zurück 1.2.1893, Mittwoch ID: 189302015

Brief Bruckners an P. Sebastian Mayr in Kremsmünster:
     Kondoliert zum Tod Oddo Loidols. Grüße an den Abt und Landeshauptmann [Leonhard Achleuthner] und das gesamte Kapitel. Er selbst sei seit etwa 8 Tagen krank und heute erstmals kurz außer Bett. Prof. Schrötter behandle ihn (*).

Artikel »Episoden aus Dr. Anton Bruckner's Leben« in der Steyrer Zeitung Nr. 10 auf S. 3 [Text wie am 27./28.1.1893, mit etlichen Druckfehlern]:
"                  Localnachrichten.
[...]
     Episoden aus Dr. Anton Bruckner's Leben. Der "Linzer Ztg." schreibt man am verflossenen Donnerstag Nachstehendes aus Steyr: Seit dem Jahre 1875 verbringt unser so vielseits geschätzter Landsmann und Componist den Sommer in der Stadt Steyr. Hier hat er eine kleine Gesellschaft, in welcher er in seiner originellen Art und Weise Geschichtchen aus seinem Leben zum besten gibt, die imstande sind, die Gesellschaft stundenlang zu fesseln. Ich will nicht zurückgreifen auf Erlebnisse aus der Zeit, da er als wohlbestallter Schulgehilfe in Windhaag bei Freistadt um 25 [sic] fl. pro Jahr wirkte und nebstbei bei eventuellen Hochzeiten um einen "Zwanziger" aufspielte, sondern einige aus letzterer [sic] Zeit wiedergeben: R. Wagner hatte einen Friseur namens Schnappauf. Einst besuchte Bruckner (es war nach den Triumphen, welche er mit seiner VII. Symphonie geerntet) Bayreuth und traf den Haarkünstler. Nach beiderseitiger Begrüßung platzte dieser heraus: "Ist also doch wahr worden, das der todte Meister sagte!" "Nun, was sagte er?" entgegnete Bruckner. Hierauf Ersterer: "Der Meister meinte immer, daß Sie noch der Welt was erzählen werden." "So, das hat der Wagner gesagt? Sehen Sie, wann ich Sie jetzt nicht treffe, erfahre ich dies mein Lebtag nicht." – Als Bruckner beim Organistenwettspiel in England weilte, war alles über ihn, beziehungsweise seine Art, die Orgel zu behandeln, entzückt. Eine Lady ließ ihm sagen, er möge englisch lernen, damit sie mit ihm, falls er wiederkommt, reden kann. Doch Bruckner darauf zum Dolmetsch: "Sagen Sie der Lady, sie möge deutsch lernen, wann sie mit mir reden will." – Ueber den Effect der VII. Symphonie brachte das "Berliner Tageblatt" einen mit Geist geschriebenen Aufsatz, in welchem unter anderen die Bemerkung stand, daß, während andere Tonkünstler Lorbeeren ernteten, Bruckner G'selchts und Knödel aß und weitercomponierte. Bruckner laß [sic] den Artikel und sprach: "Schön geschrieben, aber von dem G'slchten [sic] und den Knödeln die G'schicht' könnte wegbleiben. Ws [sic] braucht jeder Mensch zu wissen, was ich gern esse!" Solck [sic] Schnurren folgen eine der anderen, wenn Meister Bruckner gu [sic] aufgelegt ist. – Es sei bei dieser Gelegenheit darauf aufmerksam gemacht, daß Bruckner mütterlicherseits aus Steyr stammt, da die Wiege seiner Mutter in dem Hause Nr. 24 am Stadtplatz das jetzige Café Landsiedl) stand." (**).

Die Analyse der 8. Symphonie durch Max Graf in der Musikalischen Rundschau Nr. 3 wird auf S. 22f mit dem 2. und 3. Satz fortgesetzt:
"   Eine Analyse der achten Symphonie (C-moll) von Anton Bruckner.
             II. Scherzo (¾, Allegro moderato).
     Umrauscht von abwärtssteigenden Violingruppen erscheint in Viola und Cello des [sic] breitspurige Hauptthema ("Der deutsche Michel"):
c' es' f' g' g  | c' es' f' g' g | c' g' as' b' b' [sic] | c'
     Bald beginnt ein anmuthiges Wechselspiel in der Umkehrung. Das Horn bringt das Thema, Oboe und Clarinette dessen Umkehrung. Während die Umkehrung zerbröckelt, erhält das vom Horn gebrachte Hauptmotiv das Uebergewicht und schreitet chromatisch aufwärts, begleitet von den Bässen; das Thema erscheiint [sic] nach und nach über dem von der 1. Violine consequent festgehaltenen hohen b in den verschiedensten Instrumenten. Endlich verhallt es in Es-dur: nur Pauken, Celli und Bässe lassen in leisen Schlägen Es erschallen. Nach diesem kleinen Einschnitt verwandeln sich die absteigenden Violingruppen in aufsteigende, während die Umkehrung des Hauptthemas von Cello und Bass figurirt in der Clarinette erscheint und eine geraume Zeit den Satz beherrscht. Ueber einen Paukenorgelpunkt (c) und unter dem Erklingen der Violingruppen beginnt die Clarinette das Thema wieder in der Originalgestalt. Interessant ist die folgende Stelle, wo unter dem von den Violinen gebrachten as die Hörner das Hauptthema in Rosalien aufsteigend bringen, während darunter Bässe und Celli wuchtig in Septaccorden aufsteigen.
[das Beispiel betrifft die Takte 25 bis 30]


