zurück 7.11.1894, Mittwoch ID: 189411075

Das Deutsche Volksblatt Nr. 2101 bringt auf S. 1ff einen Feuilleton-Artikel von H. Liebstoeckl  über ein Buch, in dessen Vorwort Bruckner erwähnt wird: » 
"   Aus der Musik- und Theaterwelt."*)
[Fußnote: "Aus der Musik- und Theaterwelt." Beschreibendes Verzeichnis der Autographensammlung Fritz Donebauer's in Prag, mit einem Vorworte von Richard Batka. 1894. Selbstverlag.]
     Nichts ist so gering, daß es nicht wenigstens ein Gutes mit sich brächte. Auch mit der Johann Strauß=Feier hat sich das neu bewährt. [... damals ein Strauß gewidmetes Büchlein erschienen, das] auch nur vorübergehende Bedeutung hätte, wenn nicht ein Vorwort Richard Batka's es zu einer hervorragenden Bedeutsankeit beförderte.
     Richard Batka ist der Musikwelt kein Neuer mehr, [... Publicationen, Bayreuth-Anhänger, Mitarbeiter der "Deutschen Wacht" ... im Vorwort ein Rundgang durch die Autographensammlung mit Würdigung der Autoren ... über Bach, Händel, Gluck, Schubert, Goethe und andere Literaten, Meyerbeer, Berlioz, Schumann, italienische Oper, Dvorak ...] Brahms' einsame Stellung auf dem musikalischen Parnaß hat Richard Batka glücklich gezeichnet. – Ich bin ein inniger Verehrer, ein warmer Freund des Wiener Meisters, und meinem Gefühle hat das Lob Batka's nicht so recht entsprochen, weil es für Brahms denn doch nur etwas dürftig war, umsomehr, da gerade erst in jüngster Zeit ein Urtheil Tschaikowsky's über Brahms in den Zeitungen herumlief, das mich beinahe zum Kampfhahn gemacht hätte. Anton Bruckner einen kleinen Hieb zu versetzen, zu sagen, daß er einem [sic] hie und da in Verzweiflung treibt, mag Richard Batka bei sich verantworten; ich möchte da, obzwar sein aufrichtiger und freimüthiger Freund und Anhänger, denn doch jede Mitverantwortung von mir weisen. – Die bloße Streifung musikalischer Persönlichkeiten wie Goldmark und Brüll ist begründet. [... weitere Personen, darunter Martin Plüddemann, ...].
     Im Ganzen und Großen ist diese Vorrede Batka's ein Meisterstückchen, sowohl in der Anordnung, als auch in der Sprache; [... berufen,] den Deutschen endlich wieder die ernste und gerechte Würdigung deutscher Musik, deutscher Kunst zu vermitteln. [... Wunsch: Spittas Material über Heinrich Marschner zu bearbeiten ...] Gleiches Geschick, gleiche Begabung dazu besitzen gewiß die Wenigsten.            Hans Liebstoeckl. « (*).

Bericht im Deutschen Blatt Brünn Nr. 87 auf S. 4 über die Bruckner-Feier des Wagner-Vereins am 29.10.1894:
"     Wagner=Verein. Der am 29. October abgehaltene Vereins=Abend war der Nachfeier des 70. Geburtstages Meister Anton Bruckner's (4. August [sic]1824) gewidmet. Nach einigen einleitenden Worten des Obmannes Herrn Professor Rupp entwarf Herr Heiter eine kurze Lebensbeschreibung des so lange todtgeschwiegenen großen Symphonikers. Er schilderte in humoristischer Weise den Entwicklungsgang Bruckner's, seine frühzeitig bemerkbare außerordentliche Begabung für das Orgelspiel und seine Maturitätsprüfung für's Wiener Conservatorium, bei welcher er Herbeck's Aufmerksamkeit auf sich zog. Von 1861–63 machte er Orchester=Studien bei unserem jetzigen Dirigenten des Musikvereines Herrn Otto Kitzler, damals Theater=Capellmeister in Linz. Herr Director Kitzler wohnte diesem Abende auch bei und hat in liebenswürdiger Weise dem Vortragenden seinen Briefwechsel mit Bruckner zur Verfügung gestellt. Herr Heiter erzählte sodann viele Züge aus den Wanderjahren des Tondichters, seine großen Triumphe in London und Paris. Der Vortragende schilderte noch erschöpfend, wie man des Meisters Werke die längste Zeit, namentlich in Oesterreich unbeachtet ließ und wie sich namentlich die conservative Richtung der Wiener Kritik direct ablehnend gegen Bruckner verhielt. 1891 wurde eine seiner Symphonien zum erstenmale von den Philharmonikern aufgeführt. Seither hat es sich wohl gebessert, seine Werke erscheinen oft und stets mit Jubel begrüßt in der Concerten der ersten Musikvereinigungen Deutschlands und Oesterreichs. Die moderne Richtung besitzt eben in dem "Wagner der Symphonie", wie man Bruckner scherzhaft nennt, einen echten Künstler ersten Ranges, dessen Werke von Tag zu Tag bekannter und geschätzter werden." (**).

