zurück 22.4.1893, Samstag ID: 189304225

Brief Bruckners an Bayer:
     Er kenne viele Orgeln in Frankreich, England und Deutschland. Neben Mauracher käme nur noch Walker aus Ludwigsburg in Frage, der die Orgeln von St. Stephan und Votivkirche baute. In Linz scheine ein schlimmer Wind zu wehen. Die Aufführung der d-moll-Messe in Steyr sei staunenswert gewesen. Er werde auch Dr. Helm davon berichten. Über die Erwähnung des Orgelpunkts aus dem Brahms-Requiem in der Steyrer Zeitung habe er sich geärgert. Kontrapunkt sei nur Mittel zum Zweck (*).

Brief Bruckners an Theodor Helm:
     Am 2.4.1893 habe Bayer die d-moll-Messe in Steyr mit 26 Proben staunenswert aufgeführt. Bittet um eine kurze Notiz in der Deutschen Zeitung. Die 4. Symphonie sei am Mittwoch in Troppau und am Freitag in Brünn gespielt worden. Schöne Kritiken auch zu d-moll-Messe und »Te deum« am Karfreitag unter Mahler in Hamburg (**).

Telegramm und Brief Kitzlers an Bruckner:
     Die 4. Symphonie sei wie 1870 Beethovens 9. in Brünn umjubelt worden. Traf Bruckner am 29.3. nicht an (***).

Bericht im Deutschen Blatt Brünn Nr. 31 auf S. 4 über die Aufführung der 4. Symphonie am 21.4.1893, signiert "O.":
"            III. Concert des Musikvereines.
                    (Am 21. April 1893.) 
   Zum ersten Male erschien in diesem Concerte ein symphonisches Werk des Componisten, der trotz seiner großartigen Begabung lange Jahre vollständig ignorirt wurde und dessen Bedeutung erst jetzt, wo er an der Schwelle des Greisenalters steht, anerkannt wird. Man nennt Anton Bruckner nicht mit Unrecht den Wagner der Symphonie. Die glänzenden Orchestraleffecte und die überraschenden Klangwirkungen, welche er zu erzielen weiß, rechtfertigen diese Bezeichnung. Auch kann man in Bruckner's Symphonien directe Anklänge an Wagner'sche Motive unschwer entdecken, wodurch indessen seine Eigenart nicht leidet, denn Bruckner besitzt eine Melodienfülle und einen Reichthum der Phantasie, wie wenige Tondichter. Und noch eine Aehnlichkeit verbindet Bruckner mit Wagner. Letzterer zertrümmerte die Form der großen Oper um das Musikdrama zu schaffen, Bruckner kümmert sich um die Symphonie=Form, wie sie Beethoven geschaffen und wie sie Brahms heute vertritt, sehr wenig. Zuweilen gleichen seine Symphoniesätze mehr Scenen eines Musikdramas ohne Text, als einem logisch entwickelten Instrumentalsatze. Das gilt beispielsweise von dem letzten Satze der gestern hier aufgeführten Es-dur-Symphonie. Hier lässt der Tondichter eine Reihe von Bildern an den Zuhörern vorüberziehen, darunter mehrere von entzückender Schönheit (z. B. der C-moll=Satz "sehr ruhig"); aber der einheitliche Eindruck, den man von einem Symphonie=Finale erwartet, bleibt hier aus. Muss man aber dies auch als aufrichtiger Verehrer Bruckner's zugeben, so wird doch Niemand anstehen, die hohe Schönheit und Vollendung der ersten drei Sätze dieser Symphonie anzuerkennen. Hier ist die Sprache eines großen Genius zu hören, dem auch eine gewisse Naivetät des Empfindens nicht fehlt. Von großer Wirkung ist der mit Hornrufen beginnende erste Satz, der seinen Höhepunkt in der wunderbaren Durchführung des schwungvollen Hauptthemas und der damit verbundenen prachtvollen Steigerung erreicht. Einen prächtigen Gegensatz hiezu bildet der tiefempfundene schöne Gesang des Andante. Der dritte Satz, Scherzo=Duett, dürfte wohl der vollendetste Theil dieser Symphonie sein. Die Horn= und Trompetenfanfaren, mit den Themen verflochten, sind von unwiderstehlicher Wirkung. Hier lässt sich der Gedanke nicht bannen, dass dem Tondichter der Beginn des zweiten Actes von "Tristan" (der sich langsam entfernende Jagdzug) vorgeschwebt habe. Entzückend schön ist der als Mittelsatz verwendete Ges-dur=Ländler, eine echt österreichische Melodie, welche Schubert erfunden haben könnte.
     Die Ausführung des außerordentlich schwierigen Tonwerkes verdient vollste Anerkennung. Das Orchester übertraf sich diesmal selbst und Director Kitzler hat mit dieser Aufführung manche Scharte früherer Concerte glänzend ausgewetzt. Die Aufnahme des Werkes seitens des Publicums war eine stürmische, nach dem 1. und 3. Satze musste auch das ganze Orchester sich erheben, was in Brünn seit der glänzenden Aufführung der Neunten Symphonie nicht erlebt wurde. Hoffentlich wird man nicht Jahre lang auf eine weitere Bruckner'sche Symphonie warten müssen.
     Als Gast trat die Violinkünstlerin Frl. Irene v. Brennerberg auf und rechtfertigte vollends den schmeichelhaften Ruf, der ihr vorangieng. [... über die weiteren Programmnummern ...]. Die Ausführung des Sopranparts war nach Ueberwindung einer merklichen Befangenheit sehr anerkenneswert.      O." (°).

