zurück 29.7.1883, Sonntag ID: 188307295

Brief Josef Schalks an Franz Schalk (Postkarte mit Poststempel 29. Juli 1883):
   "Lieber Bruder!
    Eben erhalte ich deinen Brief vom 26ten. Bezüglich Gutmann ersuche ich Dich ja nicht von einer Honorarzurückbehaltung für den Klav. Ausz. zu sprechen. Ich habe ihm 20 fl. von Liszt u. [Hans von] Schneller's [oder "Schelle's"?] zu übergeben u. von Winkler muß ja auch jedenfalls eine gehörige Summe abgeliefert werden. Sage ihm aber daß es uns klar ist, daß er sich vor Beginn des Druckes sicherstellen will, er mag dies thun indem er sich die Subscriptionsbeträge selbst incassirt, er hat aber kein Recht das Werk bis dahin bei sich zurückzu[be?]halten u. wenn er [dir?]binnen 14 Tagen nicht eine Correktur schickt so werde ich ihm den Klav. Ausz. nur unter einer bedeutenden Honorarforderung überlassen während ich ihn sonst ohne jeden Anspruch hingegeben hätte. Vielleicht hilft das. Spreche so energisch als möglich mit ihm.

    Mehreres brieflich. Alle grüßend Josef" (*).
 
The Chicago Tribune berichtet auf S. 6 in der 7. Spalte mit irrtümlicher Datierung (1.7.1883) von der Aufführung der f-Moll-Messe am 24.6.1883 und erwähnt dabei die 3. Symphonie und das Quintett:
"              MUSIC.
[...]
            Elsewhere.
[...]
     A mass in F major, by Anton Bruckner, was produced Juli 1 in the Imperial Chapel in Vienna, and is spoken of as a master-piece of musical composition. Mr. Bruckner, although unknown to the great world, is called the greatest living Austrian composer, but it has been his luck to find appreciation only after a long life. He has written seven symphonies, a number of masses, several chorus works, and a number of string quartets. A symphony in D minor by him has been published lately, and a string quartet, which is said to be a perfect gem, will shortly appear." (**).
 
