zurück 29.10.1873, Mittwoch ID: 187310295

(*) Besprechung der 2. Symphonie durch Ed. Schelle in der »Presse« Nr. 298 auf S. 1:
           »Concert des Anton Bruckner.
       Zur Schlußfeier der Wiener Weltausstellung.
    Die erste Schwalbe im Frühling und das erste Concert in der Wintersaison sind für uns stets besonders erfreuliche Erscheinungen. [... ausführliche Besprechung ...] Die Symphonie wurde unter eigener Leitung des Componisten trefflich ausgeführt und fand die wärmste Anerkennung von Seite des zahlreich versammelten Publicums. Herr Bruckner wurde zu wiederholtenmalen und stürmisch gerufen. Mögen diese wohlverdienten Beifallsbeweise den Componisten ermuntern, auf der von ihm eingeschlagenen Bahn beharrlich fortzuschreiten.
E. Schelle.« (*).

(**) Bericht in der Linzer Zeitung auf S. 1059:
»A. Bruckners Concert in Wien.
Wien, 26. October. Heute feierte der in Oberösterreich geborne und dort durch sein langes Wirken als Organist zu St. Florian und als Domorganist in Linz wohl bekannte Anton Bruckner, gegenwärtig k. k. Hoforganist und Professor am Conservatorium in Wien, einen wahren Triumph. [... über sein Orgelspiel ...] Gerade in seinem engeren Heimathlande war häufig Gelegenheit, seine Gabe auf diesem Gebiete bewundern zu können. [... über die Bedeutung der Symphonie ... ] dieselbe ist jedoch nicht zu verwechseln mit der bereits vor Jahren in Linz aufgeführten Symphonie in der gleichen Tonart [... über gewisse Schwächen, aber auch die Vorzüge des Werkes ...] Der Beifall, den Bruckner bei dem zahlreich versammelten Publikum fand, war nach allen Nummern ein enthusiastischer und wollte am Schlusse der Symphonie kein Ende nehmen. [...] Ich kann diesen kurzen Bericht nicht schließen, ohne Ihnen zu sagen, daß Bruckner in Kürze ein weiteres Werk, eine Symphonie in D-moll zum Abschlusse bringen wird.
   Möge dieselbe weniger Schwierigkeiten bezüglich der Aufführung begegnen und eine gleich begeisterte Aufnahme finden. Sie wird eine solche gewiß auch verdienen.
Dr. F.G.« [vgl. die Anmerkung] (**).

