zurück 11.4.1894, Mittwoch ID: 189404115

Besprechungen der 5. Symphonie
 
durch Carl L. Seydler im Grazer Volksblatt Nr. 81 auf S. 6 (signiert "-sdl-"):
"                  Symphonie=Concert.
     Diesmal hat die Theater=Direction in der That einem dringenden künstlerischen Bedürfnisse abgeholfen, indem sie im Theater am Stadtparke ein Symphonie=Concert veranstaltete. Wir sind seit zwei Jahren gerade gegenüber der herrlichsten Kunstform der Tonkunst so stiefmütterlich bedacht, dass wir jede Symphonie=Aufführung mit Freuden begrüßen müssen; und die gestrige brachte uns ein noch unaufgeführtes Werk Meister Bruckners, also ein musikalisches Ereignis.
     Bruckner hat bis jetzt acht große Symphonien componiert: Nr. 1 in C-moll. 1865 [... vollständige Auflistung ...]. Von diesen Meisterwerken sind nur Nr. 4 und 7 in Graz aufgeführt worden.
     Bruckners Bedeutung als Orchester=Componist ist noch immer viel zu wenig gewürdiget; und doch ist er heute einer der allerersten im Reiche des orchestralen Denkens. Man vergleicht ihn mit Richard Wagner; mit Recht und mit Unrecht: mit Richard Wagner theilt er die machtvolle Darstellungskraft instrumentaler Klangfarben, den bunten Wechsel chromatischer Modulationen und jene vielen, kleinen Einzelnheiten im melodischen, harmonischen und rhythmischen Sprachgebrauche, welche die Menge für das Wesentliche hält, und die doch nichts anderes sind, als die Farbe und der Zuschnitt der Kleider, welche die gleiche Zeit den verschiedensten Menschen conventionell umzuhängen bemüßigt ist. Und doch ist Bruckner ein ganz anderer als Wagner, ist er gleichsam der nach innen gekehrte Meister von Bayreuth; denn während dieser sich durch und durch als Dramatiker bewährt, zeigt sich Bruckner als Lyriker; Wagner ist anschaulich, Bruckner beschaulich, Wagner eine offene, hinreißende Künstler=Objectivität, welche wir nur durch die kaleidoskopische Farbenpracht seiner Bühnenbilder hindurchfühlen, Bruckner hingegen eine starke subjective Dichter=Natur, deren Werke wir erst dann begreifen, wenn wir uns, unbekümmert um ihre scheinbare Formloisigkeit, ganz in der Tiefe des reichen, hochherzigen Gemüthes ihres Schöpfers versenken.
     Bruckner wird darum schwer populär werden, man muss ihn erst lieben, wenn man ihn loben will. Und alle diese Eigenschaften trägt auch seine V. Symphonie an sich, ein Tongemälde von eigenartiger, milder Schönheit, bestrickend durch süßen Wohlklang des Orchesters, reich an geistvoller contrapunktischer Erfindung und fesselnd durch eine originelle und durchwegs vornehme Melodik. Ein so gewaltiges Werk ohne eingehendes Studium der Partitur (was mir leider nicht möglich war) zwischen den Zeilen einer Tagesnotiz analysieren zu wollen, wäre vermessen, und ich berichte daher kurz, dass alle vier Sätze rauschenden Beifall fanden, welcher nicht minder dem Meister wie der vortrefflichen Aufführung galt. Herr Kapellmeister Schalk hat mit seiner wackeren Künstlerschar bewiesen, dass unser Theater=Orchester den höchsten Aufgaben gewachsen ist,die man heute an ein modernes Orchester zu stellen imstande ist.
     Die bekannte Gewissenhaftigkeit und schneidige Sicherheit im Beherrschen großer Tonmassen, welche wir oft an Herrn Schalk bewunderten, wurde diesmal aufs edelste durchgeistigt von der Liebe des dankbaren Schülers zu seinem großen Lehrer (Schalk ist ein Schüler Bruckners).
     Gleiches Lob verdient die Wiedergabe der das Concert beginnenden und schließenden Nummern, [... Beethoven, Wagner, Liszt (mir Richard Epstein) ...] Wie wäre es, wenn die Direction solche Orchester=Concerte, allerdings zu passender Zeit, im Beginne der nächsten Saison wiederholen würde?     -sdl- " (*)

und (signiert »Dr. G.«) [= Dr. O. Grosse?] in der Grazer Morgenpost Nr. 81:
„            Theater und Kunst.
    