Sehr viel ausführlicher schreibt darüber die in St. Louis (Missouri) erscheinende Westliche Post Nr. 210 auf S. 3 in der 6. und 7. Spalte:
"                        Anton Bruckner.
     Es dürfte nahezu vier Jahre her sein, daß von einem Wiener Berichterstatter der Kölnischen Zeitung zum ersten Male dem großen Lesepublikum Kunde von der Bedeutsamkeit eines obgleich in vollgereiftem Mannesalter stehenden, dennoch in der großen Welt wenig genannten Componisten gegeben wurde. Die Ansicht des Berichterstatters, daß Anton Bruckner, Professor der Harmonielehre am Wiener Conservatorium und Docent an der Wiener Universität und k. k. Hoforganist, zu den allerbesten und musikalisch reichsten und tiefsten lebenden Tonsetzern zu zählen sei, erschien damals manchen Kritikern von Fach etwas übertrieben und es wurde ihr gerade von den tonangebenden Kritikern der liberalen Wiener Presse mit einer gewissen Gereiztheit widersprochen; von denselben Kritikern, die Bruckner allerdings mit aller Gewalt niederzuhalten bestrebt waren, weil sie ihm nicht zu folgen sich die Mühe gaben, und weil neben Bruckner vor dem Urtheil des unvoreingenommenen Publikums manche von ihnen gefeierte Tagesgröße zu klein erscheinen muß.
     Und dennoch ist der unermüdliche, unverdrossene, nur allzubescheidene Mann durchgedrungen. Die Lorbeeren sind ihm geworden, wenn sie auch ein schon bleichendes Haupthaar schmücken. Die Wiener Blätter der letzten Zeit beschäftigten sich auf's Lebhafteste mit Anton Bruckner, und einige in Ausdrücken, die weit überschwänglicher sind als die der Kölnischen Zeitung vor vier Jahren. Dr. Hans Paumgartner veröffentlichte eine ausführliche Lebens-Skizze Bruckner's in der Wiener Zeitung [27.5.1883], die inhaltlich nicht mehr angibt, als die Kölnische Zeitung seiner Zeit mitgetheilt hat. Dann aber bespricht die Wiener Zeitung einige Werke Bruckner's so die C-moll=Symphonie [sic], die den ungetheiltesten Beifall eines Richard Wagner besaß, der doch nicht gerade verschwenderisch in der Anerkennung Anderer war, und die neuerdings aufgeführte Es-dur=Symphonie; von ihr heißt es in der Wiener Zeitung: "Von prächtiger Frische und Naivetät der Erfindung in den Themen, ist sie zugleich so klar und überzeugend in der Form, daß man sie unbedingt zu den glücklichsten Erfindungen auf dem Gebiete der modernen symphonischen Musik überhaupt zählen muß."
     Bruckner hat bis jetzt sieben Symphonien, Männerchöre, Streichquartette, ein herrliches Streichquintett und verschiedene große Messen componirt, denen noch Niemand die große musikalische Bedeutung abzusprechen gewagt hat. Und doch blieb Bruckner bis jetzt der großen Welt unbekannt und nur eine einzige Symphonie, die in D moll, ist im Buchhandel erschieben (Wien, bei Franz Rättig [sic]). Das Streichquintett soll erst demnächste erscheinen; sind wir gut unterrichtet, so hat ein kunstsinniger deutscher Prinz [Max Emanuel] den Verlag dieses Werkes, das er zufällig hörte, gefördert; es soll auch diesem Prinzen gewidmet sein.
     Neuerdings, am vorletzten Sonntag [24.6.1883], ist in der kaiserlichen Hofkapelle in Wien eine Messe von Bruckner in F-dur aufgeführt worden, wofür Hofkapellmeister Hellmesberger sich erneuten Dank der echten Musikfreunde erworben hat. Ueber das Werk und seine Aufführung schreibt die "Allgem. Zeitung" [Dr. H. in der Wiener Allgemeinen Zeitung vom 29.6.1883]:
     "Mehr als je hatte man heute den Eindruck eines ungewöhnlichen ja, sagen wir es gleich mit dem rechten Worte, eines zweifellos genialen Werkes. Diese Messe gehört zu dem Besten, was Bruckner geschaffen; sie ist mit einem Verständniß für Polyphonie, mit einer unerschöpflichen Phantasie und mit einer Beherrschung der Instrumentation geschrieben, wie sie nur die größten Meister besaßen. Dazu die bunte, oft überraschende Manigfaltigkeit [sic], u. das alles wie bei einem großen Maler in der interessantesten Vertheilung von starken und abgedämpften Farbentönen, in der Vertheilung von intensiver Beleuchtung und traulichem Dämmerschein und Halbdunkel. Und welches Gemisch der lieblichsten, reizenden, machtvollen und überwältigenden Tonwirkungen! In [sic] habe es schon einmal geäußert. Bruckners Werk ist ein großartiges religiöses Musikdrama von hinreißender Kraft und Herzinnigkeit. Wie mancher schüttelt stets das weise Haupt über das "Unbegreifliche", das da "Ereigniß" geworden, und versteht nicht, wie man so etwas aufführen könne. Gewiß aber wird die Musikgeschichte in späteren Tagen neben anderen glänzenden Verdiensten Herbecks und Hellmesbergers auch dieses mit Fug und Recht rühmen, daß sie dem größten der jetzt lebenden Componisten Oesterreichs die Aufführung seiner Messen in der Hofkapelle ermöglichten. Denn nur die Hofkapelle kann in solcher Vollendung aufführen. Ich widerrufe meinen vor einem Jahre etwa geäußerten Satz, daß diese Messe in den Konzertsaal gehöre, und thue Buße für ihn. Denn dieses Werk soll und wird doch am meisten in der Kirche wirken, niemals aber – das steht mir fest – können Damen die unendlichen Schwierigkeiten so bemeistern und die kindliche Naivität mancher Stellen so rührend wiedergeben, wie unsere Prachtjungen dies thaten. Jeder Kenner wird sagen müssen, daß es wohl weniges gibt, das sich an Lieblichkeit und Größe neben das Qui tollis stellen kann. Und wie wurde dies gesungen! Die schwierigste Partie hatten jedenfalls die fünf Soprane, aber auch der Altsolist hat eine ungemein gefährliche und anstrengende Partie. Das Großartigste, die Krone der Messe, ist doch das Credo. In zartester Feinheit wird das Incarnatus behandelt, Passus und Crucifixus est werden ebenso edel und wirksam zum Ausdruck gebracht, aber das Resurrexit überbietet alles in dieser Messe an kolossaler Kraft und niederwerfender Wucht des Eindrucks. Ich habe einmal an Führichs Auferstehungsbild als malerisches Analogon erinnert; heute hat mich dieses Gewühl von erschütternden Tönen, in denen sich die Vorstellung der allgemeinen Auferstehung der Todten in niederzwingender Größe entwickelt, mit tiefer Rührung erfüllt. Wohl, hätte Bruckner nichts als dieses Resurrexit geschrieben, sein Name würde dauern für alle Zeiten! Und wie erhaben hat der Componist den von Glaubenszuversicht zeugenden ersten Satz wieder am Schlusse hindurchgeführt! Ist das Credo das Mächtigste das Werkes, so ist das liebevoll ausgearbeitete Benedictus das Wärmste und Melodiöseste, es fluthet und wogt in ihm und flötet und singt wie Tausende von Vogelstimmen! Nur ein Krösus von musikalischer Phantasie kann so schreiben! Das Sanctus mit seinem herzigen Hosannah darf ebenso wenig vergessen werden als das reich mit Schönheiten ausgestattete Agnus. Und hält man noch das ernste, gehaltvolle Graduale wie das herrliche Tonstück "Os justi" hinzu, so wird man sich mit der freudigen Ueberzeugung erfüllt haben: "Wir besitzen an Bruckner, dem Sohne des prächtigen lieben Oesterreich, ein Musiktalent ersten Ranges, einen Meister, dessen Größe erst die kommenden Generationen voll und ganz verstehen werden." " [keine Signatur] (***).


Zitierhinweis:

Franz Scheder, Anton Bruckner Chronologie Datenbank, Eintrag Nr.: 188307295, URL: www.bruckner-online.at/ABCD-188307295
letzte Änderung: Mai 13, 2024, 13:13