In der Ankündigung eines Konzerts des Rosé-Quartetts am 18.11.1894 auf S. 1263 bezeichnet die Linzer Zeitung Brahms als den neben Bruckner bedeutendsten deutschen Komponisten: „      * (Kammermusikabend Rosé und Concert Fritz Schrödter.) Da sich das berühmte Rosé=Quartett in Linz schon so eingebürgert hat, daß es die Musikfreunde schwer vermissen würden, [… Rosé, Bachrich, Siebert, Hummer … Ankündigung für den 18.11.1894 mit Haydn, Beethoven-Quintett (mit F. Jelinek) und (mit E. Rohn) das B-dur-Sextett von Brahms …]. Das letztere Werk des Wiener Tonmeisters, der neben Bruckner als der größte der gegenwärtig lebenden deutschen Componisten gerühmt wird, dürfte das besondere Interesse der Musikkenner beanspruchen. – [… Konzert Schrödter am 2.12.1894 …]." (***). 
Nachfolgend auf derselben Seite ein Artikel über die Aufführung der f-Moll-Messe am 4.11.1894: * (Anton Bruckners F-moll-Messe.) Ueber die Aufführung dieser Messe am letzten Sonntage in Wien schreibt der Referent des „N. W. Tgbl.“ [6.11.1894]: Die Gesellschaft der Musikfreunde leitete vergangenen Sonntag ihre diesjährigen Concerte mit einer Messe ein, mit der F-moll=Messe Dr. Anton Bruckners, und dieses halb weltliche, halb geistliche Concert sollte gewissermaßen eine nachträgliche Feier des 70. Geburtstages sein, den der Componist zu Anfang des September in Steyr, und zwar auf dem Krankenlager begieng. Das Publicum ließ es sich auch nicht entgehen, dem greisen Meister die herzlichsten Sympathien zu bezeigen. Wiederholt brachte es ihm herzlichste Ovationen, die Bruckner vom Versteck seiner Loge aus mit kindlicher Rührung quittierte. Die F-moll=Messe, in Wien übrigens erst vor anderthalb Jahren zur Aufführung gebracht, kann zu den geschlossensten und abgerundetsten Werken Bruckners gezählt werden. In räumlicher Ausdehnung und den von ihr geforderten künstlerischen Mitteln gleich der D-Messe Beethovens nicht für die Kirche angelegt, imponirt sie im Kyrie und dem Credo durch monumentalen Aufbau und durch mächtige Steigerungen, im Sanctus, Benedictus und Agnus Dei durch den innigen und wahrhaft gläubigen Herzenston. Hier, auf dem Gebiete der musikalischen Architektonik, im Weben des contrapunktischen Geistes, fühlt sich Bruckner als wahrer Herrscher, aus seiner andächtigen Lyrik athmet die wärmste religiöse Ueberzeugung. Hätte Bruckner nur dieses eine Werk geschrieben, so wäre ihm dafür allein schon die allgemeine Verehrung gesichert. – Die Aufführung entsprach nicht in allen Punkten den gehegten Erwartungen. Es fehlte der Schwung, hier und dort auch die absolute Sicherheit und stellenweise das muthige Eingreifen der Chöre. Das Soloquartett erwies sich unzulänglich.“ (***).

Kritik zur f-Moll-Messe (signiert »A. Prgr.«) in der Ostdeutschen Rundschau Nr. 306 auf S. 5:
"     Bruckner's F-moll-Messe, mit deren Aufführung die Gesellschaft der Musikfreunde in Wien dem ehrwürdigen Meister ein nachträgliches Geburtstagsgeschenk bereitet hat, bedeutet, unserem Ermessen nach, ein künstlerisches Ereigniß, deren man selten erlebt. Vielleicht kann sich eben der kindlich naiv=gläubige, greise Künstler auf keinem anderen Gebiete besser bethätigen, als auf dem der christlichen Kirchenmusik, auf keinem sich unmittelbarer entfalten, als wenn er in weihrauchduftenden Empfindungen seinem lieben Himmelvater zu Ehr' und Preis die unerschöpflichen Wunder seiner Tonkunst ergießt. Welche mächtige Klangfülle, welche zarte Demuth und brünstige Verehrung verherrlicht in diesem Werke die himmlische Ewigkeit des unfaßbaren, aber allgegenwärtigen Gottesgeistes, aus dem wir Alle kommen, in dem wir Alle sind – sein wollen! .  .  .  Von den einzelnen Sätzen: Kyrie, Gloria, Credo, Sanctus, Benedictus und Agnus Dei, wirkten die beiden letzten in ihrer wirlich erhabenen melodischen Fülle am gewaltigsten und nachhaltigsten auf uns. Im Uebrigen ist es ein heikles Ding, nach einem erstmaligen Anhören, ohne Nachhilfe eines Klavierauszuges über ein solches Werk mehr als Allgemeines zu sprechen. Weshalb wir denn zum Schlusse nur mittheilen wollen, daß die "Messe" von dem zahlreich erschienenen Publikum mit Begeisterung und solchem nicht endenwollenden Beifall aufgenommen wurde, daß der noch nicht gar lang dem Krankenlager entstiegene gefeierte Greis Sonntags und den ganzen Montag nach seinem eigenen Ausspruch "ganz aus dem Häusel" war. A. Prgr." (°°).


Zitierhinweis:

Franz Scheder, Anton Bruckner Chronologie Datenbank, Eintrag Nr.: 189411075, URL: www.bruckner-online.at/ABCD-189411075
letzte Änderung: Nov 18, 2023, 9:09