zurück 30.3.1886, Dienstag ID: 188603305

(*) Besprechung der 7. Symphonie [21.3.1886] durch Dömpke in der Wiener Allgemeinen Zeitung Nr. 2186 auf S. 1 - 3 (über Bruckner S. 1- 2):
           »Feuilleton.
                Concerte.

    Die schroffen musikalischen Gegensätze der Zeit konnten keine hellere Beleuchtung erfahren, als durch die verschiedenartige Wirkung der neuen Bruckner'schen Symphonie im letzten Philharmonischen Concert. Allerdings bewies das Gejohle jugendlicher Kehlen im Parterre, das fanatische Hervortreten einzelner Gruppen und Führer von Neuem die agitatorische Organisation einer um die Wahl ihrer Mittel nie verlegenen Partei, während die Massenauswanderung, welche nach dem Scherzo Parquet und Logen in geradezu unerhörter Weise lichtete, jedenfalls durch ihre Spontaneität und Absichtslosigkeit ausdrückte - was sie möglicherweise ausdrückte. Wir haben es glücklicherweise nicht zu entscheiden, zu welchen Theilen dieser Widerspruch dem Werke, zu welchen Theilen blos der vorgerückten Stunde und der Sehnsucht nach dem Mittagessen galt. Aber abgesehen von den äußeren Formen, sich kundzuthun, stehen sich die Meinungen über Bruckner's Begabung und Technik unversöhnlicher als je gegenüber. Denn mit der Phrase, daß Bruckner „nur” der Form und des Maßes entbehre, um dasjenige erreichen zu können, wozu sein „Genie” ihn eigentlich befähige, wird hier doch nur sehr oberflächlich vermittelt. Es sei denn, daß man den Begriff der Form viel weiter und tiefer als in jenem herkömmlichen Sinne verstehen wolle, in welchem selbst bedeutenden Werken, etwa von Schubert oder Schumann, Weber oder Marschner, Formmängel nachgesagt werden können, Fehler in der Anlage oder Durchführung eines größeren, complicirten, musikalischen Ganzen. Bei Bruckner können unserer Ansicht nach höhere Forderungen dieser Art überhaupt nicht in Frage kommen. Ihm fehlt das Gefühl für die ersten Elemente
[... Text wie bei 37/438, mit folgenden Abweichungen: ... Bestandtheilen ... man weiß durch welche ... Accordfolge ... existirt ...]
[...] seiner Kunstanschauung. Wenn hie und da dennoch eine Seite seiner Partitur mit unseren Begriffen von musikalischer Logik übereinstimmt, dürfen wir ihm schwerlich eine Verantwortung dafür zuschieben. Man sehe sich das Thema des Finales an, wie es in E-dur einen Augenblick „zart und bestimmt” emporstrebt, um von der Mollparallele erst in die sinnlosesten chromatischen Tonfolgen hineinzufahren wie ein wildes Thier, dann mit der harmlosesten Miene von der Welt plötzlich in eine Schlußphrase von ungeahnter Trivialität auszulaufen, die nach dem stolzen Anfang eine geradezu parodistische Wirkung macht. „Wer solchen Fehler machen konnte,” sagt Lessing im „Laokoon” von Pope, „dem war es erlaubt, von der ganzen Sache nichts zu wissen.” In der That muß, was uns vorübergehend groß und rein an Bruckner erscheint, auf Zufall oder Täuschung beruhen, wenn es nicht ein= für allemal aufgegeben werden soll, nach einer Erklärung für Abnormitäten eines Sechzigers zu suchen, deren sich ein Zwanziger nicht schnell und ernsthaft genug entledigen könnte. Bruckner componirt wie ein Betrunkener; [... Text wie bei 37/438f mit folgenden Abweichungen: ... Werth ... unterscheiden wüßte, und ... selbstständigen Individualität zu assimiliren.] Es ist offenbar ein Irrthum, sich das kritische Vermögen von der eigentlichen Inspiration des Künstlers in der Art gesondert vorzustellen, wie es manche relative Lobredner Bruckner's