zurück 22.12.1891, Dienstag ID: 189112225

Besprechungen der 1. Symphonie (am 13.12.1891) erscheinen
 
im Fremdenblatt Nr. 351 auf S. 5:

"Konzerte.
[... über Josef Joachim mit deutlichen Abbauerscheinungen, andere Konzerte ...]
     Im dritten Konzert der Philharmoniker spielte Herr Johannes Wolff, [... über Spohrs Violinkonzert ...]. Seinen eigentlichen Stempel prägte diesem philharmonischen Konzerte die Aufführung von Anton Bruckner's erster Symphonie (C-moll) auf. Wir haben sie schon früher gehört [sic!] und können unser Urtheil über sie nicht wesentlich ändern. Die Sätze eins, drei [sic!] und vier gleichen zu sehr stürmischen Improvisationen, ihnen fehlt ein strengerer Aufbau, mangelt jene große Logik der Gedanken, an die uns Beethoven gewöhnt hat. Es blitzt und donnert wohl in diesen Sätzen, aber manchmal kommt auch der Donner vor dem Blitze. Das Scherzo hingegen, wo die knappere Form auch den Komponisten zwang, sich mehr zusammenzunehmen, ist nach Gedanken und Entwicklung ein ganz eigenthümlicher, durchaus genialer Satz. Je tiefer man in diesen Bau hineingelangt, mit einem um so größeren Respekt erfüllt er uns. Die Wiener Universität hat Herrn Bruckner jüngst das Ehrendoktorat verliehen. Die Ehre ist gewiß an einen würdigen Mann gelangt, der, aus eigener Kraft von unten emporgestiegen, musikalische Gelehrsamkeit mit schöpferischem Vermögen verbindet. Als Lehrer und als Komponist hatte er schon längst promovirt." [Signatur, sofern vorhanden, nicht erkennbar, da Kopie der S. 6 nicht vorliegt] (*)
 

und im Neuen Wiener Tagblatt Nr. 351 auf S. 6, signiert "W. F." [Wilhelm Frey]:
"     Konzert. Das dritte philharmonische Konzert eröffnete sein Programm mit der Ouverture in C "zur Namensfeier" von Beethoven, [... Johannes Wolff mit Spohr ...] – Den Schluß des Konzertes bildete Anton Bruckner's erste, bereits im Jahre 1864 entstandene C-moll-Symphonie. Das in kolossalen Dimensionen angelegte Werk – seine Spielzeit kam nahezu jener der "Neunten" gleich, sie dauerte über eine volle Stunde – enthält vier Sätze, von denen wir dem Scherzo den Preis zuerkennen möchten. Dieser Satz ist maßvoll und ökonomisch in der Verwendung der Motive und klar in deren Verarbeitung und Durchführung. Das Allegro – erster Satz – häuft Effekte auf Effekte, weiß sich im Drange der Gedanken und instrumentalen "Einfälle" nicht zu fassen und leidet an dem Mangel künstlerischer Konzentration. Es ist schade um dieses Allegro denn bekommen wir den Sturm und Drang einer radikalen Musikseele auch aus zweiter Hand– bei Berlioz und Richard Wagner ist der Urquell zu finden – so bergen sie doch manchen bedeutsamen Schatz kühner Ideen. Auch das Adagio arbeitet seine Themen nicht zu völliger Klarheit heraus und das Finale ist gar zu lärmend instrumentirt. In einer Mozart=Woche, wo ruhiger Fluß und verklärender Wohllaut so vielfach gefeiert wurde, kam dieses Finale nicht zu gelegenster Zeit. Bruckner wurde nach jedem Satz auf das Podium herausgestürmt, aber nicht vom gesammten Auditorium, denn Viele hatten bereits vor Schluß der Symphonie den Saal verlassen, was für oder gegen das Werk übrigens gar nichts bedeutet. Vor vierzig Jahren nämlich floh man geradeso vor Richard Wagner und das wurde damals von Vielen für guten Ton und als Beweis hohen Kunstverstandes ausgegeben.         W. Fr." (**).

