Besprechung des gestrigen Konzerts [mit der 3. Symphonie] im Abendblatt der Frankfurter Zeitung Nr. 14 auf S. 1, signiert "P. B." (Paul Bekker):
"|Frankfurter Konzerte.| Zum zweitenmal konzertierte gestern die Meininger Hofkapelle unter Max Regers Leitung in Frankfurt. Vor zwei Jahren fand sie einen schlecht besuchten, diesmal einen überfüllten Saal, dafür bot sie damals einen durchaus ungetrübten Genuß, während sich gestern eine Ungleichartigkeit in den Darbietungen bemerkbar machte. Vielleicht war sie die Folge einer begreiflichen Ermüdung des Tag für Tag reisenden und konzertierenden Orchesters, wenigstens ist die andauernd unsaubere Intonation der Holzbläser, besonders der Oboe, wie auch manche Unreinheit des Klanges im Blech wohl in erster Linie auf eine ungünstige Disposition zurückzuführen. Die Meininger hatten also eigentlich keinen guten Tag, trotzdem war der lebhafte Beifall am Schluß – während der Sinfonien verhinderte Reger dankenswerterweise das Applaudieren – durchaus berechtigt. Denn ungeachtet aller durch den Zufall oder durch manche Eigenheiten des Dirigenten bedingten Einschränkungen ist es doch ein Vergnügen, Reger mit seinem Orchester musizieren zu hören. Gerade in diesem schlichten Miteinandermusizieren von Dirigent und Orchester, ohne Getue, ohne kokette Effektnüancen – denn die überzarten Regerschen Pianissimi gehören ebenso wie die gelegentlich gewaltsam harten Kraftentladungen zu seinen individuellen Eigentümlichkeiten auch als Pianist und Komponist, man darf sie ihm also nicht als Dirigierlaunen anrechnen – liegt etwas unmittelbar Ansprechendes, Wohltuendes. Es wird eben "Musik gemacht", und der Hörer fragt sich dabei nicht mehr, wer da vorne steht, er achtet auch nicht gespannt auf die "Auffassung" und sonstige Besonderheiten, sondern er hört einfach zu, ohne das Bedürfnis nach Ueberraschungen zu spüren. [... kurz zu Mozart, Oberon, Siegfried-Idyll ...]. Bruckners dmoll=Sinfonie (Nr. 3) klang in den beiden Mittelsätzen, dem feierlich prächtigen Adagio und dem urwüchsigen Scherzo mit seinem Trio=Ländler am eindrucksvollsten. Reger gab dem ganzen Werk außergewöhnlich schnelle, zeitweise fast überhastete Tempi, und diesen Zeitmaßen ist es wohl zuzuschreiben, daß das Pathos der beiden Außensätze die Größe und Wucht vermissen ließ, von denen hier die überzeugende Wirkung abhängig ist. Aber im ganzen darf man dieses Konzert doch mit Befriedigung als künstlerisch anregsames und erfreuliches Ereignis innerhalb unseres an wirklich bemerkenswerten Taten so armen Musiklebens verzeichnen. P. B." (*).
Eine weitere Kritik erschien in der "Kleinen Presse" Frankfurt Nr. 11 auf S. 2, signiert "s.":
" = Die Meininger Hofkapelle in Frankfurt. Wieder einmal waren gestern die Mitglieder des Meininger Hoforchesters mit Herrn Generaldirektor Prof. Dr. Max Reger an ihrer Spitze zu uns gekommen. [... Streicher reduziert, aber ausgezeichnete Schulung, Beachtung der Dynamik ...] Beleg dafür, daß sich auch mit einem minder stark besetzten Orchester Hervorragendes leisten läßt, wenn alle Musiker ihre vollen Kräfte einsetzen und genügend geprobt werden kann. [... Oberon, Siegfried-Idyll, bei Mozart "bis an die Grenze der Möglichkeit angespannte Schnelligkeit der Tempi" in den Außensätzen ...]. Den Abschluß des Abends bildete die dritte Symphonie von Anton Bruckner. Es sind nun bald dreißig Jahre vergangen, seitdem dieses Richard Wagner gewidmete Werk zum ersten Male in Frankfurt erklungen ist [4.12.1885]. Die Hörer blieben damals teilnahmslos; man schüttelte die Köpfe. Was wußte man in jenen Zeiten bei uns von Anton Bruckner? Mehrere seiner Symphonien hatten auswärts einen gewissen Eindruck erzielt, und man bestellte, wenn wir uns recht erinnern, damals eines der besten späteren Werke. Durch ein Versehen wurde die gestern gehörte Symphonie gesandt, und so kam es, daß man gleich zu Anfang aus dem Staunen über die nahe Verwandtschaft des Hauptthemas im ersten Satze mit dem des gleichen Abschnittes der neunten Symphonie von Beethoven nicht herauskam. [... gleiche Tonart ... brüske Kontraste im Finale ... stimmungsvolles Andante ... Schubertscher Geist im Scherzo ...]. Die Aufführung des durch verschiedene erhebliche Längen in seiner Wirkung bedrückten Werkes verdient wärmste Anerkennung. s." (**).
Zitierhinweis:
Franz Scheder, Anton Bruckner Chronologie Datenbank, Eintrag Nr.: 191401145, URL: www.bruckner-online.at/ABCD-191401145letzte Änderung: Aug 07, 2024, 7:07