zurück 6.2.1888, Montag ID: 188802065

Kritik (signiert »dr. h. p.«) [Paumgartner] über die 4. Symphonie und das »Te deum« in der Wiener Zeitung Nr. 29, (= Wiener Abendpost), auf S. 5f:
               "Concerte.
                       II.
     Ein Ereigniß von allererster künstlerischer Bedeutung war das im großen Musikvereinssaale veranstaltete Concert, in welchem ausschließlich Anton Bruckner mit zweien seiner größten Werke zur Aufführung gelangte, nämlich mit der fünften [sic] (Es-dur-) Symphonie und dem "Te=Deum".
     Die fünfte Bruckner'sche Symphonie hörten wir bereits im Jahre 1881 in einem von den Philharmonikern veranstalteten außerordentlichen Concerte, das "Te=Deum" vor zwei Jahren in einem Gesellschaftsconcerte. [... diesmal gesteigerter Eindruck, Wärme der Tonsprache, Klangzauber, mit Schubert verwandt, wirkliche Natur, echte Romantik ... über die einzelnen Sätze ... Finale fessellos in der Form, "eine freie orchestrale Phantasie über den schönsten tondichterischen Inhalt" ...] Die Symphonie, von Herrn Hans Richter in bewunderungswürdigster Art studirt und geleitet und vom Hofopern=Orchester vorzüglich gespielt, wurde mit stürmischer und wachsender Begeisterung vom Publicum aufgenommen, welches nicht müde wurde, mit seinem Beifalle den Tondichter immer wieder auf das Podium herauszujubeln.
     Durfte Bruckners Phantasie sich bei seiner Es-dur-Symphonie im Zauberwalde der Romantik frei und fessellos ergehen, so führt uns der Tondichter in seinem "Te=Deum" an der Hand der gewaltigen Kirchendichtung in den hohen christkatholischen Dom. Es ist erstaunlich, welche Glaubensmacht dieses große Werk durchringt. Der Tondichter glaubt fest und mit unerschütterlicher Freudigkeit an seinen persönlichen Gott - das sagt uns jede Verszeile seines "Te=Deum". Gleich an die Spitze ist das gewaltige Motiv gestellt, auf welches der Chor die Eingangsworte singt: "Te Deum laudamus! Te Dominum confitemur". Dieses Motiv ist durchgängig festgehalten, und immer wiederkehrend bildet es das gleichsam stählerne Gerüste des Ganzen, welches in seiner Gesammtheit und in seinen einzelnen Theilen so vollendet, so einheitlich und doch wechselvoll vor uns steht, daß der Versuch einer Besprechung zur eingehenden Analyse des Werkes anwachsen müßte. Wir wollen hier nur hervorheben den reizvollen Eintritt das Soloquartettes "Tibi omnes Angeli", die großartige, von dem "G" der Soprane nach abwärts schreitende Chorstelle "Tu ad liberandum suscepturus hominem", das schmerzlich ergreifende Tenorsolo "Te ergo quaesumus", bei den Worten "quos pretioso sanguine" vom Geigensolo sphärisch in verklärte Höhen getragen, vor Allem aber die unerhörte großartige Chorstelle "Aeterna fac cum Sanctis tuis", eine der großartigsten Emanationen der kirchlichen Musik aller Zeiten. Nach dem lieblichen Soloquartett "In te, Domine, speravi", welches der volle Chor in der schönen H-dur-Stelle "non confundar in aeternum" fortsetzt, stürmt der Tonsatz in einer mächtigen Doppelfuge dem glanzvollen, in jubelndem C-dur ausklingenden Schlusse zu. Die Aufführung des "Te=Deum" war ganz ausgezeichnet. Das Soloquartett (die Damen Forster und Papier, die Herren Winkelmann und Schwegler) hob sich sehr wirkungsvoll ab von den großen Massen des Chores, der unübertrefflich war in aller Stärke und in jeder Zartheit. Wie ein Heerführer in den Kreuzzügen stand die Hühnengestalt [sic] Richters am Dirigentenpulte und führte seine Schaaren zu Sieg und Ruhm. Es war aber auch ein herrlicher Erfolg, den Bruckner feiern durfte. Der nicht endenwollende Beifallsjubel war Aller Dank für die beiden herrlichen Werke, welche die Phantasie und die Kunst des Schöpfers uns geschenkt hat.
     [... über Sophie Menter, Hellmesberger mit Brahms' C-Dur-Klaviertrio, bei Quartetten spielte der Senior die Bratsche ...] Es ist ein unverkürzter Genuß geblieben, das Hellmesberger'sche Quartett anzuhören.
                     dr. h. p."


Zitierhinweis:

Franz Scheder, Anton Bruckner Chronologie Datenbank, Eintrag Nr.: 188802065, URL: www.bruckner-online.at/ABCD-188802065
letzte Änderung: Feb 02, 2023, 11:11