Kritik von Theodor Helm (#) im Neuen Fremdenblatt Nr. 298, S. 2-4:
          Musik.
(Johann Strauß' Wohlthätigkeits=Konzert. – Konzert Bruckner. – Bruckner's Symphonie in C-moll.)
   Wir berichten heute über zwei sehr verschiedenartige Produktionen, welche beide hintereinander im großen Musikvereinssaal stattfanden. [... Johann Strauß am 25.10.1873 ...], am 26. d. Mittags gab unser rühmlich bekannter Organist Herr Bruckner sein längst angekündigtes Konzert, wie er sich ausdrückte, zur „Feier des Schlusses der Weltausstellung”. Beide Konzerte erfreuten sich des zahlreichsten Zuspruches, speziell das Strauß'sche [... über dieses Konzert ...]
   In seinem Weltausstellungs=Konzert bot Herr Bruckner den Besuchern origineller Weise nur immerfort sich selber: zuerst im Vortrage der C-dur-Toccata von Bach - Bruckner den Organisten, dann Bruckner den Improvisator, zuletzt - in einer großen, vom philharmonischen Orchester unübertrefflich ausgeführten Symphonie - Bruckner den Komponisten. Sei es vermöge des besonderen Wohlwollens des Auditoriums oder der wahrscheinlichen Zusammensetzung des letzteren aus größtentheils Freunden, Kollegen und Schülern des Konzertgebers: genug, Herr Bruckner erntete nach jeder Richtung einen glänzenden Triumph. Aber auch die vorurtheilsfreie, kühle Kritik muß Herrn Bruckner einen großen verdienten Erfolg zugestehen. Vorerst war die Interpretation der selten gehörten, indeß ihren Schwestern aus F- und D-moll [(?) in nichts] nachstehenden C-dur Toccata von Bach ebenso verständig, als klar und am Schlusse auch feurig und groß im Tone. Die Improvisation war dramatisch gehalten, nach einem einleitenden (leider weiter nicht ausgeführten) choralartigen Thema folgte eine Aneinanderreihung von Rezitativen, als wollte der Spieler irgend eine dämonische Erscheinung beschwören, dieses (etwas bequeme) Harmonien-Spiel endigte in einem glanzvollen Schlußsatz, an dem wir nur leider das plastisch hervortretende Thema vermißten. Die Klangeffekte des Instrumentes brachte Herr Bruckner diesmal ungleich besser zur Geltung als in dem ersten heurigen Orgelkonzerte langweiligen Angedenkens. Am meisten gespannt waren alle Musikfreunde auf Bruckner's neue Symphonie, schon deshalb, weil sich dieses Werk der besonderen Anerkennung Richard Wagner's zu erfreuen hatte und bekanntlich Wagner den Geistesproduktionen jüngerer Künstler gegenüber (die Herren Weißheimer und Deprosse können davon erzählen) sich so ungnädig als möglich verhält.
   Bruckner's Symphonie (aus C-moll) ist eine unbedingt interessante, poetisch, ja theilweise wahrhaft großartig intentionirte Komposition, über die sich aber nach einmaligem Hören und ohne Kenntniß der Partitur durchaus nicht aburtheilen läßt. [...] Aeußerlich ist die große viersätzige Symphonieform festgehalten, aber jeder einzelne Satz ist eher ein geistreiches Aneinanderreihen farbenreicher Orchesterbilder zu nennen, als ein echt symphonisches oder überhaupt organisches Gebilde. Bruckner beginnt gewöhnlich mit einem kraftvollen, prägnanten Gedanken [...], den er eine Zeitlang interessant und spannend ausführt, um ihn dann ganz unvermuthet fallen zu lassen: nun große, unvermuthete Generalpausen von mehreren Takten, es ist als ob der Komponist nicht weiter wüßte und sich auf Neues besänne. Richtig folgt jetzt eine mit dem Anfang nicht im entferntesten zusammenhängende Episode, welche der Komponist gerade wenn sie uns mehr zu interessiren anfängt, wie die erste Partie aufgibt: nun neuerdings Pausen, Stockungen, hierauf ein gänzlich neues Orchesterbild, das uns endlich, nachdem wir lange wie in einem Labyrinth umhergeirrt, zu dem schon vergessenen ersten Theile zurückführt.
     So können wir stets nur Einzelheiten festhalten, von einem großen, mächtigen Totaleindrucke ist nicht die Rede. Man weiß faktisch Takt für Takt beinahe nie, was der nächste bringen wird, das erzeugt zwar manche Ueberraschung, auf die Dauer aber auch eine gewisse nervöse Unruhe des Hörers. Mit Bestimmtheit rechnen kann man nur auf eine Eigenthümlichkeit des Werkes: auf die schon erwähnten, etwa alle 3–5 Minuten eintretenden Pausen: in dieser Hinsicht dürfte die Symphonie die Pausensymphonie genannt werden und sich dadurch von allen anderen Werken der Gattung unterscheiden.
    [... über die Länge des Werkes, das häufige Pizzikato, die geschickte Instrumentation ... das Werk trotz aller Vorbehalte das Produkt einer überragenden musikalischen Erscheinung ...] Der jubelnde, ja geradezu frenetische Enthusiasmus, mit dem jeder Satz der Symphonie aufgenommen wurde, darf Herrn Bruckner nicht täuschen. Einer für den Augenblick berechneten Improvisation verzeiht man Manches, was im planvoll geordneten auf dauernden Werth Anspruch machenden Kunstwerk unstatthaft. Sollten sich aber unsere jungen Symphonie=Komponisten in Zukunft eben mit solcher flüchtiger, wenn auch noch so geistvoller Improvisation genügen lassen, dann hätte es wohl mit der wahren Kunst ein für alle Mal ein Ende.         h." (***).

(Vortragsabend am Wiener Konservatorium (°)).


Zitierhinweis:

Franz Scheder, Anton Bruckner Chronologie Datenbank, Eintrag Nr.: 187310295, URL: www.bruckner-online.at/ABCD-187310295
letzte Änderung: Feb 02, 2023, 11:11