zurück 25.3.1893, Samstag ID: 189303255

Kritik der f-moll-Messe [am 23.3.1893] von Camillo Horn im Deutschen Volksblatt Nr. 1519 auf S. 1f:
"                Aus dem Concertsaal.
        Anton Bruckner's große Messe in F-moll.
     Immer wieder drängt sich uns das Bedauern, wir möchten sagen, ein schmerzhaftes Gefühl auf, daß gerade einer der hervorragendsten Tondichter der Gegenwart, wie es Bruckner ist, in den maßgebenden musikalischen Kreisen Wiens so wenig berücksichtigt wird. [... Messe 1869 [sic] entstanden ... 1872 Augustinerkirche und später in der Hofkapelle (einmal war der Referent dabei) ... Labor spielte ein Orgelpräludium ... Besprechung der einzelnen Sätze ... Bruckner musste sich schon nach dem Gloria mehrmals zeigen ... als Einlage das "Locus iste" ... Lob für Gustav Walter und August Duesberg beim "Et incarnatus est" ... Sanctus und Benedictus waren durch ein Orgelzwischenspiel verbunden ... Lob auch für die weiteren Mitwirkenden: Frl. Chotek, Frl. Widermann, Herr Hugel, das verstärkte Orchester von Eduard Strauß ...] Insbesondere aber gebührt dem Herrn Professor J. Schalk als umsichtigem Dirigenten und unermüdlichem Bruckner-Apostel uneingeschränkt Lob.
     Unwillkürlich dachten wir an Rubinstein's kürzlich mit so viel Pomp und Lärm aufgeführtes "verlorenes Paradies" und wie steht Bruckner's große F-moll-Messe dagegen da! Dort nur geistige Armuth, unheimliche Nüchternheit - hier geniale Gedanken, Schwung und Leben. Um wie viel aber müßte Bruckner's Werk noch gewinnen, stünden ihm alle die zahlreichen und werthvollen Kräfte zu Gebote, welche sich kürzlich vereinten, um einem nahezu todtgeborenem musikalischen Wesen auch nur die nothwendigste Lebenskraft einzuflößen!        Camillo Horn." (*)
 
Berichte darüber erscheinen auch
 
im Neuigkeits-Weltblatt Nr. 70 auf S. 5:
"     Bruckner's große Messe in F-moll. Es war ein weihevoller Genuß, den uns gestern Abends der Wiener akademische Wagner=Verein unter der vorzüglichen Führung seines hochverdienten Dirigenten Herrn Josef Schalk im großen Musikvereinssaale bereitete. Ihm danken wir die erste Konzert=Aufführung von Anton Bruckner's großer Mesee in F-moll, die der Meister noch als Organist in Linz im Jahre 1869 [sic] geschaffen hatte. Das wahrhaft bedeutende Werk fand gestern eine enthusiastische Aufnahme und wurde der greise Schöpfer desselben mit Beifall überschüttet. Wir behalten uns eine Besprechung der genialen Komposition vor, von welcher namentlich das „Graduale", das „Sanctus", das erhaben schöne „Benedictus" und das „Agnus Dei" einen tiefen, die Andacht von selbst herausfordernden Eindruck machten. Nicht genug Lob verdient die Aufführung, in erster Reihe der Chor des Wagner=Vereines, die Kapelle Eduard Strauß, Kammersänger Walter und die Herren Labor und Duesberg. Das in imposanter Zahl erschienene Publikum verließ den Saal in mächtig gehobener Stimmung. Das ist die Wirkung der edlen reinen Kunst, als deren Hohenpriester wir unseren Meister Bruckner seit Langem verehren.          Alpha." (**)
 
