zurück 27.11.1894, Dienstag ID: 189411275

Besprechungen der 2. Symphonie [Aufführung am 25.11.1894]

im Neuigkeits-Weltblatt Nr. 271 auf S. 10, signiert "Alpha" [Albert Gustav Roncourt]:
"     II. Philharmonisches Konzert. Zwei Jahrzehnte sind vergangen, seit Anton Bruckner's zweite Symphonie zum ersten Male in Wien aufgeführt wurde. In dieser langen Zeit hat sich nicht nur eine große Bruckner=Gemeinde gebildet, sondern man hat allenthalben gelernt, in den Styl des Meistes einzudringen. Er erging Bruckner, wie es Richard Wagner ergangen ist. Heute aber gilt auch er als einer der Gottbegnadeten und jedes seiner Werke findet begeisterte Zuhörer. So auch gestern, als die Philharmoniker die zweite Symphonie Bruckner's in vollendeter Art zur Aufführung brachten. Schon der erste, themenreiche Satz machte trotz seiner Länge einen starken Eindruck, der sich jedoch in dem herrlichen Adagio mit seinem überirdisch schönen Schlusse und in dem genialen Scherzo zum Entzücken steigerte. Nach dem leidenschaftlichen Schlußsatze brach ein stürmischer Beifall los und immer wieder mußte der greise Meister auf dem Podium erscheinen. Der Symphonie ging das Es-dur-Klavierkonzert von Liszt voran, das Herr Epstein jun. mit voller Beherrschung der technischen Schwierigkeiten zum Vortrage brachte. Eingeleitet wurde die überaus interessante Matiniée durch die brillant gespielte Egmont=Ouverture von Beethoven, für deren Wiederaufführung wir den Philharmonikern besonderen Dank wissen.                          Alpha." (*),

im »Wiener Musikbrief« von Theodor Helm im Pester Lloyd Nr. 285 auf S. 5 (= 1. Beilage):
"                         Feuilleton.
               Wiener Musikbrief
.
     (Vom todten Meister Rubinstein. - Aus dem Konzertsaal: Virtuosen=Quartett. Bruckner=Feier der Philharmoniker. - [...]
    Der Tod Rubinstein's hat natürlich wie überall, so auch in Wien die größte Bestürzung und tiefste Erschütterung hervorgerufen. [... kompletter Text bei www.anno.onb.ac.at/cgi-content/anno?aid=pel&datum=18941127&seite=5 ... über Rubinstein, das Böhmische Streichquartett und andere Konzerte ...]
     Das heute (Sonntag) Mittags veranstaltete zweite philharmonische Konzert war ebenso als eine nachträgliche Feier des siebzigsten Geburtstages unseres greisen Meisters Dr. Anton Bruckner gedacht, wie das erste Gesellschaftskonzert der Saison. Die Schlußnummer des heutigen Konzerts bildete nämlich die bereits voriges Jahr von den Philharmonikern zur Aufführung angekündigte, aber damals wegen allerlei sich in den Weg stellender Hindernisse wieder zurückgelegte zweite Symphonie des Komponisten, wie seine erste und achte aus C-moll geschrieben, was schon zu vielfachen Mißverständnissen in Publikum und Kritik Anlaß gab. [...  Erstaufführung 1873, über Herbecks Lob 1876:] "Wenn Brahms solch blühende Symphonie zu schaffen im Stande wäre, dann würde der Konzertsaal demolirt vor Applaus!" Nun, wir wollen diesen lapidaren Ausspruch dahingestellt sein lassen, was an ihm buchstäblich zu nehmen wäre, war freundschaftliche Uebertreibung.
     Thatsache ist, daß der Musikvereinssaal nach der heutigen Bruckner=Aufführung noch völlig intakt dasteht und höchstwahrscheinlich, daß sich der immerhin recht ansehnliche Applaus auch nicht viel lauter geäußert hätte, wenn die Symphonie wirklich von Brahms wäre. Jedenfalls kann Bruckner auch mit seinem heutigen Erfolg zufrieden sein, indem er nach jedem Satze des für die philharmonischen Stamm=Abonnenten neuen Werkes mehrmals gerufen wurde, am herzlichsten offenbar nach dem wunderbar klangschönen und poetisch gedachten, wie verklärt entschwebenden Adagio und nach dem sehr markigen, durch das lieblichste, volksthümlich=melodiöse Walzertrio belebten Scherzo, das in seiner schneidigen Rhythmik und Formvollendung (kein Ton zu viel!) auch einem Beethoven und Schubert nicht zur Unehre gereicht hätte. Wie grandios wirbelt die Pauke in der kurzen Schluß=Coda! Auch der sehr komplizirt polyphon gehaltene erste Satz der Symphonie ist viel organischer, als man dies sonst bei Bruckner gewohnt ist. Anstoß könnten höchstens die vielen Generalpausen, welche die vier durchaus höchst werthvollen einzelnen Themengruppen miteinander verbinden, erregen. Ob dieser schrullenhaften Eigenheit bekam das Werk bereits bei seiner Erstaufführung im Jahre 1873 von den Musikern sofort den Spitznamen "Pausen=Symphonie" im Gegensatz zur harmlosen "Pauken=Symphonie" Vater Haydn's. Die übrigen Nummern des heutigen philharmonischen Konzerts [... Beethoven, Liszt, Bösendorfer, Richard Epstein (Sohn von Julius Epstein) ...].
     In der Hofoper haben wir [... Smareglia ... weitere Konzerte ... Signatur auf S. 6:]
                                           Dr. Theodor Helm." (**)