Das Grazer Tagblatt Nr. 110 meldet auf S. 4 von der Versammlung in Steyr [am 18.4.1893]:
"Theater, Kunst und Literatur.
[...]
     (Allerlei.) [...] – Die Generalversammlung der Gesellschaft der Musikfreunde in Steyr hat den Professor Anton Bruckner zum Ehrenmitgliede des Vereines ernannt. – [...]" (°°).

Das Deutsche Volksblatt Nr. 1545 berichtet auf S. 4 von der gestrigen Trauerfeier:
"     * [Andreas Schubert †.] Gestern, Nachmittags um 3 Uhr, fand das Leichenbegängnis des pensionirten k. k. Oberrechnungsrathes Andreas Schubert statt. Die musikalische Welt, mit der der Verblichene durch ein halbes Jahrhundert Fühlung hatte, ehrte sein Andenken durch die Theilnahme an der Leichenfeier und ehrte in ihm auch das Andenken an Franz Schubert, den Stolz unserer Tonkunst. Er war der letzte Stiefbruder des liederreichen Componisten. Vom Wiener Männergesangvereine waren bei der Einsegnung, die in der Votivkirche stattfand, Vorstand Olschbaur mit Gemalin, Vorstand=Stellvertreter Hofmann und Chormeister Kremser mit vielen Mitgliedern anwesend. Ferner sah man Herrenhaus=Mitglied Dumba, Oberlandesgerichtsrath Lorenz, Prof. Anton Bruckner, Prof. Krankenhagen, Dr. Hinterstoißer, Capellmeister Eder, Prof. Dr. Clemens Rickh, sowie die Angehörigen, doch ohne die Witwe, die zu ergriffen war, um dem Sarge zu folgen. Nach der Einsegnung, die der Subprior der Schotten, P. Roß mit den Schottenpriestern P. Heimer und Prof. Borschke, assistirt von der Pfarrgeistlichkeit der Votivkirche vollzog, wurde vom Männergesangverein unter Kremser's Leitung "Wanderers Nachtlied" von Reißiger vorgetragen. Der Sarg ist durch die Bestattungsgesellschaft "Pietät" auf den Centralfriedhof gebracht worden." (°°°).

Auch die Neue Freie Presse Nr. 10295 bringt auf S. 5 eine Meldung:
"                       Kleine Chronik.
                               Wien, 21. April.
[...] – Heute Nachmittags fand in der Votivkirche die Einsegnung der Leiche des pensionirten Ober=Rechnungsrathes Andreas Schubert, des Stiefbruders Franz Schubert's, unter großer Betheiligung der musikalischen Kreise Wiens statt. Unter den Trauergästen sah man auch das Herrenhausmnitglied Herrn Nikolaus Dumba, Professor Bruckner, Notar v. Olschbaur und Andere. Der Wiener Männergesang=Verein, dessen Mitglied der Verblichene längere Zeit gewesen ist, sang nach der kirchlichen Ceremonie unter Leitung des Chormeisters Herrn Kremser den Chor "Wanderers Nachtlied". – " (#).

