zurück 13.11.1894, Dienstag ID: 189411135

Kritik Hanslicks zur f-moll-Messe in der Neuen Freien Presse Nr. 10857 auf S. 1f:
"               Concerte.
     Ed. H. Das erste Concert der Gesellschaft der Musikfreunde hat uns ein einziges Stück bescheert; die F-moll-Messe von Anton Bruckner. [... bis auf S. 2 Allgemeines: über die Kirche als passenden Aufführungsort - J. S. Bachs Hohe Messe und Beethovens Missa solemnis seien Ausnahmen -, das "Te deum" als besseres Werk Bruckners, die Kirchenmusik Mozarts und Haydns, "Albrechtsberger Arm in Arm mit Richard Wagner", Brahms' Deutsches Requiem, Palestrina, Leo, Scarlatti, Liszts Graner Messe, Berlioz' Requiem, Caecilianismus etc. ...] Die Bruckner'sche Messe wurde unter Director Gericke's Leitung vortrefflich aufgeführt. Mit schöner Pietät lösten die Solosänger (Fräulein Chotek, Fräulein Kusmitsch, Herr Erxleben und Herr Kraus) ihre keineswegs dankbaren Aufgaben, und der „Singverein” wie das Orchester zeigten sich auch den stärksten Zumuthungen dieser Composition gewachsen.
    Die Philharmoniker, welche im vorigen Jahre gleichfalls ein ganzes Concert mit einer Bruckner'schen Riesensymphonie ausgefüllt haben, sind diesmal menschenfreundlicher aufgetreten. Sie begnügten sich mit Beethoven's Achter Symphonie, die nur den vierten Theil des Programms in Anspruch nahm, für Leute also, welche Tondichtungen nach der Klafter abschätzen, nicht halb so großartig ist, wie eine Bruckner'sche. [... über die weiteren am 11.11.1894 gespielten Werke von Robert Fuchs und Smetana, über die Konzerte des Duesberg-Quartetts und Duesbergs lächerliche Bemühungen, die deutsche Sprache von Fremdwörtern zu reinigen (z.B: "Vierspiel" statt "Quartett") ...] Der günstige Erfolg seiner „Tonspiele” wird hoffentlich Herrn Duesberg über den Kummer hinwegtrösten, daß er an die Spitze seiner „Vortragsordnung” mit großen Lettern drucken muß: Im Saale des Ingenieur= und Architekten=Vereins. Zwei Fremdwörter in Einem Athem, zwei Dolche zu gleicher Zeit!" (*).

Dasselbe Konzert wird von Robert Hirschfeld in der »Presse« Nr. 312 auf S. 1f besprochen:
"               Concerte.
     Wie ein mächtiger Pfeiler festen Glaubens und festen Könnens wurde Bruckner's gewaltige F-moll-Messe an den Eingang der Saison gerückt. Es ist eine Kirchenmusik gegen die Zeit, und das sind die stärksten. In Palestrina's "Credo" ist Reinheit des Glaubens, [... das Credo bei Bach, Mozart, Haydn, Beethoven ... Brahms ohne liturgische Bindung ...] Bruckner aber stellt die Messe mit Kraft wieder in die Kirche und bringt ihr allen Glanz, alle Errungenschaft moderner Kunstmittel zu. So führt uns jede Zeit zum Höchsten, aber einmal – Palestrina – in ihrer Art, das anderemal gegen ihre Art. Der Einklang im Bruckner'schen "Credo" der F-moll-Messe hat symbolische Kraft, er einigt die Gläubigen in ungläubiger Zeit. [... über das "wundervolle Credo" ... das Thema] folgt uns ins weltliche Thun, ein ehernes Motiv, wie das Jahrhundert nicht viele erzeugt, ein Gedanke, zur Unsterblichkeit geboren. So klar wie das Bekenntniß faßt Bruckner alle Heilthümer der Lehre in erhabene Musik. Da thut's auch die glückliche Naivetät nicht allein, welche der verehrte Meister sich in unserer naseweisen Zeit bewahrte – da wirkt das Naive und Sentimentale – im Schiller'schen Sinn – Herrliches kündend, ineinander und durchdringender Geist versenkt sich in die Mysterien des Heils. In dem "Kyrie eleison" liegt eine Welt von Empfindungen, aus dem kurzen Hosannah des "Sanctus" stürmt seliger Freudenmuth, in dem einzig schönen "Benedictus" ist das herzbezwingende Klingen einer tonzarten Seele. Und Alles kam uns beglückend zum Bewußtsein, trotzdem die Directionsführung Gericke's sich beständig wie ein Dämpfer auf große Werke legt. Eine Wiederholung der Aufführung würde wol auch alle Jene heranziehen, welche zum Schaden ihres Geistes das erstemal daheimgeblieben waren. Häßliche Parteipolitik hat in das Wiener Publicum Mißtrauen gegen Bruckner gesäet, die Gesellschaft der Musikfreunde fand nicht den gebührenden Dank und Lohn in einem vollen Saale. Es gibt eben Viele, die noch immer lieber Leithammeln als künstlerischen Leitsternen folgen. Nun wird man die Messe loben, aber für diesesmal ist's zu spät.
     Oesterreich steht bis heute im Vordergrunde der Saison. [... über das Phiharmonische Konzert (Smetana!), Konzerte von Pachmann, Felix Kraus etc. ...]
                                                Robert Hirschfeld." (**).