und, signiert »G. v. B.« [Gaigg von Bergheim], in der »Reichspost« Nr. 272 auf S. 2:
"    – Zweites philharmonisches Concert. Es gewährt uns stets eine innige Befriedigung und lebhafte Freude, wenn Dr. Anton Bruckner, dessen großartigen Tonwerken durch eine lange, lange Zeit mit Unverstand, Neid und Mißgunst begegnet wurde, jetzt, am Abende seines Lebens, durch die häufige und gediegene Aufführung seiner Schöpfungen von Künstlern und Laien die höchste Anerkennung erhält. Bruckner verzagte aber nicht; vertrauend auf die göttliche Inspiration und unter dem besonderen Schutze der göttlichen Gnade schuf er rüstig und muthig fort. – Hatten wir vor drei Wochen seine große Messe gehört, so brachten die Philharmoniker, die vornehmste Musikgenossenschaft Wiens, ihm zu Ehren gestern seine zweite Symphonie in C-moll (der Meister hat bereits deren acht geschrieben), aus dem Jahre 1873 zur ersten Aufführung. Unter den vielen unbegründeten Anwürfen, die man gegen Bruckner lange Zeit erhob, ist gewiß der einfältigste: "Mangel an Erfindung", denn gerade die einander drängenden und rasch ablösenden geistvollen und schönen Motive geben den einzelnen Sätzen der Brucknerschen Symphonie ein farbenprächtiges, zuweilen überreiches Bild. So schmückt auch diese zweite Symphonie, namentlich in ihrem 2. und 3. Satze, Adagio und Scherzo, von den Philharmonikern wahrhaft glänzend aufgeführt, ein hoher Flug der Gedanken und ein tiefer Adel der Empfindung, und ein Sturm von Beifall ergoß sich nach jedem Satze. – Als zweite Nummer spielte der jugendliche Pianist Richard Epstein mit Verve und Bravour das schwierige Clavierconcert in Es von Liszt und eingeleitet wurde das Concert mit Beethoven's grandioser Egmont Ouverture.
                                                 G. v. B. " (***).

Kanzleivermerke auf dem Schreiben vom 24.11.1894 (Reinschrift):
"Prs. 27. Novbr 1894 | Z. 238. [208?]
Zur Kenntnis  genomen | 27/11 1894 | Karabacek" (°).


Zitierhinweis:

Franz Scheder, Anton Bruckner Chronologie Datenbank, Eintrag Nr.: 189411275, URL: www.bruckner-online.at/ABCD-189411275
letzte Änderung: Feb 07, 2025, 11:11