zurück 24.3.1893, Freitag ID: 189303245

Über die Aufführung der f-moll-Messe berichtet Theodor Helm in der Deutschen Zeitung Nr. 7629 auf S. 6 [die Kolumne datiert 23. März]:
"     (Bruckner's F-Moll=Messe) hat bei ihrer heutigen Aufführung durch den Wiener akademischen Wagner=Verein (der ersten vollständigen Concertaufführung des Werkes überhaupt) in den großen Musikvereinssaal ein sehr zahlreiches Publicum gelockt und dieses aufs höchste begeistert. Lauschte man schon mit athemloser Spannung, offenbar tief ergriffen, der demüthig frommen Bitte des "Kyrie", so brach brausender Jubel los nach den Jubelklängen der Schlußfuge des "Gloria". Der Eindruck schien nicht zu überbieten [sic], und doch wurde er noch überboten durch die gleich einer Offenbarung wirkende Verkündigung der Wunder des Evangeliums in dem felsenfesten "Credo", durch das unendlich innig empfundene weihevolle "Benedictus" und das wahrhaft verklärt ausklingende "Agnus Dei". Vom "Gloria" angefangen mußte sich Bruckner immer von Neuem dem wie Ein Mann applaudirenden Publicum zeigen: er hat heute als apostolisch begeisterter Sänger des Herrn keinen minder glänzenden Triumph gefeiert denn als kühner, gewaltiger Symphoniker am 18. December 1892 im vierten Concert der Philharmoniker. Um die Einstudierung der so überaus schwierigen Messe hatte sich Professor Schalk außerordentliche Mühe gegeben, und gerieth demnach die Aufführung so gut, ja imposant, als man es unter den gegebenen Verhältnissen nur verlangen konnte. Der durch Mitglieder des Akademischen Gesangvereins verstärkte Wagner=Vereinschor verrichtete wahre Heldenthaten. Die Leistung der (gleichfalls verstärkten) Capelle Strauß als Orchester übertraf alle Erwartungen, in dem mitunter sehr heiklichen Soloquartett wurden der edle Vortrag Meister Walter's, die frische Stimme und musikalische Sicherheit der Sopranistin Fräulein Sofie Chotek sowie deren treffliches Zusammenwirken mit der tüchtigen Altistin Fräulein Widermann auf das angenehmste bemerkt, und endlich gebührt noch Herrn Labor für die wunderschöne Ausführung des einleitenden Präludiums und des das Sanctus mit dem Benedictus auf das sinnigste verbindenden Zwischenspieles ein besonderes Ehrenkränzlein. Die Seele der mächtig bewegenden Aufführung war aber doch Herr Schalk, dem Hans Richter (der auch in den Applaus für Bruckner enthusiastisch einstimmte) zu dieser neuen glänzenden Probe seines Interpretationstalents in den schmeichelhaftesten Ausdrücken gratulirte. Auf Bruckner's Messe kommen wir jedenfalls noch zurück.   h–m." (*).