     Der Schluss ist in C-moll: Die Pauke hält das c, die Violine das g fest, während das Thema in der ursprünglichen Tonlage (C-moll) erklingt.
     Trio (langsam 2/4). Eine zarte, innige Melodie bildet das Hauptthema (As-dur), ("Der Michel träumt ins Land hinaus"), mit welcher das jubelnde E-dur-Thema (von drei Hörnern gebracht) den grössten Contrast bildet. Die zweite Melodie paraphrasirt in den reinen Accordtönen die Harfe, deren Figuration von den Violinen übernommen wird. Die Hornmelodie nehmen die Violinen in etwas veränderter Gestalt auf, während alle vier Hörner die Umkehrung bringen; das bildet die Ueberleitung zur Anfangsmelodie. Die zweite Melodie erscheint hierauf zum zweiten Male in E-dur, verstärkt von Holz- und Blechbläsern, während, wie früher die Violine, jetzt das Fagott und das 4. Horn die Harfenfiguration übernehmen. Mit plötzlicher Wendung nach As dur nehmen die Hörner die Melodie auf, die Harfenfigur wird von der Clarinette fortgesetzt, und das Ganze – Piccicati [sic] der Streicher geben den Grund – figurirt die Flöte.
     Hierauf Reprise.
                       III. Adagio.
     (Des-dur, feierlich langsam, doch nicht schleppend.) Das Adagio erscheint als die technisch vollendetste Schöpfung Bruckner's. In ihr ist die Individualisirung der einzelnen Stimmen des Orchesterapparates aufs Subtilste ausgeführt, stellenweise bringen alle Stimmen eigene Melodien, welche sich zu einem grossartigen Gesammteindrucke vereinen. Die Instrumentation ist von berauschender Färbung (man beachte die von Harfen umspielten psalmodirenden Stellen: die Er[fi?]ndung dieses Satzes überragt alle früheren.
     1. α) 2. Violin, Viola, Celli (divisi) und Bass (piccic.) bilden in eigenartig stockenden Synkopen


