zurück 15.11.1894, Donnerstag ID: 189411155

Die Deutsche Kunst- und Musik-Zeitung Nr. 22 bringt auf der Titelseite (S. 273) eine von Keller verfaßte Kritik eines Konzerts mit Werken von Hugo v. Steiner, welcher als Antipode Bruckners bezeichnet wird:
"        Concerte.
     
Die Concertsaison ist wieder angebrochen, alltäglich öffnen zwei oder auch sogar drei Concertsäle ihre Thüren, um das Publicum einzulassen. Bei der geradzu [sic] erstaunlichen Menge von Musik, die hier in Wien geboten wird, ist es nur zu wundern, daß sich doch immer eine genügende Anzahl von Menschen findet, welche die Concertsäle halbwegs füllen.[...] Das erste Concert, welches wir in dieser Saison besuchten, war das Compositions=Concert des Hofopernorchester=Mitgliedes Hugo v. Steiner. Wir möchten diesen Künstler, dessen Begabung in jeder Beziehung unleugbar ist, einen Antipoden des greisen Anton Bruckner nennen. Da wo dieser seine Melodien in das scheinbar Unendliche hinausspinnt und immer wieder neue Veränderungen ersinnt, ist jener schnell fertig und so haben wir ein von Frl. Adele Mandlick, Prof. Ferd. Hellmesberger und dem Componisten brillant gespieltes und melodienreiches Trio gehört, welches in seinen drei Sätzen kaum eine halbe Stunde dauert. [...].     Keller." (*).

Auf Seite 284 informiert eine Anzeige des Verlages Doblinger über im Druck erschienene Bruckner-Werke:
"                 Soeben erschienen:
                      Anton Bruckner.
           Grosse Messe Nr. 3 in F-moll.

Clavierauszug mit Text, arrangirt von Josef Schalk netto fl. 7.20 | Orchester=Partitur netto fl. 21, Orchesterstimmen, netto fl. 21, Chorstimmen fl. 3.60.
Erste Aufführung im 1. Concert der Gesellschaft der Musikfreunde in Wien am 4. November.
              Zweite Symphonie C-moll.
Clavierauszug zu 4 Händen, arrangirt von Josef Schalk fl. 7.20
Orchester=Partitur netto fl. 18     Orchesterstimmen netto fl. 18.
I. Aufführung in einem der ersten philharmonischen Concerte.
     
Früher erschien von demselben Componisten:
               Erste Symphonie C-moll.
Clavierauszug zu 4 Händen, arrangirt  von Ferd. Löwe fl. 7.20
Orchester=Partitur netto fl. 18.     Orchesterstimmen netto fl. 18.
     Der 150. Psalm für Chor, Soli und Orchester.
Clavierauszug mit Text, arrangirt von Cyrill Hynais netto fl. 2.40
Partitur netto fl. 6, Orchesterstimmen netto fl. 6, Singstimmen fl. 1.20
Helgoland, Gedicht v. Dr. Aug. Silberstein, für Männerchor und Orchester.
Clavierauszug mit Text, arrangirt von Cyrill Hynais fl. 3. –
Orchester=Partitur, Orchesterstimmen in Abschr., Chorstimmen fl. 1.44.
Verlag von Ludwig Doblinger (B. Herzmansky),   [... Adresse etc. ...]" (**).

Von der Aufführung der f-Moll-Messe (am 4.11.1894) berichten
»Die Lyra« XVIII, Nr. 4 (471), auf S. 45 [= S. 5], signiert "S." [Carl Schön?] (***)

und die Musikalische Rundschau Nr. 21 auf S. 152: "Wiener Opern und Concerte. [...] Im ersten Gesellschaftsconcerte wurde Bruckner's F-moll-Messe als nachträgliche Feier seines 70. Geburtstages aufgeführt; das Werk steht vom Jahre 1893 her, da der Wagnerverein eine Aufführung desselben ermöglichte, in bester Erinnerung und fand die erwartete begeisterte Aufnahme. Chor und Orchester standen in ihren Leistungen hoch über dem Soloquartett. Herr Gericke leitete die Aufführung mit gewohnter Ruhe und Verläßlichkeit." (°).