Von der Aufführung des »Te deum« am 20.12.1891 berichten

das Illustrierte Wiener Extrablatt Nr. 351 auf S. 5 (signiert »k. st.« [Königstein]):
"     Das zweite ordentliche Gesellschaft=Concert fand vorgestern Mittags unter Leitung des Herrn Wilhelm Gericke im großen Musikvereins=Saale statt und bot ein abwechslungsreiches, interessantes Programm in überwiegend guter Ausführung. [... über die drei ersten Programmpunkte ...] Den Schuß der Matinée bildete Arth. [sic!] Bruckner's imposantes "Te deum" für Chor mit Soli, Orchester und Orgel. Obgleich die Aufführung nicht ganz glatt verlief, übte sie doch eine sichtlich tiefe Wirkung auf das recht zahlreich Publicum. Der Componist wurde gerufen.          k. st." (***),

die Österreichische Volkszeitung Nr. 351 auf S. 3:
     "Gesellschafts=Konzert. Wer Vieles bietet, wird Jedem Etwas bieten, dachte man offenbar, als man das Programm für das gestrige, nebenbei bemerkt sehr mäßig besuchte Gesellschaftskonzert entwarf. [... Ph. Em. Bach, J. S. Bach, Brahms Violinkonzert mit Wessely ...] Schumann's Requiem für "Mignon" [...] konnte nur im letzten Theile mit dem Hervortreten des Blechorchesters einiges Interesse erregen. Ganz anders freilich klang das Blech in dem das Konzert abschließenden Bruckner'schen Tedeum. Das imposante Werk wurde förmlich niedergeschmettert und aus den Trümmern erhoben sich, sichtbar aber nicht hörbar, die Hilferufe des Singvereins. Die Soli schienen mehr auf häusliche Erfolge eingerichtet.     B. B-.t [sic]" [Balduin Bricht] (°)

und knappestmöglich die Neue Freie Presse Nr. 9815 auf S. 2, signiert "Ed. H." (Eduard Hanslick): "Concerte. Ed. H. Das Quartett Hellmesberger spielte am letzten Donnerstag vor einer dichtgedrängten und erwartungsvollen Versammlung. Die Neugierde galt hauptsächlich einem noch ungedruckten Trio von Brahms für Clavier, Violoncell und Clarinette. [... über dieses und andere Konzerte ... Joseph Joachim unsauber bei Max Bruchs 3. Konzert ... WMGV ... 2. Gesellschaftskonzert ... Lob für Wessely mit Brahms-Violinkonzert ...Schumanns "Mignon" ...] Auf das Schumann'sche "Requiem" folgte noch das große "Tedeum" von Bruckner. Den Hörern ward an diesem Sonntag etwas zu viel zugemuthet." (°a).

Bruckner trifft in St. Florian ein. Im Gästebuch ist verzeichnet "Professor Dr Bruckner", "P. 5" [Wohnung im Prälatengang Nr. 5] und die Anzahl der Mahlzeiten mit "19" angegeben. Im Fremdenbuch ist notiert "Prof. Dr. Bruckner". Der Abreisetag [vermutlich 1. oder 2.1.1892] ist nicht angegeben (°°).

Das Deutsche Volksblatt Nr. 1065 veröffentlicht auf  S. 4 des Abendblatts folgenden Aufruf [vgl. 20.12.1891]:
"      (Neuer Richard Wagner=Verein.) 1. Bez., Babenbergerstraße Nr. 5. Mittwoch, den 23. d. M, findet kein Vereinsabend statt; den 30.d. M. wird außerhalb des Rahmens des eigentlichen Vereines eine gemüthliche Sylvester=Feier veranstaltet [... Programm, 13.1.1892 Monatsversammlung ...] Der Vorstand hat überdies beschlossen, nachstehenden Aufruf zu erlassen.
     Aufruf. Der Neue Richard Wagner=Verein fordert hiermit deutsche, stimmbegabte Männer und Frauen auf, seinem Vereinschore beizutreten. [... über die Modalitäten ...] werden die Proben erst begonnen werden, wenn mindestens vierzig verläßliche Anmeldungen eingelaufen sind. Der Chor steht unter der Leitung des Kunstwartes Herrn Cyrill Hynais (Schüler des großen Meisters Dr. Anton Bruckner) und der Verein beabsichtigt, in der nächsten Zeit Chöre aus den Werken Wagner's, Liszt's, Bruckner's aufzuführen. Freundliche Anmeldungen (mit genauer Angabe des Wohnortes) bittet der Verein an den Kunstwart, Herrn C. Hynais, V., Hundsthurmerstraße 12, schriftlich bis längstens 10. Januar gelangen zu lassen. Die Bestimmung des Probetrages [sic] und der Probezeit wird im Einvernehmen mit den Mitgliedern des Chores erfolgen.  Der Vorstand." (°°°).


Zitierhinweis:

Franz Scheder, Anton Bruckner Chronologie Datenbank, Eintrag Nr.: 189112225, URL: www.bruckner-online.at/ABCD-189112225
letzte Änderung: Mär 30, 2023, 12:12