zurück 3.12.1901, Dienstag ID: 190112035

Das Unterhaltungsblatt des Vorwärts Nr. 235 (Beilage zum "Vorwärts" Berliner Volksblatt Nr. 282) bringt auf S. 3f einen mit "Sz." signierten Feuilleton-Artikel:
"                   Musik.
     Es ist für den Kritiker nicht leicht, einem Komponisten das paradoxe Wort zu sagen, daß zu seiner Eigenart auch ein Mangel an thematischer Erfindungskraft, ein Mangel an Eigenart gehört. [... über Siegfried Wagner ...].
     Noch eine Erschwerung gab es dadurch, daß den Wagner=Stücken die einstündige E-dur-Sinfonie (Nr. 7) von Anton Bruckner voranging. Natürlich nicht ohne eine schriftstellerische Beigabe, die wieder einmal der bösen Welt verriet, was sie an dem braven Bruckner gesündigt habe; ihre Unterzeichnungs=Chiffre "R. St." deutet auf einen allerbekanntesten Namen [Richard Sternfeld?]. Diese 7. Sinfonie dürfte im Kompositionenkranz Bruckners die auch historisch hervorragendste Rolle spielen. Was mir besonders auffiel, war dies, daß sie gar nicht so neudeutsch=eigenartig ist, wie es nach dem Geschrei der Bruckner=Partei zu vermuten wäre. Prächtige, langatmige Melodien, warm gefühlt, sind wohl das Charakteristischte [sic] an ihr. Oder sollte die lastende Breite, mit der das Werk sich und uns dahinzieht, charakteristischer sein? Wesentlich anders steht es mit Bruckners einziger Kammermusik, seinem Streichquintett. Da geht es so, als säßen wir in einer Karre, die allaugenblicks in eine andere Richtung geworfen wird; wertvolle Themen, doch so durcheinander gebeutelt, daß eine sehr weite Umbildung unsres Geschmackes nötig sein würde, um dies wenigstens als Kammermusikstil zu empfinden. Einstweilen giebt es für Berlin noch genug unaufgeführte Kammermusik von der Art, die wir eben unter diesem Namen erwarten dürfen. –                             SZ."


Zitierhinweis:

Franz Scheder, Anton Bruckner Chronologie Datenbank, Eintrag Nr.: 190112035, URL: www.bruckner-online.at/ABCD-190112035
letzte Änderung: Feb 20, 2023, 12:12