Besprechungen erscheinen auch im Deutschen Volksblatt Nr. 1518 auf S. 7:
Meister Bruckner's F-moll-Messe im Concertsaal.
     Die gestrige erste Concert=Aufführung von Meister Bruckners F-moll=Messe gestaltete sich zu einem glänzenden Triumph für den großen Componisten, dem das andächtig den hehren Klängen des großartigen Werkes lauschende Publikum begeisterte Ovationen darbrachte. [... über den Ablauf der einzelnen Sätze, nach dem Kyrie Stille, Beifall erst nach dem Gloria ...] und brausender, schmetternder Beifall rief mit unwiderstehlicher Gewalt den greisen Componisten, der bescheiden in den Hintergrund eine Loge zurückgezogen, der Aufführung seines Werkes lauschte und nun dem so lebhaft ausgesprochenen Wunsche der Menge nachgebend, in der Mitte der Sänger erschien. Die Scene, die sich nun abspielte, spottet jeder Beschreibung. Der große Meister, die ihm dargebrachten Huldigungen bescheiden auf die Mitwirkenden abzulenken trachtend, applaudirte den ihn [sic] zujubelnden Künstlern und reichte freudestrahlend dem Leiter der Aufführung, Herrn Professor Schalk, die Hand, mit der Schlichtheit seines Wesens die Flammen der Begeisterung stets heller entfachend. Nur einmal machte sich die Verehrung, die der große Meister in der Wiener Bevölkerung genießt, in gleich stürmischer Weise kund; anläßlich der Aufführung seine Symphonie während der vorjährigen Musik- und Theater-Ausstellung. Die Meister Bruckner dargebrachten Huldigungen wiederholten sich in womöglich noch verstärktem Maße nach dem überwältigend schönen Credo, dem überströmend innigen Benedictus und am Schlusse des Riesenwerkes. Um die Aufführung, auf die wir selbstverständlich noch zurückkommen, machte sich nebst dem ausgezeichneten Dirigenten des Wagner-Vereines, Herrn Professor Schalk, der gestern wieder eine neue Probe seines Könnens ablegte, das Strauß-Orchester, der Wagner=Vereinschor, der sich prächtig geschult erwies, und von den Solisten besonders Kammersänger Walter verdient. Der Saal war trotz der weit vorgerückten Saison und der sträflichen Theilnahmslosigkeit der überwiegenden Mehrheit der Wiener Blätter gegenüber dieser Aufführung sehr gut gefüllt und mit einem ebenso distinguirten wie kunstsinnigen Publikum besetzt, indem wir viele Persönlichkeiten bemerkten, die im Wiener Musikleben eine führende Rolle spielen, wie unter Anderen Hofcapellmeister Hans Richter, Eduard Strauß, Frau Rosa Papier, Opernsänger Ferd. Jäger und Andere mehr." [keine Signatur] (**)

und - signiert »K. St.« [= Königstein] - im Illustrierten Wiener Extrablatt Nr. 83 auf S. 5:
„            Theaterzeitung.
[...]
Anton Bruckner’s große Messe in F-moll für Soli, Chor und Orchester, jenes Werk, welches Johann Herbeck mit einer so hohen Meinung von der Begabung des Componisten erfüllte, wurde gestern Abends im großen Musikvereinssaale unter der ausgezeichneten Leitung des Herrn Joseph Schalk durch den Wiener akademischen Wagner=Verein zum ersten Male in einem Concerte zur Aufführung gebracht und hatte einen großen, durchschlagenden Erfolg, der in stürmischen Ovationen für den anwesenden Autor zum Ausdrucke kam. Diese Huldigungen würden an sich sehr wenig für den Werth der Messe beweisen, denn die vereinigten Wagner=Bruckner=Gemeinden haben den gleichen Enthusiasmus oft genug auch dann entfaltet, wenn es sich um eine schwache Schöpfung des greisen Musikers handelte. Allein diesmal fanden wir, die wir den Symphonien Bruckner’s mit sehr gemischten Empfindungen gegenüber stehen, den Erfolg gerechtfertigt.
     Bruckner, der Kirchencomponist, ist ein völlig anderer, als Bruckner, der Symphoniker. Die weltliche Musik quillt ihm, der bei der Orgel in der Kirche künstlerisch aufgewachsen ist, nicht aus dem innersten Wesen. Da ist sein Vortrag stockend, seine Diction unbeholfen, die Logik der Empfindungen selten folgerichtig. Vor der Orgel – man höre ihn einmal frei phantasiren! – findet er seine natürliche Gefühls= und Sprechweise wieder und wie mit Engelszungen beredt offenbart er sich in seiner F-moll=Messe.
     Sie ist 1869 [sic] entstanden, als Bruckner noch Organist in Linz war und gelangte 1872 in der Augustinerkirche zur ersten und später in der Hofkapelle zu einigen weiteren Aufführungen. Wir und mit uns ein größeres Publicum hörten sie gestern zum ersten Male und sie hat uns einen tiefen Eindruck hinterlassen.
     Nach einem wenig bedeutenden Orgel=Präludium setzt das „Kyrie“, in etwas archaistischer Weise seinen Jubel dämpfend, ein, um in dem darauf folgenden „Gloria“ eine desto gewaltigere und himmelanstürmendere Fortsetzung zu finden. Das „Graduale“ mit seinem zwischen Frauen= und Männerstimmen ruhig schwebenden Wechselgesang; das „Sanctus“ mit seiner im ersten Theile wahrhaft seraphischen Feierlichkeit, die im „Osanna“ ihren mächtig jauchzenden Nachhall findet; das nach einem überirdisch klingenden Orgel=Intermezzo ergreifend einsetzende „Benedictus“; endlich das „Agnus Dei“ sind von solcher Klarheit der Conception, Einheitlichkeit in der Ausführung und so reiner, andachtbeflügelnder Stimmung, daß man den Genius, der in diesen Stücken waltet, bewundernd anstaunen muß. Am wenigsten einheitlich ist das „Credo“ gerathen. Dabei aber enthält es in den Absätzen „Et incarnatus,“ „Et homo factus,“ „Et resurrexit“ und „Et iterum venturus“ einen Gipfelpunkt nicht nur der Messe, sondern der Musikliteratur überhaupt. Wen bei dem über dem Tremolo der Bässe und Paukenwirbeln aufgebauten „Et resurrexit“ nach dem musikdramatisch in abgründige Tiefen versinkenden „passus et sepultus est“ nicht die unfaßbaren Schrecken der Todtenauferstehung rütteln, dem fehlt entweder der gläubige Sinn oder die auf Musik reagierende Phantasie. Die folgenden Absätze des „Credo“ fallen freilich dagegen stark ab.
     Die Aufführung, um die sich der Chor des Wagner=Vereines, die Kapelle Ed. Strauß und die Herren Jos. Labor (Orgel) und Aug. Duesberg (Geigensolo), sowie Herr Walter, der Tenor des im übrigen unzulänglichen Vocalquartetts, wirkliche Verdienste erworben haben, war eine überraschend gute, zum Theil sogar glänzende.              k. st.
(***).