Artikel von Theodor Helm über die Aufführung der f-Moll-Messe [am 4.11.1894] im Pester Lloyd Nr. 273 auf S. 5 (= 1. Beilage) (auf dieser Seite irrtümlich beschriftet "Dienstag, 12. November 1894"):
"                      Feuilleton.
              Wiener Musikbrief.

     Neben den sensationellen Johann Strauß= und Hans Sachs=Feiern gab es in Wien dieser Tage auch eine interessante Anton Bruckner=Feier. Das heißt, die "Gesellschaft der Musikfreunde" beging das auf den 4. September fallende 70. Geburtsfest des greisen österreichischen Tondichters und Organisten nachträglich mit einer wohlvorbereiteten Konzertaufführung seiner großen Messe in F-moll. Vor Allem dünkt uns bedeutsam, daß diese Festaufführung überhaupt stattfinden konnte, ihre Veranstaltung und ihr zahlreicher Besuch beweisen besser als ein Dutzend apologetischer Artikel, wie sich der alte Bruckner im Spätherbst seines Lebens endlich doch durchgesetzt – einem Heer von Zweifelnden zum Trotz. [... kompletter Text bei www.anno.onb.ac.at/cgi-content/anno?aid=pel&datum=18941113&seite=5 ... über Bruckners späten Erfolg, 7. Symphonie unter Nikisch am 30.12.1884, Hanslicks Vorschlag einer konzertanten Aufführung der Messe, über die Aufführung der f-Moll-Messe am 26.3.1893 [sic! recte: 23.3.1893] ... Aufführung technisch besser als 1893, aber Gericke nicht so engagiert wie damals Josef Schalk, man vermisste Labors Orgelimprovisation zwischen Sanctus und Benedictus ...] Indessen, Alles in Allem genommen war der Eindruck der Bruckner'schen F-moll-Messe neulich doch wahrhaft erhebend: [... Kyrie, Agnus Dei, vor allem das Benedictus ... viel Beifall ...] in besonders stürmischer Weise am Schlusse des Ganzen: die Hervorrufe des Komponisten, der mit zitternder Hand die ihm bereitete Ehrung auf die Spieler und Sänger abzulenken suchte, wollten gar nicht enden. Als man beim letzten Vortreten Bruckner's aufs Konzertpodium – früher hatte er nur bescheiden von einer Parterreloge aus gedankt – bemerkte, wie sehr der Meister gealtert habe und daß er in seinem scharf gefurchten Antlitz deutlich genug die Spuren eben überstandenen schweren Leidens trug, da ging ein eigener Zug tiefer Ergriffenheit durch den ganzen Saal. Und dann wurde von neuem und noch stürmischer applaudirt, wahrhaft unermüdlich von Meister Brahms, dessen und Bruckner's Bahnen doch bekanntlich sonst diametral auseinandergehen. Aber freilich galt die Ehrung diesmal dem Kirchenkomponisten Bruckner und der mag dem formstrengen, abgeklärten Schöpfer des "Deutsche Requiem" doch um Vieles sympahischer sein, als der kühnst ausschweifend, oft seine klassischen Vorgänger völlig verleugnende Symphoniker. Unter den Solisten des Bruckner=Konzertes verdient mit besonderer Auszeichnung der Barytonist Herr Felix Kraus gennant zu werden, welcher ohne Probe für den plötzlich heiser gewordenen Opernsänger Reichenberg einsprang und dessen schwierigen Part mustergiltig durchführte. [... über diesen Sänger und weitere Konzerte (auch das 2. Konzert der hervorragenden englischen Musiker sehr schlecht besucht, "Tristan" mit Frau Ida Dorath-Krzyzanowski ... zuletzt über das philharmonische Konzert (11.11.1894) ... Signatur auf S. 6:] Dr. Theodor Helm." (***).


Zitierhinweis:

Franz Scheder, Anton Bruckner Chronologie Datenbank, Eintrag Nr.: 189411135, URL: www.bruckner-online.at/ABCD-189411135
letzte Änderung: Feb 02, 2023, 11:11