* In dem Symphonie=Concerte, welches, wie bereits mitgetheilt, vorgestern abends im Theater am Stadtpark stattfand, begrüßen wir mit Freude die beginnende Verwirklichung des von uns vor längerer Zeit gemachten Vorschlages, dass dem Mangel an symphonischen Aufführungen auf leichte Weise dadurch abgeholfen werden könnte, dass der Theater=Director Orchesterconcerte veranstaltet. – Die fünfte Bruckner’sche Symphonie, welche die Hauptnummer des vorgestrigen Programmes bildete, ist eine überaus kunstvolle Arbeit, welche dem Zuhörer großen Respect einflößt, aber keine volle Befriedigung gewährt, weil es dem Werke, abgesehen von dem Mangel an bedeutenden anziehenden Themen, an Tiefe der Empfindung gebricht. Man bewundert, aber man wird nicht ergriffen. Ein großes Stück Kunst ohne Seele, ohne wahre Genialität. Die wirksamsten Theile der Symphonie sind das Finale mit der imposanten Fuge und das anmuthige Trio des Scherzos. In allen Sätzen der Symphonie zeigt sich Bruckner als Meister der Instrumentation und des Contrapunktes. Ueber die beifällige Aufnahme des Werkes, namentlich des letzten Satzes, haben wir bereits berichtet. Jedenfalls war der Erfolg zum großen Theil ein Verdienst der trefflichen Aufführung, mit welcher das durch Civil= und Militärgäste bedeutend verstärkte Opernorchester unter Kapellmeister Schalks vielvermögender Leitung eine enorm schwierige Aufgabe glänzend gelöst hat. Herr Kapellmekister Schalk musste nach dem letzten Satze der Symphonie mehrmaligen stürmischen Hervorrufen folgeleisten und wies dankend auf die Musiker hin. – Außer der Bruckner’schen Symphonie bot das Orchester [… Beethoven, Richard Wagner, Liszt, Richard Epstein …]. Die Akustik des Parktheaters erwies sich wie immer als eine mangelhafte. Das Orchester klang trotz der respectablen Besetzung verhältnismäßig schwach und trocken. Auch der von Herrn Fiedler beigestellte Bösendorfer-Flügel vermochte nicht zur Geltung zu kommen. Dr. G.[…] * Der für heute angekündigte Lieder=Abend von Hugo Wolf findet am Freitag, den 13. d. M., um halb 8 Uhr abends, im landschaftlichen Rittersaale statt, und zwar, wie bereits erwähnt, unter Mitwirkung der Opernsängerin Frl. Zerny aus Mainz, sowie der Herren Opernsänger Faißt aus Stuttgart und Jaeger aus Wien.“
(**).

Brief Josef Schalks an Franz Schalk:
    Über die Empfindungen bei der Aufführung der 5. Symphonie. Heute abend sei er bei Bruckner gewesen, der noch bettlägerig sei, und habe ihm vom Konzert berichtet. Bruckner wünsche sich eine Aufführung der 5. Symphonie unter der Leitung von Franz in Wien. Franz möge bald die Partitur der Symphonie an Josef schicken und über Hugo Wolfs Konzert berichten (***).

Brief von Elsa Ahsbahs [Aßbaß?] (Graz) an Bruckner:
    Sie sei mit ihrem Vater [Hugo Ahsbahs] im Konzert gewesen. Direktor Gottinger in der Nachbarloge habe die 5. Symphonie als »großartig« bezeichnet. Im Herbst zögen sie nach Wien um und freuen sich, Bruckner wieder zu sehen. Beiliegend der Theaterzettel zum Konzert (°).


Zitierhinweis:

Franz Scheder, Anton Bruckner Chronologie Datenbank, Eintrag Nr.: 189404115, URL: www.bruckner-online.at/ABCD-189404115
letzte Änderung: Jan 14, 2024, 16:16