Bruckner wird im Linzer Volksblatt Nr. 69 auf S. 1 als Opfer einiger bestimmter Presseorgane dargestellt:
"     Christenschutz oder Judenschutz?
                          Von A. U.
                 (Schluss des 9. Artikels.)
     Der Untergrabung des Dogmas und der Moral zugleich dient das Feuilleton. Wer dieses nicht näher zu bezeichnende Futter täglich genießt, wird bald ein verständnisinniger Durchstöberer des Inseratentheiles des Judenblattes sein [... Unzucht, Verbrechen, skandalträchtige Tagesneuigkeiten, Literaturkritik ...]
     Auch die Kunst, besonders das Theater, ist nach Alberti=Sittenfeld durch die Juden corrumpiert. Ueber die fast zum Monopol gewordene "Kunstkritik" der Juden schreibt er: "[... Bildungsheuchelei ...]" Das ist "das Bekenntnis einer schönen Seele", denn Alberti=Sittenfeld ist selbst jüdischer Kunstkritiker. Eine ganz ähnliche Tyrannei üben die Judenblätter auf dem Gebiete der Musik aus. Unser Dr. Bruckner kann auch ein Lied davon singen.
    [... über den "Patriotismus der Judenblätter" und andere politische und wirtschaftliche Aspekte ... Niedergang der Kultur und Moral ...] (°).

Die Österreichisch-ungarische Buchhändler-Correspondenz Nr. 12 verzeichnet auf S. 154 den Erstdruck der 4. Symphonie:
"                      Alb. J. Gutmann in Wien.
Ashton, Algernon,

[... 5 Nummern ...]
Bruckner, Ant., Vierte (romantische) Symphonie in Es-dur für grosses Orchester. Partitur               18.–
Erlanger, L. v. [...]" (°°).


Zitierhinweis:

Franz Scheder, Anton Bruckner Chronologie Datenbank, Eintrag Nr.: 189303245, URL: www.bruckner-online.at/ABCD-189303245
letzte Änderung: Mai 14, 2024, 8:08