zurück 1.11.1893, Mittwoch ID: 189311015

Die Internationale Musik- und Instrumenten-Zeitung Nr. 11 bringt auf S. 2 eine Besprechung der Olmützer Aufführung der 8. Symphonie am 22.10.1893, signiert „J. F.“:
„            Vereins-Unternehmungen.
    Olmütz.
Der Olmützer Musikverein brachte am 22. v. M. die achte Symphonie von Max Bruckner [sic] im bürgerlich=Städtischen Redoutensaale unter Leitung des Musikdirectors Wladimir Labler zur Aufführung. Man muß diese Aufführung als ein großes Musikfest betrachten, denn wenn jeder Besucher eingeweiht wäre in diese geheimnisvolle Tonwelt, in das künstlerische Streben des großen Tondichters, dann würde eine solche Production geradezu epochemachend sein. Schon lange vermißte Olmütz ein solch’ Monstre=Concert; nur dem Dirigenten haben wir es zu danken, denn nur durch seine besondere Mühe, seinen Fleiß und sein Verständnis war es möglich, ein solches Werk zur Geltung zu bringen. Aber auch allen jenen, die an der Mitwirkung theilnahmen, sei der wärmste Dank dargebracht, denn sie sind diejenigen, welche den guten Ruf der alten Musikstadt Olmütz nach außen wahren und vertreten. Die Aufführung war durchwegs eine erhabene, besonders leisteten die Cello, Contrabässe und die Bläser Hervorragendes; jeder Einsatz wurde mit Sicherheit gebracht, der achtstimmige Hornsatz war prächtig vorgeführt, man sah in dem großen Orchester, welches aus 90 Mann bestand, ein Streben und eine Aufmerksamkeit, die wirklich zu bewundern war. Herr Musikdirector Labler wurde nach jedem Satze stürmisch gerufen. Der Besuch des Concertes war ein außerordentlich guter, nur ist es zu bedauern, daß eine Wiederholung dieses großen Tonwerkes nicht stattfindet.
                        J. F.“ (*)
und auf S. 6f (Sänger-Zeitung. | Organ für die Interessen des Männer-Gesanges. […] redigirt von Eduard Kremser. | Beiblatt der „Internationalen Musik-Zeitung) einen mit »F. W.« signierten Bericht über das Jubiläumsfest des Wiener Männergesangvereins (mit »Helgoland« am 8.10.1893), mit Details auch zum Festcommers am Abend: 1.11.1893, Nr. 11, S. 6f, signiert „F. W.“:
           Vereins-Unternehmungen.
[…]
      50jähriges Jubiläum des Wiener Männer=Gesang=Vereines. Die Festtage vom 6. bis 8. October 1893 sind vorbei. Es erübrigt uns nur noch die wichtigsten Ereignisse derselben, welcher sich eigentlich schon die Tagespresse bemächtigte, heute namentlich vom fachmännischen Standpunkte zu recapituliren.  […]. Der dritte Tag brachte das Festconcert, in welchem bis zur vierten Nummer Se. Majestät der Kaiser Franz Josef, sowie der König Albert von Sachsen theilnahmen. Wir lernten wieder neue Compositionen von Brahms, Goldmark, Bruckner, Max Bruch, S. [sic] Gernsheim, Kremser und anderen kennen, welche sich zumeist großen Erfolges erfreuten. *) [Fußnote: „*) Besprechung derselben siehe Novitätenschau.“] Der Abend des dritten Festtages [… Commers …].
                                              F. W.“ (**). 
In der »Novitätenschau« von Eduard Kremser auf S. 9f ist auch »Helgoland« verzeichnet:
„          Novitätenschau.
              (Fortsetzung.)
     Der Wiener Männer=Gesang=Verein hatte seinerzeit den Beschluß gefaßt seinem goldenen Jubelfeste in künstlerischer Beziehung dadurch erhöhte Bedeutung zu geben, daß er hervorragende Componisten des In= und Auslandes zur Schaffung neuer, für die Festproductionen berechneter Werke anregte.
    […]