in ihren Zugeständnissen wähnen. Die Summe der künstlerischen Bildung und Intelligenz, zur Divination gereift und gesteigert, ist unmittelbar auch bei der höchsten Eingebung betheiligt, welche die gesammten künstlerischen Kräfte auf den Punkt der schöpferischen Production concentrirt. Wer sich gezwungen sieht, Intelligenz und Inspiration bei einem Kunstwerk nicht blos in abstracto, sondern in ihren positiven Resultaten zu scheiden, wechselnd bald der einen, bald der anderen die Herrschaft zuzusprechen, schließt damit die Anerkennung der wahren Künstlerschaft aus. Denn die Werke genialer Naturen bezeichnet dies, daß, was die Freiheit ihrer Individualität ausmacht, zugleich sich als Erfüllung eines gegebenen Gesetztes offenbart und umgekehrt. In Bruckner's Modulation [...]
[... Text wie bei 37/439, mit folgenden Abweichungen: ... sogenannte Rosalien (schlaffe Wiederholungen auf anderen Tonstufen) lassen sich ... doch erstaunen muß ... raffinirte ... frappirt ...]
[...] darüber vergißt, und nicht in dem Grade gelangweilt wird, als er sollte. Wenngleich die Einführung der Seitensätze [...]
[... Text wie bei 108/245f, mit folgenden Abweichungen (die Eigennamen ohne Sperrung gedruckt): ... entrathen ... an die Stelle ... Entwicklung; die immer ... abgebrochen oder klingen .... tremolirenden ... einige kräftige und wohlklingende Dissonanzen den feierlichen Ausdruck ... effectvoll ... gemahnenden Anfanges ... alles Uebrige in demselben tief ... daß Eine Schwalbe ... Componist ... Effecte ... Reminiscenzen ... apotheosirt ... decorativen ... Walhallamotiv ... directen ... destructiven ... Erzeugniß ... ausgenommen in Wien ... fünf Tuben, welche ... Tod Siegfried's ...]
[...] Die Hauptmelodie macht unleugbar [... Text wie bei 37/439 (4 Zeilen) ...] effectvoll klingenden Bestandtheilen zusammengesetzt. Bei der Stelle, wo plötzlich Dis-dur einsetzt und bald darauf nach H-dur modulirt, sind die Risse am deutlichsten sichtbar, aber auch sonst können sie dem feineren Ohr nicht entgehen. Der Vergleich mit dem Adagiothema [...]
[Text wie bei 37/439f, mit folgenden Abweichungen: ... allmälig ... Denjenigen ... Am Ende des ersten Abschnittes sucht uns der Componist durch eine besonders kühne Combination zu erschüttern. Er mischt Baßtuben ... divergirende ...]
[...] verwesungssüchtigen Contrapunkts in unsere Nasen dringt. Ungleich wohlthuender [... Text wie bei 108/247, mit folgenden Abweichungen: ... Adagios, berührt ... Fis-dur ... Wiederkehr und der Bearbeitung ... eigenthümlich ...] unsere erloschene Theilnahme von Neuem erweckt. - Scherzo und Finale erreichen [Text wie bei 37/440, mit folgenden Abweichungen; ... Beethoven's Neunter ... von Rohheit und Ueberfeinerung. Daß das Finale ... Theil ...] Sein Motto müßte lauten: Parturiunt montes, nascitur ridiculus mus. Ueber das paradoxe Hauptthema haben wir schon gesprochen. Die Ausführung, wie mit dem Besen zusammengekehrt, entspricht jenem Anfang, und die grelle Instrumentirung, welche pp und ff gerne unmittelbar wechseln läßt, ebenfalls. Sonst ist die Instrumentation die Glanzseite des Werkes, aber auch sie hört auf zu interessiren, wo der nackte Unsinn instrumentirt wird.
    Beethoven's C-moll-Concert, zu welchem der treffliche Pianist Heinrich Barth aus Berlin eingeladen worden war, nach der Symphonie von Bruckner zu hören, wäre eine zehnfache Erquickung gewesen. [... über Quartettabende und andere Konzerte ...] [Signatur auf S. 3:]    G. Dömpke.« (*),