(***) Text der "Lyra":
"               Wiener Concerte.
    (Erstes Gesellschafts=Concert). Anton Bruckner's 70. Geburtstag war die Veranlassung, daß die Gesellschaft der Musikfreunde in ihrem ersten Concerte die große Messe des Meisters zur Aufführung brachte, ein Werk von so großer Ausdehnung, daß demselben, wie es bei Beethovens Missa sollemnis [sic] und Bachs H-moll=Messe der Fall ist, die Räume der Kirche zu enge werden. Die Musikfreunde Wiens werden unserem vornehmsten Concertkörper für diese künstlerische That Dank wissen. Bruckners Messe ist eine bedeutende Erscheinung und verdient einen ständigen Platz in den Aufführungsprogrammen großer Concertvereine. Eine echt religiöse, weihevolle Stimmung durchweht das ganze Werk; es ist im wahrsten Sinne des Wortes kirchlich, wenn auch alle Errungenschaften Richard Wagners auf dem Theater in der Messe verwendet werden. Gleich der Anfang, das Kyrie in seiner gewählten, wahrhaft ursprünglichen Accordfolge versetzt den Hörer in die gehobenste Stimmung und wie herrlich erscheinen dieselben Harmoniefolgen (aber nach Dur versetzt) im Dena [sic]. Mit dem Eintritt der Solostimmen beginnt der Satz etwas unklarer zu werden, und erst der Schluß des Satzes vermag wieder voll zu befriedigen. Im Gloria fesselt das prachtvolle Fugenthema im Credo [sic], dessen Vertonung dem Worte des Meßtextes größtentheils, wenn auch nicht immer (z. B. wissen wir keine Begründung für Bruckners musikalischen Ausdruck bei den Worten: Cujus regni non erit finis) entspricht [sic] das schöne „Et incarnatus est”. Die schönsten Sätze sind das Benedictus und Agnus, wahre Perlen der Tonkunst, wie sie nur ein König in ihrem Reiche spenden kann. Die Aufführung war gut, seitens des Orchesters sehr gut; freilich wären den schwierigen Solis einige Sänger unserer Hofoper sehr zu statten gekommen. Bruckner war selbst anwesend und wurde nach Gebühr gefeiert. Man thut recht daran, an dem greisen Meister gutzumachen, was man Jahre lang an ihm gesündigt hat.     S." (***).

In einem ganz anderen Zusammenhang wird in der "Lyra" Bruckner auf Seite 6 (46) erwähnt:
"                                 Allerlei.
     Musik und langes Leben.
Dr. Walter Pegg schreibt, daß die Meinung, das Leben eines Künstlers, sei er Instrumentalist oder Vocalist, wäre voll von Gefahren für seine Gesundheit und sein Alter, nicht ganz zutreffend ist. Man kann sagen, daß eine gewisse physische Erschöpfung, welche eine größere Anstrengung des Geistes und Körpers ium Gefolge haben muß, besonders gefährlich ist für einen Künstler; aber Anstrengung brauche nicht Krankheit hervorzurufen. Componisten sind in der Regel merkwürdig gesund und langlebig gewesen. Händel war 74 Jahre alt, als er starb; Lalande war 76 Jahre, Bach 65, Scarlatti 66, Haydn 77, Palestrina 70, Spohr 75, Gluck 73, Paisiello 75, Cherubini 82, Beethoven 57, Rossini 78, Piccini 72, Auber 88, Gounod 76. Auch kann man A. Bruckner, Rob. Franz, Lachner, Rich. Wagner, Verdi und viele andere Componisten nennen, die sich bei hohem Alter noch an der Kunst erfreuten.
     Die Claviersteuer. In Naumburg a. S. hat das Zählen der Claviere zum Zwecke der Gemeindebesteuerung 1160 Stück ergeben, die bei 10 Mark für das Stück eine Steuer von 11.600 Mark bringen werden. Die Einwohnerzahl von Naumburg beträgt 19.793. Auch die Stadt Köln Erfurt u. s. w. soll die Einführung einer Claviersteuer beschlossen haben." (***a).

Aufführung von August Scharrers "Hymne" ["Hymne an die Nacht"] (für Chor, Baritonsolo und Orchesterbegleitung) durch den Wiener Chorverein unter Franz Höllrigl in einem geistlichen Konzert in der evangelischen Kirche in Gumpendorf (°°).
Während seines dadurch veranlassten Wien-Aufenthaltes besucht Scharrer Bruckner in der Heßgasse. Bruckner arbeitet am Adagio der 9. Symphonie. Zwar habe er zum Finale Skizzen angefertigt, doch glaube er nicht es mehr vollenden zu können - man solle das "Te deum" als Schlußsatz nehmen [vgl. 20.2.1923], im Kopf habe er schon eine Überleitungsmusik entworfen. In der abendlichen Runde mit Wiener Musikergrößen regt Scharrer an, der schlechten Wohnungssituation Bruckners abzuhelfen[siehe die Anmerkung] (°°°).


Zitierhinweis:

Franz Scheder, Anton Bruckner Chronologie Datenbank, Eintrag Nr.: 189411155, URL: www.bruckner-online.at/ABCD-189411155
letzte Änderung: Dez 18, 2023, 8:08