zurück 13.1.1914, Dienstag ID: 191401135

Aufführung der 3. Symphonie durch die Meininger Hofkapelle unter Max Reger in einem Konzert der Gesellschaft für ästhetische Kultur im Saalbau in Frankfurt a.M. Auf dem Programm stehen zuvor Werke von Weber (Oberon-Ouvertüre), Wagner (Siegfried-Idyll) und Mozart (Haffner-Sinfonie D-Dur KV 385) (*).

Besprechung des gestrigen Konzerts im Heidelberger Tageblatt Jg. 32 Nr. 10 auf S. 4, signiert "O. M.":
"              6. Bachvereinskonzert.
         Meininger Hofkapelle unter Max Reger.

     Max Reger steht bei op. 130. Er ist auf der Höhe des Ruhms, i n den besten Mannesjahren und auf der Höhe des Könnens, das wohl kaum mehr überbietbar ist. Und doch hat man die Empfindung, daß seine Freunde und unbedingten Bewunderer sowohl, als auch alle, die sich unter naturgemäß weiteren Gesichtspunkten für sein musikalisches Schaffen interessieren, warten, – warten auf das Große, was kommen soll und wozu überall mehr oder weniger Ansätze vorhanden sind, warten auf die großen Werke des ausgereiften Mannes, die der junge, stürmische, heldenhafte mit den großen Anfängen versprach. Aber Reger läßt warten. [... nach den Hiller-Variationen herrliche Kleinigkeiten, Episoden, Einfälle, Miszellen ...]. Wir warten alle, wohl dankbar für die Späne: aber hoffentlich sind es nur Späne, die fliegen, während das Große, was kommen soll, wird.
     Zwei von den jüngsten, für Heidelberg neuen Kompositionen brachte denn auch das gestrige Konzert: [... Ballettmusik op. 130, Böcklin-Suite op. 128 ...].
     Man beugt sich bewundernd vor all dem Können und vor der stimmungschaffenden Kraft des Meisters, und doch bleibt es dabei: man wartet. Diesem Warten ward gestern ein köstlicher Lohn durch den Strom von Musik, der sich zum Schluß über den still und dankbar Dasitzenden ergoß – die D-moll-Sinfonie von Anton Bruckner (Wagner gewidmet). Das Fanfarenthema zu Beginn und zum Schluß, ein Rahmen für das Musizieren eines Begnadeten, für seine Freude und Heiterkeit, für seine Sehnsucht und Liebe, für seinen stillen ernst, für seine innige Frömmigkeit. Welche Größe und Tiefe in dem an Beethoven mahnenden Adagio, welche Ländler=Vergnügtheit im Trio des Scherzo, welch sonnige Heiterkeit, die fast tragisch den Ernst des letzten Satzes durchsetzt. Es ist erstaunlich, welche Fülle verschiedenster Stimmungen zu einer geschlossenen Einheit zusammengefaßt sind. Aber, was war das auch für eine Wiedergabe! Mit einem Orchester, das berauschend schön klingt, ob nun in den einzelnen Instrumenten, der Solovioline oder im Solocello, ob in den Holzbläsern und im Blech, oder ob im Gesamtklang des ganzen Orchesters – ein berückender Wohllaut vom Anfang bis zum Schluß. Das Orchester steht sicher wieder auf der Höhe seiner glänzendsten Zeiten und dankt das Max Reger, der mit ihm verwachsen ist und sich bis in jede Einzelheit mit ihm versteht: ein Dirigent zugleich, der sich mit liebevoller Hingabe in diese Bruckner=Sinfonie versenkt hat und sie so in der Tat in einer vollendet schönen Wiedergabe erstehen lassen konnte. Endloser Beifall zeigte denn auch, wie dankbar das Publikum für den Abend war.      O. M." (**).

Über dasselbe Konzert schreibt "Dr. S." in der Heidelberger Zeitung 56. Jg. Nr. 10 auf S. 3:
"     Sechstes Konzert des Bachvereins.
 
    Reger mit der Meininger Hofkapelle.
     Man kann die Formel für das musikalische Wesen Reger nicht finden. Glaubt man sie festzuhalten, im nächsten Augenblick entgleitet sie einem wieder. [... über die Reger-Werke ...].
     Nichts sonderlich Neues, Bedeutendes, Ueberraschendes, aber in Behagen ersonnen [...].
     Sie haben auch interessiert, diese Tonstücke, aber, daß sie mir so recht einen Blick in Orchester=Neuland erschlossen hätten, wie etwa die grandiosen Orchestervariationen, könnte ich auch nicht behaupten.
     Danach stieg das Große, das Gewaltige in Anton Bruckners 3. Sinfonie (dmoll) empor. In diesem Stück aus dem Lebenswerk des Seltsamen, viel Umstrittenen und doch als dem größten Symphoniker nach Beethoven Anerkannten spiegelt sich deutlich Bruckners Doppelnatur; der erhaben nach pathetischem Ausdruck strebende Ernst und die kindlich naiv genießende Lebensfreude des Orchesters. Beethoven'scher und Schubert'scher Geist begegnen sich darin.
     Im ersten Satz läßt die von Bruckner so sehr (etwas zu sehr!) geliebte Trompete das große herrische Thema anklingen, das zum mächtigsten Träger des kraftstrotzenden ersten Teiles wird. Das zweite Thema ist schwärmischer, schwelgt in breiten Violintriolen. In unendlichen, immer interessanten Wandlungen baut sich der erste Satz in einer sonnigen Gesundheit, ein markiges Heldenlied singend, auf.
     Ueber dem wundervollen Adagio liegt die Weihe des Klassischen, aus ihm spricht ein echt künstlerisches Sehnen, das sich gelegentlich dann auch in Wagnerische Sehnsuchtsklänge verliert.
     Am originellsten gibt sich Bruckner allemal im Scherzo, auch hier, wo er anfangs ganz primitiv eigentlich nur Rhythmus bringt, um, – nach einer der mir weniger sympathischen Generalpausen. – ein ganz bürgerliches Wiener Tanzidyll aufzuspielen.
     Ein wahres Cyklopenthema von Bruckners Ambos hämmert das Finale ein, macht aber bald einem Motiv der Anmut Platz. Es tobt ein Kampf, in dem ein Choral den Sieg kündet. Ihn feiert zum Schluß nach einmal hell das Heroenthema.
     Und wie hat man das gestern Alles gehört, Reger wie Bruckner! So recht ausschwelgen konnte man sich einmal in eitel Wohlklang.
     Dank der Meininger Hofkapelle, mit der Reger, der am Dirigentenpult stand, eine Herz und eine Seele geworden ist.
     Wundervoll ist in allen Teilen dies Orchester besetzt. Von dem Streichquartett kommt der Klang so weich wie Samt, – wundervoll sangen die Celli, – und wo geblasen wird, meldet sich ein Künstler. Die Meininger Holzbläser haben, sozusagen, ein klassisches Renomme, aber noch höher möchte ich unter dem gleichfalls ausgezeichneten Blechelement, die wundervollen Hörner, die förmlich Orgelklang hergeben, stellen. Das Schlagwerk mustergültig – kurz, – ein ideales Orchester.
     Durch eine endlose Skala von Tonstärke, von einem Hauch bis zu einem Donner, führt Reger diese seine Schar.     Dr. S." (***).


Zitierhinweis:

Franz Scheder, Anton Bruckner Chronologie Datenbank, Eintrag Nr.: 191401135, URL: www.bruckner-online.at/ABCD-191401135
letzte Änderung: Aug 07, 2024, 6:06