zurück 14.11.1892, Montag ID: 189211145

Besprechung des 150. Psalms
 
in der Wiener Extrapost Nr. 565 (Wiener Montags-Journal) auf S. 4:

"          Theater, Kunst und Literatur.
[...]

     (Erstes Gesellschaftsconcert.) In seiner Lebensbiographie gedenkt Altmeister Goethe seiner aufgeregten Jugendtage [... über "Wanderers Sturmlied" von Richard Strauss ...]. Das neueste Werk unseres greisen Meisters Anton Bruckner - mit welchem die Theaterausstellung hätte eröffnet werden sollen - "der 150. Psalm" ging dem Strauß'schen "Sturmlied" voran. Die im Style des "Te deums" geschrieben überwältigende Composition zeigt eine Abgeschlossenheit, wie sie kein früheres Werk Bruckner's charakterisirte. Vom ersten bis zum letzten, eine gewaltige, in ihrer Chromatik bewundernswerthe Schlußfuge krönenden Halleluja, ist alles nur eine weitgespannte Steigerung, die, ohne in Mosaikarbeit zu zersplittern, zu höchster Wirkung aufstrebt. [... Schubert-Ouvertüre, Mendelssohns "Loreley" mit Frl. Standthartner, Liszt-Klavierkonzert ...] Fräulein Adele aus der Ohe spielte dieses Titanenwerk; sie erschien als ein schmächtiges Burgfräulein des Mittelalters und entpuppte sich als eine temperamentsprühende Clavieramazone fin de siècle. Es war eine große Ueberraschung und - ein kleines Ereigniß." [keine Signatur] (*)
 
in der Wiener Sonn- und Montags-Zeitung Nr. 46 auf S. 5, signiert "h. w." [Hans Woerz]:
"     (Concerte.) Gesten Mittags begann unter Gericke's Leitung der Cyclus der Gesellschaftsconcerte des Musikvereins. Dabei kamen zur ersten Aufführung: [... Schubert ...]; dann zwei Chorwerke, nämlich A. Bruckner's "150. Psalm" ("Lobet den Herrn in seinem Heiligthum") und "Wanderers Sturmlied" von Rich. Strauß. [... Liszt, Adele aus der Ohe ... Mendelssohn ...] den Solopart sang diesmal Frl. Standhartner mit hübscher Stimme und guter Technik, aber ohne Wärme. Der Singverein war gestern hinlänglich beschäftigt und zwar theilweise mit Aufgaben von ungewöhnlicher Schwierigkeit, denen er sich frelich, wie kaum anders zu erwarten war, auf Grund sorgfältigen Studiums durchaus gewachsen zeigte. Wenn trotzdem der Applaus, den seine Leistungen in den Chorwerken von Bruckner und Strauß fanden, relativ nur ein mäßiger war, so kommt dies in erster Linie auf Rechnung der Werke, sowie auch der Umstand, daß Bruckner schließlich Anlaß erhielt, für den gespendeten Beifall persönlich zu danken, mehr auf die Person des Componisten als auf seinen Psalm zurückzuführen ist. Unsere eigenen Gedanken über die hier erwähnten Chornovitäten werden wir uns erlauben, in der nächsten Nummer dieses Blattes zum Ausdruck zu bringen. [... Konzert der Geigerin Rosa  Hochmann ...]        h. w." (*a),

und im Illustrierten Wiener Extrablatt Nr. 316 auf S. 6, signiert »K. St.« [Königstein]:          "Concerte.
[... über Hellmesbergers Konzert ...] Es war ein glücklicher, von Beifall und Kränzen reich begleiteter Eröffnungsabend.
     Das gestrige Eröffnungsconcert der Gesellschaft der Musikfreunde wurde mit einer veralteten, unter Rossini'schen Einflüssen entstandenen Ouverture von Schubert eröffnet. Es wäre pietätvoller gewesen, dieses so wenig Schubert'schen Geist athmende Werk nicht auszugraben, sondern es den Musikhistorikern zur beliebigen historisch-kritischen Benagung zu überlassen. Ant. Bruckner's 150. Psalm für Solo, Chor und Orchester, der ursprünglich zur Eröffnung der Musikausstellung dienen sollte, aber nicht rechtzeitig fertig wurde, besteht aus zwei grandiosen Hauptstücken, die leider dünn und dürftig verbunden sind. Die gewaltige, aber abstruse Tonsprache, die Bruckner redet, übte auf das Publicum einen erkältenden Eindruck. Der Componist wurde trotzdem von der stehenden Schaar seiner Anhänger so lange applaudirt, bis er auf dem Podium erschien, um zu danken. Eine andere Novität [... Richard Strauss, Adele aus der Ohe mit Liszt, Mendelssohns Loreley ...] Fräulein Standthartner sang die Loreley und fand vielen und verdienten Beifall für ihre technisch wohlgelungene Leistung. [... Loreley und Schubert besser nicht mehr "exhumieren" ...] Das einzige nachhaltige künstlerische Ergebniß des gestrigen Gesellschaftsconcertes ist die Bekanntschaft mit Fräulein aus der Ohe.       k. st." (**).

Datierung auf einer Abschrift des Hymnus »Iam lucis orto sidere« [WAB 18] (***), die von Kremsmünsterer Schülern - G. A. (°), J. K. (°°) und Lehofer (°°°) - signiert wurde.

(Gründungsliedertafel des Schubertbundes im Sophiensaal, bei der u.a. auch Simandl mitwirkt (#)).

Bruckner hält seine Universitätsvorlesung (##).


Zitierhinweis:

Franz Scheder, Anton Bruckner Chronologie Datenbank, Eintrag Nr.: 189211145, URL: www.bruckner-online.at/ABCD-189211145
letzte Änderung: Mär 30, 2023, 12:12