zurück 18.2.1883, Sonntag ID: 188302185

(*) Theodor Helms Kritik zur 6. Symphonie erscheint auch im Wiener Salonblatt Nr. 8 auf S. 7f:
           »Musik.

    Wie ein Blitz aus heiterem Himmel hat die Trauerbotschaft aus Venedig die gesammte gebildete Welt getroffen. [... über Richard Wagners Tod ...]
     Nach Fug und Recht sei denjenigen Künstlern der Vortritt vergönnt, welche es mit dem hingeschiedenen Meister am Redlichsten gemeint und unter diese zählten die Brüder Schalk (Mitglieder des hiesigen akademischen Wagner=Vereines), welche am letzten Samstage zusammen ein Concert im Bösendorfer Saale gaben; hieher gehört unser Hoforganist Bruckner, von welchem im sechsten philharmonischen Concerte (11. d.) zwei neue Symphoniesätze zur Aufführung gelangten [und Gustav Walter. ... Franz Schalk sollte dringend sorgfältiger intonieren, Josef Schalk sei dagegen »wirklich ein gottbegnadeter Priester der idealen Kunst« ...].
     Bruckner's oben genannte Symphoniesätze (ein Adagio und Scherzo einer sechsten Symphonie) waren die ersten, welche überhaupt in philharmonische Matinéen Eingang fanden, obgleich der Componist - wieder eine lebendige Illustration des alten Satzes "Nemo propheta in patria" - als orchestraler Erfinder unstreitig zu den ersten Talenten der Gegenwart zu rechnen. Wollten nun die Philharmoniker ein langjähriges Unrecht an einem hochbegabten Landsmanne sühnen, so hätten sie besser Stücke aus früheren Bruckner'schen Symphonien (z. B. aus der dritten in D-moll, R. Wagner gewidmet, oder aus der fünften [sic] in Es) gewählt, denn die jüngst gehörten spiegelten nicht vollkommen getreu das bedeutende Können des Autors wieder. Mindestens erschien uns in dem barock=genialen Scherzo, das die schmiedenden Zwerge aus "Rheingold" und die reitenden Walküren in persona vorführt, Bruckner's wunderliche Manie für unvermittelte Aneinanderreihung der schroffsten Gegensätze auf die Spitze gestellt, so daß das Ganze an Tollheit grenzt. Dagegen wirkte das Adagio als ein tief empfundener, langathmiger, ganz in Wagner's "Unendliche Melodie" untertauchender Gesang sehr verwandt dem wunderbaren Vorspiel aus "Tristan und Isolde" - namentlich die Instrumentation ist hier von berauschender Fülle und Eindringlichkeit. Der äußere Erfolg dieses Adagio's war ein unbedingt günstiger, während die Ansichten über das Scherzo stark auseinandergingen: im Interesse des Componisten selbst wären wohl die Beifallsbezeigungen [sic] seiner Anhänger besser minder geräuschvoll geäußert worden. [... über Beethovens Ouvertüre und die »total verblaßte« Spohrsche Symphonie mit ihrem redseligen Finale ...] Das macht begreiflich das Publikum ungeduldig, so daß es in hellen Schaaren vor Schluß der Spohr'schen Symphonie das Concert verläßt. [... über Gustav Walters Konzert ...] Dr. Theodor Helm.« (*).