und - von Robert Hirschfeld - in der »Presse« Nr. 84 (Local-Anzeiger) auf S. 13f:
"                      Concerte.
     "Für dies Concert bin ich in Eurer Schuld", muß ich Vielen sagen, nachdem eine trübe Zeit mich vom Concertsaal ferngehalten hat und dann die Wogen der hochgehenden Saison unaufhaltsam über mich hinweggerollt sind. Ein Stoß von Programmen liegt vor mir aufgehauft; [... Lob für Grädeners Orchesterverein für classische Musik und für Grädener als Orchestererzieher ... anders] gilt das Streben des Akademischen Wagner-Vereins in den internen Abenden unter der umsichtigen und sicheren Führung seines Dirigenten Josef Schalk hauptsächlich den modernen Meistern. Mit einer vortrefflichen Aufführung der F-moll-Messe von Anton Bruckner im großen Musikvereinssaale trat der Verein über den Kreis seiner Mitglieder und Gäste hinaus. Eine andächtig gestimmte Hörerschaft füllte den ganzen Raum. Der Vereinschor war entsprechend verstärkt. Mit dem Strauß'schen Orchester, das ebenfalls vermehrt wurde, machte der Verein einen neuen Versuch. Er glückte, wenn auch manche Schatten über das begleitende Orchester flogen. So lange Wien neben den Philharmonikern kein zweites Orchester besitzt, werden große Orchester=Aufführungen des Abends immer nur schwer zu erreichen sein. Es ist zu beklagen, daß in unserem Wien, das sich so gern eine Musikstadt nennt, die Begleitung zu einer Bruckner'schen Messe von einem Tanz=Orchester besorgt werden muß, aber es ist vielleicht gerade wieder unsere Musikstadt, in welcher allein bei der Begabung der Ausübenden und der hingebenden Führung des Dirigenten Solches ohne Schaden des Werkes geschehen kann. Wer mit den Schwierigkeiten einer Bruckner-Aufführung rechnet, wird Herrn Schalk vollste Anerkennung zollen müssen. Die F-moll-Messe ist ein grandioses Werk, echt kirchlich, aus einem frommen, gottergebenen Geiste geschöpft, dem gleichwol auch die modernen Ausdrucksmittel für heilige Empfindungen dienstbar sind. Kirchlich ist die Messe, weil sie in der Stimmung an den Gemeinsinn der Gläubigen rührt, selbst bei verwickelter Structur die Deutlichkeit des Textes bewahrt und trotz aller Größe und Tiefe der Anlage ein gewisses Maß der Ausdehnung nicht überschreitet. Nach dem ersten Hören wird es schwer, den Gedanken der Messe im Einzelnen würdigend nachzugehen. Die gewaltige Fuge des Gloria sei bemerkt; die Festigkeit und Glaubensstärke in dem Motiv des mächtigen Credo; es ist mit Geist und Kraft erfaßt. Die geheimnißvollen Klänge bei den "sichtbaren und unsichtbaren Dingen"; das Tenorsolo des "Incarnatus est", die Mystik bei "Homo factus est"; das grandiose "Vitam venturi saeculi" mit dem eingefügten Credo=Choral – damit sind die Schönheiten nicht erschöpft. Das Nachspiel des Orchesters zu den Worten "Qui locutus est" spricht wirklich sanft und eindringlich wie aus dem Munde Erleuchteter zu uns. Das "Benedictus" zähle ich mit seiner innigen, tiefempfundenen Melodik zu den schönsten und ergreifendsten Offenbarungen modernen Kirchengeistes. Diese Musik strömt direct aus dem Gefühl ins Gefühl über. Ein Interludium zu dem Benedictus hat Kammervirtuose Labor auf der Orgel mit der ihm eigenen Vollkunst und Zartheit der Empfindung, die Motive aus der Messe holend, zu tiefinnerlicher Wirkung gebracht. Dem Benedictus gleichwerthig war die a capella-Einlage, das Graduale "Locus iste", vom Vereinschor mit Wärme und im Styl gesungen. Aus dem Orchester der Messe spricht die Eigenart des großen Symphonikers. Glanz und Fülle. Aber auch die Eigenheiten Bruckner's fehlen nicht, wenn, nach Goethe's Wort, "über die ernste Partitur quer Steckenpferdlein reiten". Eine Stimmführung, welche häufig die chormäßigen Grenzen durchbricht, das Abreißen herrlicher Gedanken, die man fortgeführt wünschte, die ausgreifenden Freiheiten, welche Bruckner's Art sind, finden wir in der F-moll-Messe wie in seinen anderen großen Chorwerken. Auch die Soli sind, wie Bruckner dies liebt, häufig ohne eigentliche innere Nothwendigkeit nur so in die Messe geworfen; sie wurden von Gustav Walter, der bei hervorragend künstlerischer That nie fehlen mag, von den Damen Chotek und Wiedermann sehr rühmlich ausgeführt.
     Der Gesellschaft der Musikfreunde, deren Singvereinsmitglieder, soweit sie Theilnehmer im Wagner=Vereine sind, nun die F-moll-Messe kennen, sei die Schöpfung Bruckner's zur Aufführung dringend empfohlen. [...]
     [... über das Philharmonische Konzert (mit einem Gedicht eines Hörers zu "Mazeppa" (negativ) und der vierten Symphonie von Brahms (positiv)) ...]
     Ich darf als Kritiker nicht alle oben ausgesprochenen Aspirationen des Dichters theilen, wenn ich auch im Wesentlichen die Ansichten des poetischen Epistelschreibers theile und zu würdigen weiß.                     Rob. Hirschfeld." (***).

Die Linzer Tages-Post Nr. 70 meldet auf S. 70, daß Bruckner zur Aufführung der d-Moll-Messe [am 2.4.1893] nach Steyr kommen werde:
"     (Kirchenmusik.) Der Kirchenchor in Steyr wird unter der Leitung des Rechenschori [sic] Herrn Franz Bayer am Ostersonntag in der Stadtpfarrkirche zu Steyr Anton Bruckners D=Messe zur Aufführung bringen. Der Componist wird dieser Aufführung beiwohnen." (°).
 
Die Neue Freie Presse Nr. 10269 kündigt auf S. 10 (signiert -n-) an, dass der Kaiser am 28.3.1893 die Kunstausstellung eröffnen wird, in der auch Tilgners Brucknerbüste [IKO 55] zu sehen ist:
"    – Der Kaiser wird die 22. Jahresausstellung im Künstlerhause Dienstag den 28. März, Vormittags 11 Uhr, eröffnen. [... Porträts, Genrebilder, Sittenbildern, Still-Leben, Aquarelle ... Rudolf Alt, Gustav Klimt ... Plastik (Büste von Adolph Exner ...], König Ludwig I. von Knoll, Director Jahn, Componist Bruckner, Gottfried Preyer, Hanns Makart (Marmor) von Tilgner, [...]. –n–. " (°°).
 
(Jahreskonzert des Schubertbundes (°°°)).


Zitierhinweis:

Franz Scheder, Anton Bruckner Chronologie Datenbank, Eintrag Nr.: 189303255, URL: www.bruckner-online.at/ABCD-189303255
letzte Änderung: Feb 17, 2024, 9:09