jahrgange. Wie früher bringt derselbe auch in dem neuen Bande eine große Zahl literarischer Originalbeiträge unserer hervorragendsten heimischen Autoren, darunter Pichler, Saar, Silberstein, Grasberger [...], Naaf [sic], [...]. Das vornehm ausgeführte Titelbild zeigt die Altmeister der Wiener Tonkunst, Brahms, Bruckner, Goldmark, welche zugleich mit Originalcompositionen in Facsimiledruck vertreten sind. Als weitere musikalische und künstlerische Beilagen schmücken das elegant ausgestattete Buch ein Schlummerlied von Tieck, vertont von E. v. Taund; [... Abbildungen (Heliogravüren etc.) ...] vervollständigen den interessanten Inhalt des "Wiener Almanach".  " (°°).

Irreführende Pressemeldung! Siehe die Anmerkung.
The New York Times Nr. 13797 informiert auf S. 13 in der 1. Spalte über die Besetzung der deutschen Opernkompanie (noch etwas ausführlicher als die Artikel vom 3.11.1895):
"A WEEK'S MUSICAL TOPICS
Timely Gossip of the Concert Hall and the Opera House.
MR. DAMROSCH AND GERMAN OPERA

[...]
     Frl. Gisela Stoll, one of the leading dramatic sopranos of the company, began her career at the age of seventeen in the Royal Opera in Buda-Pesth. She was the daughter of a leading scientist in Hungary and a pupil of Prof. Bruckner. Her success in Buda-Pesth was instantaneous, and she was immediately engaged at the Royal Opera in Regensberg [sic]. From Regensberg she went to Linz and other large European cities, and received applause wherever she appeared. The leading critics of Europe say that if Frl. Stoll did not possess such a beautiful voice she would still be a great actress. Her most popular rôles are: Brunnhilde, Brangaene, Elizabeth, Venus &c. It is to be hoped that the European critics judge by the same standards as New-York audiences. [...]" (°°°).

Nahezu identisch schreibt The Cincinnati Enquirer Nr. 313 auf S. 23:
"                     BRILLIANT
            Season of Grand Opera

[...]
     Fraulein Gisela Stoll, one of the leading dramatic sopranos of the company, began her career at the age of 17 at the Royal Opera in Budapesth. She was the daughter of a leading scientist in Hungary, and a pupil of Prof. Bruckner. Her success in Budapesth was instantaneous, and she was immediately engaged at the Royal Opera in Regensburg. From Regensburg she went to Linz and other large European cities, and received ovations wherever she appeared. The leading critics of Europe say that if Fraulein Stoll did not possess such a beautiful voice she would still be a great actress. Her most popular roles are Brunnhilde, Brangaene, Elizabeth, Venus &c. [...]." (#).

(1. Gesellschaftskonzert unter Richard von Perger mit Edgar Tinels Oratorium »Franciscus«) (##)).


Zitierhinweis:

Franz Scheder, Anton Bruckner Chronologie Datenbank, Eintrag Nr.: 189511105, URL: www.bruckner-online.at/ABCD-189511105
letzte Änderung: Sep 17, 2023, 19:19