Artikel in der »Lyra« Nr. 11, S. 3f, über die 6. Symphonie:
»Concerte.
(Philharmonisches Concert.)
Eine gewaltige Literatur ist angewachsen, siegreich haben Wagner's Musikdramen ihren Lauf durch die Welt vollendet [...über den musikalischen Parteienstreit ...] Eine solche Abstimmung gab es anläßlich der ersten Aufführung des "Adagio" und "Scherzo" aus Ant. Bruckner's neuer Symphonie Nr. 6. Es war ein Kampf um Rom, um das vielumstrittene Princip des Musikalisch=Schönen, der das Publicum in zwei feindliche Lager theilte. Will man gerecht sein, so darf man die beiden Sätze nicht unter Einem beurtheilen; interessant ist aber gerade an ihnen, daß die Verschiedenheit ihrer schöpferischen Qualität, an die das Plus und Minus des Erfolges sich genau anpaßte, die Frage nach der Anwendbarkeit des "Wagner'schen Styls" auf die reine Instrumentalmusik veranschaulicht. Diese verlangt in erster Linie plastische, d. h. groß gebildete und bildungsfähige Motive und den durch sie hervortretenden Grundriß, der alles Beiwerk symmetrisch zusammenschließt. Alles Andere, instrumentales Colorit, technische Kunstfertigkeit, stimmungsvolles Detail kommt erst in zweiter Linie in Betracht. Wenn nun jenes secundäre Detailwerk die specifischen Eigenthümlichkeiten Wagner's, seine aphoristische Declamation und seine chromatische Modulationsweise, festhält, so ist nicht einzusehen, warum, wenn nur dem erwähnten Hauptgesetze symphonischer Schöpfungen Rechnung getragen ist, ein so geartetes Werk nicht auch im Bereiche absoluter Musik seine volle Existenzberechtigung haben sollte? Bruckner's "Adagio" hält diesen Kriterien glänzend Stand: Es ist von tiefer, großartiger und dabei ganz ursprünglicher Erfindung; wie ein mächtiger Strom, majestätisch und unwiderstehlich, zieht sich die breite Fluth seines melodischen Gedankenganges bald durch sonnige, heiter glänzende Auen, bald durch ernste, herbstliche Gefilde. Dabei ist die Composition von einer musikalischen Wahrheit, von einer Klarheit der Form, von einer Logik des Aufbaues, die ihres Gleichen suchen. Der äußere Erfolg dieses Satzes war eine imposante Acclamation, der die intransigenten Todfeinde der neuen Schule demüthig sich beugen müssen.
Leider stand das folgende "Scherzo" nicht auf der Höhe des vorhergehenden Satzes. Zwar verleugnet auch dieses nicht den Meister, der es geschrieben, allein seine Themen sind zu fragmentarisch, sein Inhalt daher zu sehr Mosaikarbeit, um wahres Behagen zu schaffen. [... kurze Bemerkungen über die anderen Werke ... keine Signatur]« (*).
Bei der vom Wiener Akademischen Wagner-Verein im großen Musikvereinssaal veranstalteten Trauerfeier dirigiert Jahn Beethovens »Eroica« und Hans Richter Stücke aus Wagners »Götterdämmerung« (Trauermarsch) und »Parsifal« (Gralsfeier) (**). Konrad Hallenstein trägt einen von Felix Dahn gedichteten Nachruf vor (***). Unter den Mitwirkenden ist auch der Wiener Akademische Gesangverein (°).
Die Bayreuther Blätter melden auf S. 92, dass nach Wagners Willen in Bayreuth wieder Parsifal-Aufführungen stattfinden werden (°°).
Zitierhinweis:
Franz Scheder, Anton Bruckner Chronologie Datenbank, Eintrag Nr.: 188303015, URL: www.bruckner-online.at/ABCD-188303015letzte Änderung: Sep 22, 2024, 12:12