den dunklen Untergrund, über welchen [sic] die 1. Violine [sic] das Hauptthema (basirt auf as-a a-g[sic]) bringen. Den Nachsatz des breit auslegenden Hauptthemas bildet eine absteigende Violingruppe, unter ihrer Führung belebt sich der Orchesterapparat, und mit plötzlicher Wendung nach A-dur erscheint nach einem Violinaufschwung das Choralthema der Streicher. Hier treten zum ersten Male die Harfen ein, welche die eigenartigen Accordführungen der Streicher (Des-moll [Septaccord] – As-dur – Es-dur –Es-dur [grosser Nonenaccort in zweiter Umkehrung] – F-dur) begleiten.
     1. β Hierauf Wiederholung vom Anfange, statt des früheren Ueberganges nach A-dur erscheint H-dur und damit der ganze Toncomplex (Choralstreicherthema – Choral mit Harfe) um einen Ton höher (Schluss in G-dur).
     2. Eine kurze Phrase des 2. Hornes führt
     3. zur Gesangsgruppe der Celli (eine der genialsten Eingebungen Bruckner's!), begleitet von Violinen (divisi) 2. Oboe II. Cl. Bei der Wiederholung des Themas wird es von einer Solovioline, welcher die Flöte canonisch folgt, umrankt.
     4. Ein kurzer Verbindungssatz, in welchem die Bläser das Gesangsmotiv inkleiner Veränderung aufnehmen.
     5. Wiederholung vom Anfange an. Während das 1. Thema ertönt, stimmt das F-Horn in die sehnsüchtige Melodie canonisch ein. Dies ist der Beginn einer variationsmässigen Durchführung, in welcher sich alle Stimmen selbstständig loslösen. 1. und 2. Violine das Hauptthema, F-Horn canonische Nachahmung, 3. Violine [sic! recte: 3 Soloviolinen] folgt dem Horn, so dass sich das Thema dreimal in der Entfernung von je einer halben Note übereinanderschiebt. Das erste Motiv zerfällt in seine zwei Theile (1. auf das chromatische Intervall a–as basirt und 2. absteigender Nachsatz), Vordersatz und Nachsatz werden getrennt verwendet. Bass, Fagott und Contrabasstuba beginnen den Vordersatz, Clarinett und 2. Violine gleichzeitig den absteigenden Nachsatz, während die erste Violine eine variationsmässige Melodie darüberspinnt. Ihr gesellt sich die Flöte zu, während die Oboe die zweite Violine unterstützt und gleichzeitig das [Horn] die Umkehrung des absteigenden Nachsatzes (aufsteigende Motiv) bringt. Dasselbe erhebt sich auch in Bass und Cello, muss aber der von Violinen gebrachten Umkehrung weichen, welche den Uebergang zur Gesangsgruppe bildet.
     6. Auch hier werden alle Stimmen selbstständig gemacht. Gleichzeitig mit der Gesangsgruppe ertönt in der Solovioline die Umkehrung. Die ausdrucksvollste Stelle ist hier, wenn die Umkehrung in der Tenorposaune [sic!??] gebracht wird, bis sie im vollsten Glanze in den Violinen erscheint.
     7. Das Hauptthema wird von der Viola in 1/16 Begleitung umspielt, bis es unter der 1/16 Begleitung des ganzen Streichorchesters im Blech erschallt.
     8. Als Uebergang schiebt sich hier ein neues Gesangsmotiv ein (sanft und zart, sehr gesangvoll), welches allmälig unter starker Steigerung des Orchesters anschwillt und zur gewaltigen Schlusssteigerung führt.
     9. Die Steigerung gipfelt in dem von Harfenklängen gehobenen Choralthema. Wie im ersten Satze schliesst nach dieser Steigerung der Satz nicht, sondern er erhält ein sanft verklingendes Ende. Die Synkopenbegleitung zerfällt immer mehr bis nur ein Ton übrig bleibt, welcher von den Streichern picc. gebracht wird. Darüber gewegt sich der Ansatz des Gesangsthemas und der Vordersatz des ersten Themas (in den Hörnern). In der Vergrösserung des letzteren klingt das Adagio aus.
     Das Schema des langen Satzes (seine Aufführung währt eine halbe Stunde) ist also:
     1. α) I. Hauptthema – Choral;
         β) I. Hauptthema – Choral (einenTon höher).
             2. Uebergang.
             3. II. Hauptthema (Gesangsgruppe.)
             4. Uebergang.
              Durchführung.
     5. 1. Variationsförmige Verarbeitung des 1. Themas.
     6. 1. Variationsförmige Verarbeitung des II. Themas (Gesangsgruppe).
     7. 2. Variationsförmige Verarbeitung des I. Themas.
     8. Statt 2. variationsmässiger Bearbeitung des II. Themas (Gesangsgruppe) – neues Gesangsmotiv.
     9. Schluss. α) Choralaufschwung,
                        β) verhallender Schluss (I. Thema, II. Thema).
     Auch dieser Satz ist, wie man sieht, von grösster Regelmässigkeit im Aufbau und glanzvoller Uebersichtlichkeit – und das zu beweisen, war einzig der Zweck dieser Analyse.
                       (Schluss folgt.)  " (***).

Ankündigung der 3. Symphonie (am 3.2.1893) in den Münchner Neuesten Nachrichten Nr. 52 auf S. 3:
"Theater und Musik.
     + Musikalische Akademie.
Das nächste (fünfte) Abonnementkonzert findet Freitag den 3. Februar im kgl. Hoftheater statt. Zur Aufführung gelangen: Mendelssohn Ouverture "schöne Melusine", Beethoven Violinkonzert, Herr Konzertmeister Benno Walter, Anton Bruckner dritte Sinfonie D-moll (zum ersten Male). [... Kassenöffnungszeiten ...]." (°).

Die Zeitschrift "Unverfälschte Deutsche Worte" erwähnt auf S. 36 in einer Konzertbesprechung (signiert "J. K. H.") auch Bruckner:
"                      Deutsche Kunst.
       
(Compositionsconcert des Josef Reiter.)
     Die deutschnationalen Kreise Wiens können mit Stolz und Genugthuung auf den 12. Jänner d. J. zurückblicken, der in seiner Art ein Siegestag, eine glänzende Kraftprobe der deutschnationalen Partei war, und – heißt es ja die von Rich. Wagner begonnene Entjudung der Musik werkthätig fortzusetzen – geeignet ist, als Markstein in der nationalen Erziehung des Ostmarkvolkes zu gelten.
     [... Konzert im Musikvereinssaal ...].
     Es ist allgemein bekannt, daß das internationale Judenthum nicht allein die Wirthsvölker wirthschaftlich schädigt, sondern auch geistig verseucht, indem es Sitte und Gebrauch, Literatur und Kunst verfälscht und verwälscht und jede gesunde nationale Volksregung mit ihrer Presse erdrückt und erstickt. Auch Josef Reiter, der jüngste deutsche Künstler hat, wie Bruckner und Wagner, diese sattsam bekannte Methode an sich bisher erfahren und wird die Polypenarme dieser Presse bis ans Ende seiner vielversprechenden Laufbahn empfinden. [...]
    [... über den Kritiker Horn [Camillo Horn], der sich der Judenpresse zuneige ... zum Schluss auch Bemerkungen über das Konzert, Lob für Appel und Duesberg ...].    J. K. H." (°°).


Zitierhinweis:

Franz Scheder, Anton Bruckner Chronologie Datenbank, Eintrag Nr.: 189302015, URL: www.bruckner-online.at/ABCD-189302015
letzte Änderung: Mär 23, 2024, 14:14