(***) Besprechung durch Hans Woerz [= »Florestan« (**)] in der Wiener Sonn- und Montags-Zeitung Nr. 9 auf S. 2f:
           »Concerte.
   "Wenn die Concertgeber dem Publicum Unbekanntes vorführen wollen, brauchen sie nur nach den Werken Spohr's zu greifen." Wir haben diese Bemerkung erst vor Kurzem gemacht und im letzten philharmonischen Concerte (am 11. d. M.), dessen Programm die Symphonie Nr. 5 (C-moll) von Spohr enthielt, vollkommen bestätigt gefunden. [... über Spohr im Allgemeinen und die Symphonie im Speziellen ...] herzlicher Dank sei der trefflichen Aufführung gezollt.
     Wäre ein recht großes Spektakel der Werthmesser für ein Kunstwerk, dann hätte A. Bruckner mit dem Adagio und Scherzo aus seiner als Ganzes noch unaufgeführten Symphonie Nr. 6 den guten Spohr in Grund und Boden hineingearbeitet und brauchte keinen Rivalen mehr zu fürchten außer Richard Wagner. Für den äußeren Erfolg jedoch haben die verschiedenen Motive und Phrasen, welche sich Bruckner von Wagner ohne vorherige Anfrage zu entlehnen erlaubte, die kräftigsten Dienste geleistet und auf eine "kleine aber rührige" Fraction des Publicums dieselbe aufregende Wirkung hervorgebracht wie der bekannte rothe Lappen auf den Stier. Das Adagio hat unstreitig viele Schönheiten und einen großen Zug, es zeichnet sich durch interessante Verarbeitung der Motive und glänzende Instrumentaleffecte aus. Leidet es immerhin stellenweise an orchestraler Ueberladung und übermäßiger Länge, so ist es doch ohne Zweifel das beredte Zeugniß für das Vorhandensein wirklichen Componistentalentes. Ueber das Scherzo jedoch läßt sich überhaupt nicht ernsthaft sprechen; das Publicum war "paff", und als endlich nach einer bedenklichen Pause die »Bergpartei« Gefahr im Verzuge sah, begann ein geradezu peinliches Gejohle, das auf unbefangene Leute den Eindruck machte, als wollten sich Schuljungen mit ihrem Lehrer einen unziemlichen Spaß erlauben. Nachträglich erfuhren wir aus läßlicher [sic] Quelle, daß dieser Spaß Ernst, und die Schuljungen Wagnerianer gewesen. Was zur Steuer der Wahrheit hiemit bekannt gegeben wird. - In der Mitte zwischen Bruckner und Spohr stand C. Eckert mit einem Celloconcerte von exquisiter Erfindungsarmuth, das den einzigen Zweck zu haben scheint, dem Solocellisten eine Spielgelegenheit zu geben. [... über weitere Konzerte ... Signatur auf S. 4:] Florestan.« (***).

(°) Von dieser Aufführung berichtet auch die Deutsche Kunst- und Musik-Zeitung Nr. 7 auf S. 74:
   »[... Beethoven begeistert aufgenommen ...] und die Philharmoniker konnten sich gerade diesmal durch nichts schwerer schädigen, als durch die unglückliche Wahl der darauffolgenden Programmnummern, bei dern Anhörung die Begeisterung gar bald der Langeweile Platz machen mußte. Ausnehmen wollen wir hiebei nur das Adagio aus der 6. Symphonie von Bruckner, welches immerhin eine bedeutende interessante Composition gennant zu werden verdient. Die Gedanken sind großartig erfunden, die Instrumentation, eine farbenprächtige, gibt Zeugniß davon, in welchem Umfange Bruckner die Effecte des Orchesters beherrscht. Das Scherzo konnte uns weniger behagen - es ist eine ganze Gespenstergeschichte, in welcher Hexen und Kobolde ihr Unwesen treiben. [... über weitere Konzerte ... Signatur am Absatzende:] E. v. Hartmann.«, anschließend Besprechung weiterer Konzerte, zuletzt eines von Josef und Franz Schalk am [?] 10.2.1883, Signatur am Ende »-ff-« (°).

Kalendernotiz Bruckners: »Wag[ner] 4.« (°°).

(3. Gesellschaftskonzert unter Gericke mit Werken von Goldmark, Brahms und Dvorak (°°°)).

(Konzert im Ehrbar-Saal unter Kretschmanns Leitung mit der 1. Serenade von Ignaz Brüll (#)).


Zitierhinweis:

Franz Scheder, Anton Bruckner Chronologie Datenbank, Eintrag Nr.: 188302185, URL: www.bruckner-online.at/ABCD-188302185
letzte Änderung: Mai 13, 2024, 13:13