     Von den siebzehn Novitäten, welche während der Festtage zur Aufführung kamen, fesseln wohl diejenigen, welche das Programm des Festconcertes am 8. October in der k. k. Winterreitschule zierten, in erster Linie unsere Aufmerksamkeit, es sei ihnen daher im Rahmen dieser Besprechung der erste Platz eingeräumt.
     Dr. Anton Bruckner’s „Helgoland“, vom Componisten selbst als „symphonischer Chor mit Orchester“ bezeichnet, reiht sich den größten und bedeutendsten Werken des genialen Meisters würdig an. Dem Chore liegt ein Gesicht von Dr. August Silberstein zugrunde, welches in fast überkräftiger Weise das Erscheinen römischer Eroberer an der Küste Helgoland’s, die Verzweiflung der Bewohner, ihre brünstige Bitte an „Allvater“ um Schutz und Befreiung und den endlichen Untergang der Schiffe durch Sturm und Wetter schildert.
     Ein großartig gedachtes Motiv g-moll Allabreve-Takt leitet den Chor ein, steigert sich rasch bis zum ff, sinkt dann im plötzlichen Piano zurück und leitet durch 2 Takte ritenuto in einen feierlichen Satz C „O weh um die Stätten, so heilig gewahrt“, vocal nur von einigen Hornstößen unterbrochen. Die überraschendsten und schwierigsten Modulationen von herrlicher Schönheit nehmen den Zuhörer in diesem Satze gefangen, so z. B. der Eintritt des pp fis-dur unmittelbar nach der Dominante von g-moll und durch diese vermittelt, hierauf das Aufschwingen der Oberstimmen nach b-dur, die Rückung des Terzquartaccordes [von oben nach unten:] h g f d in den Terzquartaccord c as ges es und so weiter. Der kleine Raum vom Buchstaben A bis B gehört zum Genialsten, das Bruckner je  geschrieben.
      Beim Buchstaben B erscheint das Anfangs=Motiv bewegter und in mehrfacher Veränderung, um in gewaltiger Steigerung bei C mit den Worten „die brünstige Bitte“ einem gewaltigen Motive Platz zu machen, welches in grandiosen Weisen in das Gebet der ersten Tenore: „Der Du in den Wolken thronest“ einleitet, welchen sich nach und nach die anderen Stimmen anschließen. Der ganze Chor vereinigt sich dann bei B [sic] zum erhabenen Ausrufe: „Allvater!“ Bei G schildert der Meister in großartiger Weise das Herannahen des Sturmes nach einer Mahnung an das Gebet=Motiv der Tenore, diesmal vom Horn gebracht, steigert sich die Composition mit den Worten „der flammenden Pfeile erblitzend Geschoß“ bis zu einer, ich möchte sagen herabstürzenden ff-Scala, welche, auf verschiedenen Stufen immer langsamer und leiser wiederholt, durch ein 4 Takte währendes poco ritenuto in das Hauptmotiv einleitet. Dieses wird nach ähnlicher Steigerung wie anfangs von einem Orgelpunkte auf d abgelöst, welcher zu einem Schlußsatze führt, der grandioser nicht gedacht werden kann. Bruckner hat hier ein contrapunktisches Meisterwerk allerersten Ranges geschaffen. Die Orchestrirung ist glänzend und höchst originell, man beachte z. B. die Stelle „Lass’ toben grause Wetter“, in welche die Trompete grelle Blitze hineinschmettert und so vieles andere. Bruckner’s „Helgoland“ kann mit Recht ein Meisterwerk im vollsten Sinne des Wortes genannt werden. An die Sänger stellt Bruckner die höchsten Anforderungen, die Tenore schweben zumeist in den höchsten Lagen, in modulatorischer Beziehung bieten sich Schwierigkeiten, welche nur mit der größten Hingebung überwunden werden können. Das Werk fand eine enthusiastische Aufnahme.
            [kleinere Type!]            Ed. Kremser.
       (Fortsetzung folgt.)“
[in Nr. 12 am 1.12.1893 auf S. 10 ohne weitere Erwähnung Bruckners] (***).


Zitierhinweis:

Franz Scheder, Anton Bruckner Chronologie Datenbank, Eintrag Nr.: 189311015, URL: www.bruckner-online.at/ABCD-189311015
letzte Änderung: Feb 19, 2024, 13:13