zurück 7.5.1896, Donnerstag ID: 189605075

Bruckner sendet [brieflich oder durch eine Kontaktperson?] Grüße an den Wiener Akademischen Wagner-Verein. "Am 7. Mai hatte er dem Wagner-Vereine, der es ihm erstritten hat, dass er zu der erstaunt aufhorchenden Welt in seinen Tönen reden konnte, seinen letzten Gruss sagen lassen." (*).

Das Musikalische Wochenblatt Nr. 20 bringt auf S. 251f im »Dresdener Musikbrief« einen Bericht Carl Söhles von der Aufführung der 8. Symphonie unter Nicodé [am 18.12.1895]:
"                               Dresden, März 1896.
                       (Schluss.)
     Nicodé hat seine werthvollen, vornehmen Orchesterabende mit der vortrefflichen Chemnitzer städtischen Capelle diesen Winter von vier in den Jahren vorher nun auf sechs erhöht. Zwei davon, von schönstem künstlerischen Erfolg gekrönt, haben vor Weihnachten stattgefunden. [... 1. Konzert ...]. Seinen zweiten Orchesterabend eröffnete der ausgezeichnete Dirigent mit der 8. Symphonie in C moll von Anton Bruckner. Die längste aller überhaupt existirenden Symphonien (das Adagio allein hat die Ausdehnung einer ganzen Haydn'schen Symphonie), aber auch inhaltlich ein hochbedeutendes, imponirendes Werk, das, obwohl bereits 1890 geschaffen und in Wien schon mehrere Male [sic]  mit grossem Erfolg aufgeführt, erst an diesem zweiten Nicodé-Abend seine erste Aufführung in Deutschland erlebt hat. Das Werk hat tiefen Eindruck auf mich gemacht. Obgleich es von Nicodé mit grösster Hingabe dirigirt und in allen Theilen voll Schwung und mit grosser Klarheit zu Gehör gebracht wurde und die Aufnahme gewiss nicht geradezu kühl ausfiel, war das Publicum doch im Ganzen mehr verdutzt als überzeugt und erwärmt. Freilich gibt Bruckner's "Achte" dem Fassungsvermögen des Hörers unvergleichlich härtere Nüsse zu knacken, als die in ihrer Entwicklung bei Weitem klarer und zumal logischer gestaltete "Romantische", deren Stil ungleich concentrirter ist, wie man auch in der "Achten" häufiger auf Stellen stösst, wo wahre Inspiration mehr und mehr versiegt und dann Reflexion die Nähte grob zusammenfasst. In der That, kein zweiter Componist macht Einem das Folgen fest am Faden und das Verstehen im Zusammenhang so blutsauer, wie Altmeister Bruckner, was ja auch seine überzeugtesten Anhänger zugeben. Bruckner schreibt völlig Jean Paul-haft. Mit der begeisterten Mittheilung grandioser, prachtvoll kernhaltiger Ideen einsetzend, lässt derselbe in der Folge Einen leider nur zu oft erleben, dass unter seinen blind freigebig spendenden Händen die Prometheus-Funken am Ende verpuffen wie Sternschnuppen, weil er im quellenden Schaffensdrang es oft versäumt, ein Thema gehörig organisch auszubauen und in strenger, formgemässer symphonischer Folgerichtigkeit zu dem ihm verführerisch winkenden Gegenthema überzuleiten. So sieht man ihn denn nicht selten auf halbem Wege Halt machen und statt mit dem ordnenden Verstande die Ernte einzuheimsen, den früchtebeladenen Baum seiner Phantasie von Neuem schütteln, dass die goldenn Aepfel neuer genialer Einfälle in das noch nicht Aufgelesene prasselnd hineinrollen. Das Verständniss des Werkes, wie überhaupt der Bruckner'schen Eigenart fördern zu helfen, erhielten die Besucher des Concertes eine "Bruckner-Zeitung" eingehändigt, die ausser biographischen Mittheilungen eine ausgezeichnet sachgemässe Analyse der "Achten" enthielt, von Professor Helm in Wien, dem verdienten Bruckner-Kenner und hochgeschätzten langjährigen Mitarbeiter des "Musikal. Wochenblattes". Wenn man in Bruckner's 8. Symphonie ja auch häufig genug an Wagner erinnert wird, so blickt aus den bedeutenden, goldhaltigen Motiven aber dennoch ein Charakterkopf heraus, wie denn Bruckner als Motiverfinder überall entschieden seine Selbständigkeit zu wahren weiss. Entzückend schön ist das Werk instrumentirt, zumal das ergreifende, walhallmässig erhaben gestimmte Adagio – wie herrlich hier die dunkeln, vollgesättigten, echt Bruckner'schen (cf. Cismoll-Andante der Edur-Symphonie) Tuben-Vollaccorde und das sie wonnig umfluthende, glitzernde, flüssige Harfengold, dann die prachtvollen, majestätischen Hörner- und Posaunenstellen im recitativartig frei gestalteten Finale, – wohl das Kolossalste von Adagiostil im Sinne Wagner's in der gesammten Instrumentalmusik! Nicodé war voller Begeisterung für das Werk, und über seine Absicht, jeden Winter hinfort Bruckner hier aufführen zu wollen, kann man sich nur herzlich freuen. Sein grossartiger Bruckner-Abend wurde mit Wagner's "Fliegender Holländer"-Ouverture  glänzend beschlossen. Durch ihre solistische Mitwirkung verschönte ihn Frau Carreño, die eminente Pianistin, die das Emoll-Concert von Chopin meisterlich vortrug.
     [... über weitere Konzerte ...].
                                Carl Söhle." (**)

und verzeichnet in der »Concertumschau« auf S. 254 die Berliner Aufführung von »Helgoland« am 18.3.1896
"     Berlin. [...]. – Popul. Conc. der Berliner Liedertafel (Zander) am 18. März: Männerchöre m. Orch. v. Bruch ("Salamis") u. A. Bruckner ("Helgoland"), sowie sechs Altniederländ. Volkslieder [... etc. ...]." (***).


Zitierhinweis:

Franz Scheder, Anton Bruckner Chronologie Datenbank, Eintrag Nr.: 189605075, URL: www.bruckner-online.at/ABCD-189605075
letzte Änderung: Sep 29, 2023, 14:14