zurück 24.12.1891, Donnerstag ID: 189112245

Bericht Robert Hirschfelds in der »Presse« Nr. 353 auf S. 1f über die 1. Symphonie [13.12.1891] und das »Te deum« [20.12.1891], mit einleitenden Bemerkungen zum Ehrendoktorat:

»          Concerte.
     Anton Bruckner ist Ehrendoctor der Wiener Universität geworden. Diese seltene Auszeichnung hat für Meister Bruckner ihren besondern Werth. [... dem Parteigetriebe enthoben ... Bruckners Bedeutung trotz Kritikpunkten ... ] hat durch den höchsten akademischen Ehrentitel Gewicht erhalten und wird nun nicht mehr wegzuleugnen oder abzuschwächen sein. Unsere Philharmoniker haben - ich weiß nicht, welchem Einflusse folgend - den rechten Weg, Bruckners Promotion zu feiern, leider nicht eingeschlagen. Bei diesem Anlasse hätte einzig und allein unter den vollkommensten und reifsten Schöpfungen Bruckners gewählt werden dürfen [...] Aber die lärmvolle, im letzten Satze ganz ungeklärte erste Symphonie in C-moll wäre am besten für ein Wagner=Vereins=Concert, welches Bruckner's Verehrer und die intimeren Kenner ungemischt vereinigt, aufgespart geblieben. Anton Bruckner ist in unbändiger Jugendstärke noch heute Stürmer und Dränger - man denke also, wie Sturm und Drang in jener ersten Symphonie im Jahre 1865 Gestalt gewann! Die ästhetische Kraft, Orchestermassen in den gigantischen Steigerungen sowohl wie in der zartesten Episode klar und wirksam zu disponieren, besass er damals schon, und in verschwenderischer Fülle strömten ihm die großartigsten Gedanken zu, erschütternd, erhebend, derb lustig, liebselig und traumhaft [... zu viele Motive ... dunkle Ahnung organischer Gliederung ... Kontrapunktik oft für das Auge genussvoller als für das Ohr ...].
     Ergreifend ist der zweite Satz der Symphonie, welcher in As-dur anhebt. Aus nächtigem Dunkel streben Lichtgedanken empor [... Beschreibung des Stimmungsgehaltes ...] Die erfreuendste Beschränkung auf einige kraftvolle Themen legt sich Bruckner stets in den strammen Formen des Scherzo auf. Den Geist dieser Form scheint er von Beethoven unmittelbar überkommen zu haben. [...] Der letzte Satz ist ein Tonlabyrinth. Beständig überraschen neue Gänge, die immer wieder zur Verwirrung führen. [... kunstreiche, aber schwer zu fassende Gleichzeitigkeit der Motive ...] Die Philharmoniker spielten die Symphonie mit Meisterschaft, auch in den gewaltigsten Steigerungen nicht ihre Kraft verzehrend. Hans Richter führte die Spieler sicher über die musikalischen Stromschnellen des Werkes hinweg.
     Würdiger als durch diese drangvolle Erstlings=Symphonie war Anton Bruckner in dem zweiten Gesellschafts=Concerte durch sein "Tedeum" vertreten. Hier sind dem Fluge seiner Phantasie durch die Worte festere Linien vorgezeichnet und die musikalischen Gedanken verlieren sich nicht ins Unabsehbare. [... tief empfunden, für weite Kirchenräume geeignet ...] Ich möchte nicht behaupten, daß der Dirigent des Concerts die ganze Kunst und Kraft, welche in unserem trefflichen "Singverein" schlummert, dem Werke dienstbar gemacht habe. Dem Tempo fehlte häufig die Festigkeit, den Einsätzen die Ruhe. Das Orchester überflügelte im Klange den Chor. Im letzten Theile des Tedeum schien die Unsicherheit der Begeisterung Abbruch zu thun. [... Schwächen auch bei Bach ... Singverein diesmal nicht so auf der Höhe wie sonst ...]
     [... C. Ph. E. Bach, Wessely mit dem "prächtigen" Brahms-Konzert ... Lob für die Komposition ...]
     Gesangskräften, welche im zweiten Gesellschaftsconcerte die Solopartien ausführten, seinen noch Worte der Anerkennung gewidmet: den Damen Gisela Körner, deren weiche, edle Stimme eigentlich noch immer größerer Aufgaben harrt, Albertine Beer, Eugenie Hofmann, den Herren Schittenhelm und Eugen Weiß, dann dem Fräulein Friederike Mayer [... Singakademie, Duesberg, Fritz Kreisler ...] Seine Virtuosenkünste, welche stürmisch applaudirt wurden, stehen auf strahlender Höhe; nun wäre es Zeit, daß der Musiker in ihm erwache.
                         Dr. Rob. Hirschfeld.« (*).

Im ausführlichen Artikel Theodor Helms (»Wiener Musikbrief«) über die 1. Symphonie und das »Te deum« im Pester Lloyd Nr. 329 auf S. 5 (= Beilage) wird auch der Festcommers [am 11.12.1891] erwähnt:
          "Feuilleton.
          Wiener Musikbrief.

     Eine Reihe hochinteressanter Vorkommnisse in den hiesigen Konzertsälen drückt Ihrem musikalischen Korrespondenten von neuem die Feder in die Hand. Vor Allem ist der Aufführung der Erstlingssymphonie unseres greisen Organisten Anton Bruckner in der dritten Matinée der Philharmoniker am 13. d. zu gedenken. [... Text bei www.anno.onb.ac.at/cgi-content/anno?aid=pel&datum=18911224&seite=5 ... Stichwörter: 1. Symphonie am 13.12.1891, die Entstehung und Aufführung in Linz, Klavieraufführung durch Ferdinand Löwe [vor dem 30.10.1889?] - Theodor Helm dabei - und Hans Richters Begeisterung, , die Ernennung zum Ehrendoktor, Lob für Wiener Philharmoniker, das Werk sollte vor allem in Finale gekürzt werden ... über die anderen Programmnummern und andere Konzerte ... über das "Te deum" (auch für Budapest zu empfehlen!) am 20.12.1891, Gericke dirigiere nicht so anfeuernd wie Hans Richter ... über weitere Konzerte ... Wunderknabe Koczalski ... Bravourstücke kaum kindgeeignet ...] Derartige Uebertriebenheiten könnten, wie schon der mit Orden und Medaillen übersäete Anzug des sonst so sympathischen Kleinen, leicht gegen dessen wahre Begabung ungerecht machen.
                                          Dr. Theodor Helm." (**).


Zitierhinweis:

Franz Scheder, Anton Bruckner Chronologie Datenbank, Eintrag Nr.: 189112245, URL: www.bruckner-online.at/ABCD-189112245
letzte Änderung: Feb 11, 2023, 23:23