Ähnlich lautend das Neue Wiener Tagblatt Nr. 110 auf S. 4: "     * (Andreas Schubert.) Gestern Nachmittags um 3 Uhr fand das Leichenbegängniß des pensionirten Oberrechnungsrathes Andreas Schubert statt. Vom Wiener Männergesangvereine waren bei der Einsegnung, die in der Votivkirche stattfand, Vorstand Olschbaur mit Gemalin, Vorstand=Stellvertreter Hofmann und Chormeister Kremser mit vielen Mitgliedern anwesend. Ferner sah man Herrenhaus=Mitglied Dumba, Oberlandesgerichtsrath Lorenz, Professor Anton Bruckner, Professor Krankenhagen etc., sowie die Angehörigen, doch ohne die Witwe, die zu ergriffen war, um dem Sarge zu folgen. Nach der Einsegnung, die der Subprior der Schotten Pater Rost mit den Schottenpriestern Pater Haimer und Professor Borschke, assistirt von der Pfarrgeistlichkeit der Votivkirche vollzog, wurde vom Männergesangverein unter Kremser's Leitung "Wanderers Nachtlied" von Reißiger vorgetragen. Der Sarg ist durch die Bestattungsgesellschaft "Pietät" auf den Zentralfriedhof gebracht worden." (##).

"Das Vaterland" Nr. 110 bringt auf S. 5 zwei Bruckner-Meldungen:
"     * [Personalnachrichten.] [...] – Die Gesellschaft der Musikfreunde in Steyr hat den Professor Dr. Anton Bruckner in Wien zum Ehrenmitgliede ernannt.
[...]
      * [Leichenbegängniß.] Heute Nachmittags fand das Leichenbegängniß des pensionirten k. k. Oberrechnungsrathes Andreas Schubert statt. Die musikalische Welt, mit der der Verblichene durch ein halbes Jahrhundert Fühlung hatte, ehrte sein Andenken, durch die Theilnahme an der Leichenfeier und ehrte in ihm auch das Andenken an Franz Schubert. Vom Wiener Männergesangvereine waren bei der Einsegnung, die in der Votivkirche stattfand, Vorstand Olschbaur mit Gemalin, Vorstand=Stellvertreter Hofmann und Chormeister Kremser mit vielen Mitgliedern anwesend. Ferner sah man Herrenhausmitglied Dumba, Oberlandesgerichtsrath Lorenz, Hofprediger Dr. Clemens Kickh, Professor Anton Bruckner sowie die Angehörigen. Nach der Einsegnung, die der hochw. Prior der Schotten, P. Rost mit den hochw. Herren Haimer und Professor Dr. Borschke, assistirt von der Pfarrgeistlichkeit der Votivkirche vollzog, wurde vom Männergesangverein ein Chor vorgetragen. Der Sarg ist auf den Centralfriedhof gebracht worden." (###).

Die Wiener Zeitung Nr. 92 berichtet auf S. 7:
"   (Leichenbegängniß.) Heute Nachmittags um 3 Uhr fand das Leichenbegängniß des pensionirten k. k. Oberrechnungsrathes Andreas Schubert, des letzten Stiefbruders des Componisten Franz Schubert, statt. Vom Wiener Männergesangvereine waren bei der Einsegnung, die in der Votivkirche stattfand, Vorstand Dr. Ritter von Olschbaur, Vorstand=Stellvertreter Hofmann und Chormeister Kremser mit vielen Mitgliedern anwesend. Ferner sah man Herrenhaus=Mitglied Dumba, Oberlandesgerichtsrath Lorenz, Professor Anton Bruckner, Professor Krankenhagen u. s. w. sowie die Angehörigen. Nach der Einsegnung, die der Subprior der Schotten P. Roß vollzog, wurde vom Männergesangvereine "Wanderers Nachtlied" von Reißiger vorgetragen. Der Sarg ist auf den Centralfriedhof gebracht worden."(a).

Hinweis auf das Düsseldorfer Musikfest mit dem "Te deum" [am 21.5.1893] im "Venloosch weekblad" Nr. 16 (Venloo) auf S. 5 (b).


Zitierhinweis:

Franz Scheder, Anton Bruckner Chronologie Datenbank, Eintrag Nr.: 189304225, URL: www.bruckner-online.at/ABCD-189304225
letzte Änderung: Jun 22, 2023, 8:08