zurück 5.2.1893, Sonntag ID: 189302055

Hynais besucht Bruckner. Eine Notlüge gebrauchend behauptet er, bereits Bruckners Auftrag erfüllt zu haben, Puchstein zu bitten, in Zukunft anstelle Camillo Horns die Kritiken im Deutschen Volksblatt zu schreiben [siehe die Anmerkung] (*).

Kritik der Münchner Neuesten Nachrichten Nr. 57 auf S. 4 über die 3. Symphonie [am 3.2.1893], signiert kleines "rho":
"                 Theater und Musik.
[...]
     - ρ- Musikalische Akademie. In dem gestrigen, fünften Abonnementskonzerte hörten wir zum ersten Male die Richard Wagner gewidmete, dritte Symphonie in d-moll von Anton Bruckner. Wir sind mit der Art des Schaffens dieses Komponisten durch die Aufführung seiner Symphonien in E und Es, seines Te Deums und eines Ave Maria für Chor ziemlich vertraut geworden. Seine d-moll-Symphonie steht hinter den angeführten Werken an Originalität zurück, die Anlehnung an seine Vorbilder: Beethoven und Schubert tritt in ihr in oft zu greifbarer Weise hervor. Vornehmlich der erste Satz zeigt deutlich, wie Bruckner, hingerissen von dem Eindrucke der neunten Symphonie, nun selbst auch etwas ungemein Großes und Erhabenes hinstellen wollte. Hinsichtlich des Stimmungsausdruckes ist ihm das auch gelungen; aber weil er zum Schaffen nicht durch mächtige Lebenseindrücke, sondern nur durch bereits vorhandene Kunstwerke bestimmt wurde, so fehlt den Gebilden die rechte selbständige Ursprünglichkeit. Das rhythmische Hauptthema des ersten Satzes ist ganz direkt dem ersten Allegro der neunten Symphonie entlehnt, und ebenso der Aufbau des Schlusses, am meisten spricht darin Bruckner selbst in Momenten, in denen die leidenschaftlich-tragische Grundstimmung durch Anklänge religiöser Stimmungen unterbrochen wird. Immerhin macht dieser Satz mit seiner starken Empfindung und seinem mächtigen, wenn auch nicht logisch konsequenten Aufbau, einen bedeutenden Eindruck. In dem ungemein edel empfundenen Adagio unterbricht der Komponist seine schöne erste Melodie sofort durch wie zufällig auftauchende Tonarabesken, was auch zur Folge hat, daß diese Melodie bei ihrer musikalisch ungemein reich ausgestalteten Wiederkehr doch nicht genug eindrucksvoll wirkt. Durch Frische und Lebendigkeit wirkt das Scherzo, bei dem uns allerdings die abrupte Art des Schlusses unverständlich blieb. Im letzten Satze herrscht viel tosendes Ungestüm, eine Ueberfülle von Phantasie gestalten zieht an uns vorüber, aber es fehlt die scharfe Bestimmtheit plastischer Gestaltung und die zwingende Kraft der sicher zum gewollten Ziele führenden musikalischen Dialektik. Man wird durch diese oft wirklich machtvollen Tonformen zwar angeregt, aber nicht befriedigt. Generaldirektor Levi dirigirte das bedeutende Schwierigkeiten bietende Werk mit der ihm eigenen scharf eingreifenden Entschiedenheit des Ausdruckes und es gelang ihm damit auch, das Interesse des Hörers bis zum Ende wach zu erhalten. Die Symphonie fand achtungsvolle aber nicht begeisterte Aufnahme. Außerordentlichen Erfolg hatte Benno Walter mit dem Violinkonzerte von Beethoven. Dieser ausgezeichnete Virtuose hat nun eine hohe Stufe der Künstlerschaft erreicht. Mit außerordentlicher Technik verbindet er eine oft bestrickend wirkende Tonschönheit und eine hinreißende Wärme natürlicher Empfindung. Die Kantilenen des langsamen Mittelsatzes waren geradezu gesungen und mit seelenvollstem Ausdruck deklamirt. Vorzüglich spielte der Künstler auch die schwierigen Kadenzen. Seine Leistung rief stürmischen Beifall hervor. Herr Konzertmeister Abel führte die Direktion des Orchesters mit vorzüglicher Sicherheit und feinem Anschmiegen an den Ausdruck des Solisten. Eingeleitet wurde das Konzert mit einer sorgsam ausgestalteten Ausführung von Mendelssohn's Ouverture zum „Märchen von der schönen Melusine"." (**).

Das Münchner Konzert wird auch im Münchner Fremdenblatt und Handelszeitung mit Tagesanzeiger und Quartiergeber besprochen (***).

Die Neue Freie Presse Nr. 10221 wiederholt auf S. 15 das Inserat (mit dem "Vexilla regis") [hier ohne den Zeilenumbruch des Originals]:

"Das billigste, werthvollste und prächtigste Album moderner Musik ist das Wiener Meister-Album, Preis 90 kr. netto, enthaltend durchwegs auserlesene Compositionen für Clavier, sowie Gesang mit Clavierbegleitung von: Brahms, Bruckner, Brüll, [...] Zellner, Ziehrer. 71 Seiten stark. Pracht-Ausgabe. Künstlerische Ausstattung. Mit den Porträts sämmtlicher Meister! Provinz-Aufträge werden gegen Zusendung von fl. 1.– franco expedirt. Verlag Jos. Weinberger, Wien, I., Kohlmarkt Nr. 8, Mezz." (°).

(3. Gesellschaftskonzert unter Gericke mit Werken von Bach, Kössler, Spohr, Brahms und Rubinstein (°°)).


Zitierhinweis:

Franz Scheder, Anton Bruckner Chronologie Datenbank, Eintrag Nr.: 189302055, URL: www.bruckner-online.at/ABCD-189302055
letzte Änderung: Jan 15, 2025, 12:12