(**) Besprechung durch Hanslick in der Neuen Freien Presse Nr. 7755 auf S. 2 (mit Zitaten aus Kritiken des Hamburger Fremdenblattes und der Signale (über Köln)):
           »Feuilleton.
                Concerte.

    Ed. H. Unmittelbar auf einander folgten die Concerte des „Schubertbundes” und des „Wiener Männergesang=Vereins”. [... über diese Konzerte ...]
     Das siebente Philharmonische Concert begann mit [... Méhul, Beethoven ...] Als „Pièce de résistance” figurirte Bruckner's neue Symphonie in E-dur. [...]
[Text wie bei 37/436, mit folgenden Abweichungen: "résistance" ... Theile ... zweiten Satz ... dritten, so daß ... kleiner Rest ... Genusse ... muthige applaudirte Componist ... jedem ... fünfmal ... stürmisch ... Publicum ... "der zweite Beethoven" ... im Richard=Wagner ... Bruckner's kaum ganz gerecht urtheilen könnte, so antipathisch berührt mich diese Musik, so unnatürlich aufgeblasen ... Bruckner's ... auch die E-dur-Symphonie ... Tacte ... Ueberreizung ... (in einem Briefe an mich) ... "den wüsten ... "Tristan"-Proben ... Musikers". ...] So viel nach dem ersten aufregenden Eindrucke und um Farbe zu bekennen. Einige eingehendere Bemerkungen über das neue Stylprincip Bruckner's - die Uebertragung von Wagner's Nibelungen=Styl und Instrumentirung auf die Symphonie - erlaube ich mir für eine gelegenere Zeit zu vertagen.*)
[Fußnote:] *) Was hie und da von dem „Triumph” berichtet wird, den Bruckner's Symphonie in Deutschland, namentlich in Hamburg und Köln, gefeiert habe, ist mit größter Vorsicht aufzunehmen. Der Kritiker des „Hamburger Fremdenblattes” meldet: „Die Aufnahme der Novität war seitens des Publicums eine recht kühle, und wenn dies auch im Hinblick auf den Inhalt des Werkes erklärlich war, so hätte doch den Ausführenden ein anderer Beifallslohn, als dies der Fall war, gezollt werden müssen.” Ueber die Aufführung der „weidlich als Meisterwerk ausposaunten E-dur-Symphonie in Köln berichtet der dortige Correspondent der „Signale” Folgendes: „Die übermäßige Reclame hat dem Werk keinen Vortheil gebracht; man tritt ihm mit hochgespannten Erwartungen gegenüber und findet dieselben nur zum kleinsten Theile bestätigt. Es ist mehr ein Symphonie=Curiosum als eine Meister=Symphonie, von ungeheurer Länge und Formlosigkeit . . Man wird weder warm noch kalt bei diesem allen Kunstprincipien mit Gewalt ins Angesicht schlagenden Wechselbalg, welcher sich Symphonie nennt. Die enormen Schwierigkeiten überwand unser Orchester in anerkennenswerther Weise; das Publicum nahm die Novität mit kühler Resignation entgegen.” [Ende der Fußnote]
[Haupttext:] Sich nach der Bruckner'schen Symphonie in guter Musik gesund zu baden, dazu fand sich die schönste Gelegenheit in Heckmann's dritter Quartett=Soirée. [... über dieses und weitere Konzerte ...]« (**).

(***) Besprechung durch Wilhelm Frey im Neuen Wiener Abendblatt Nr. 89 auf S. 4 (Neues Wiener Tagblatt Nr. 89):
      »Konzert. In ihrem siebenten Abonnementskonzerte brachten die Philharmoniker eine neue Symphonie von Anton Bruckner, die bei ihrer Aufführung, während und nach derselben, eine ziemlich starke Bewegung hervorrief. [... über die auswärtigen Erfolge ...] und so ist unser Komponist draußen sozusagen über Nacht zu einer Berühmtheit gelangt, die er in Wien in Dezennien nicht zu erreichen vermochte. [... klarer Aufbau, glückliche Gliederung der Gedanken, Macht der Empfindung ... es sei ungerecht, wenn] gerade für ein solches Werk nicht jene Geduld mitgebracht wird, die verwandten Novitäten so opferwillig dargeboten wird. [... über den Unsinn der Wagner-Reminiszenzen-Jagd ...] Uebrigens fand die Novität von der Majorität des Saales eine glänzende Aufnahme, wozu allerdings die begeisterte Aufführung unter Hans Richter's Leitung nicht wenig beitrug, und somit ist eine alte Ehrenschuld in würdigster Weise abgetragen worden.     W. Fr.« (***).

(°) Vom selben Konzert berichtet auch E. Kastner in Kastner's Wiener Musikalischer Zeitung, Jahrgang 1885/86, Nr. 25, auf S. 435:
   »[...] Anton Bruckner's neue Symphonie in E-dur machte den Schluß. Mit Spannung erwartet, von einem Theile der Wiener musikalischen Kreise vergöttert, von den Anderen eben so heftig angefeindet, war an eine Bildung eines abschließenden Urtheiles nicht zu denken. So viel ist gewiss: Bruckner besitzt ein grosses Talent für instrumentale Klangeffecte und würde in der Composition von symphonischen Dichtungen leicht glückliche Erfolge erringen. Die Symphonie, dieses von alter Zeit stammende Schema, mit neuen Gedanken zu erfüllen, dazu gehört ein ausserordentliches Genie der nachbeethovenschen Zeit, und dieses habe ich bei Bruckner bisher nicht herausgefunden. Es wird Bruckner und seine Anhänger am wenigsten schmerzen, wenn ich mit jenen Worten schliesse, welche Robert Schumann im Jahre 1847 über Meister Richard Wagner's „Tannhäuser” schrieb: „Eine Oper (Symphonie), über die sich nicht so in Kürze sprechen lässt. Gewiss, dass sie einen genialen Anstrich hat. Viel liesse sich über die Oper (Symphonie) sagen, und sie verdiente es, ich hebe es mir auf später auf.”
E. Kastner« (°).

In der Konstitutionellen Vorstadtzeitung Nr. 89 wird auf S. 4 die Aufführung von »Trösterin Musik« am 11.4.1886 angekündigt:
»[...] Das hochinteressante Programm enthält u. A. Novitäten von Anton Bruckner („Trösterin Musik”) [...]« (°°).


Zitierhinweis:

Franz Scheder, Anton Bruckner Chronologie Datenbank, Eintrag Nr.: 188603305, URL: www.bruckner-online.at/ABCD-188603305
letzte Änderung: Mär 26, 2023, 17:17