Brief Bruckners an Nicodé (von Meißner geschrieben):
Da er sich noch immer nicht ganz wohl befinde, danke er erst heute für die Aufführung [der 8. Symphonie in Dresden am 18.12.1895]. Der Einladung dorthin konnte er nicht Folge leisten. Nächsten Monat werde Stradal in Dresden konzertieren und von Bruckner persönlich grüßen und erzählen (*).
Beim Vereinsabend des Brünner Wagner-Vereins wird u.a. die 7. Symphonie aufgeführt.
Als anwesend sind überliefert: Dr. H. F., Otto Rupp, Benno Branczik, Heinrich Janoch, August Klang, Antonie Nikodem und Richard Wickenhausser (**).
S. Engelsmann kommentiert in der Wiener Sonn- und Montags-Zeitung Nr. 8 auf S. 1f eine Antisemitismus-Begründung [wie sie am 21.2.1896 geschildert wurde]:
" Dies und Das.
[Inhaltsübersicht: ... – Ein Bruckner=Enthusiast. – ...]
Weder Kant noch Hegel haben den Wahlreform=Entwurf des Grafen Badeni gekannt, aber es läßt sich unmöglich etwas Anderes, geschweige etwas Besseres zu dessen Vertheidigung vorbringen als das Wort: "Alles was da ist, ist vernünftig." [...]
Alles, was da ist, ist vernünftig – das ist auch die richtige Devise, unter welcher die große Tollheit unserer Zeit, der Antisemitismus auftritt. Es ist somit vernünftig, daß man im Namen des Christenthums, welches die Liebe lehrt, den Haß gegen die Juden predigt; es ist somit vernünftig, daß die Christen eine Race als inferior bezeichnen und verachten, aus der Jesus und die Apostel hervorgingen. Den Gipfel der Vernunft aber erklimmt ein mit dem Doctorhut geschmückter antisemitischer Gemeinderathscandidat [Dr. Fochler], welcher in öffentlicher Versammlung erzählte, wie er sein antisemitisches Herz entdeckte. Er schwelgte eines Tages im Anhören einer Bruckner'schen Messe und wurde da von einem jüdischen Studenten gestört! Basta. Das war der Augenblick, in welchem der würdige antisemitische Candidat, wie er selbst bekannte, gepackt, von der Heilslehre des Antisemitismus gepackt wurde, und die hat ihn seither nicht mehr losgelassen.
Ich gebe die ebenso loyale als feierliche Versicherung, daß ich diese Begründung des Antisemitismus nicht um ein Jota weniger vernünftig finde, als die, die bisher in der Literatur oder in den Vertretungskörpern von den erleuchteten Häuptlingen der Judenhetzer vorgebracht wurden. Aber ich möchte doch den geehrten Herrn Candidaten interpelliren, was er gethan hätte, wenn der Unselige, der ihm den Genuß einer Bruckner'schen Messe verdarb, nicht zufällig eine Jude gewesen wäre? Es besteht, meines Wissens, wenn man von einzelnen Concertgebern absieht, kein zwingender Grund, anzunehmen, es liege im Blute der Juden, sich musikfeindlich zu benehmen. Das hat nicht einmal Wagner in seiner oft abgeschriebenen Schrift "Das Judenthum in der Musik" behauptet. Was hätte der antisemitsche Candidat gethan, wenn der Störefried [sic] ein Muselmann gewesen wäre? Hätte er dann vielleicht einen Kreuzzug gegen den Halbmond gepredigt? Nehmen wir aber den zwar ungeheuerlichen, aber doch nicht unmöglichen Fall an, ein Christ hätte den Bruckner=Schwärmer gekränkt! Hätte ihn da nicht das Antichristenthum mit unwiderstehlicher Gewalt packen müssen?
G. Engelsmann." [siehe die Anmerkung] (***).
Zitierhinweis:
Franz Scheder, Anton Bruckner Chronologie Datenbank, Eintrag Nr.: 189602245, URL: www.bruckner-online.at/ABCD-189602245letzte Änderung: Jun 23, 2023, 7:07