zurück 30.11.1894, Freitag ID: 189411305

Letzte Datierung (mit Tinte (*)) am Ende des Adagios der 9. Symphonie (**), fol. 133v (***).

Artikel von Theodor Helm in der Deutschen Zeitung Nr. 8234 auf S. 1-3:
"             Bruckner's zweite Symphonie.
      Bruckner's zweite Symphonie in C-moll, ein für die heutige Musikwelt fast verschollenes Werk (da es nach seiner überhaupt ersten Aufführung in einem eigenen Concert des Tondichters – 26. October 1873 – nur noch in einem hiesigen Gesellschaftsconcert am 20. Februar 1876 öffentlich gehört worden ist), hat gelegentlich ihrer Wiederaufführung im letzten philharmonischen Concert neuerdings einen Zankapfel unter Publicum und Kritik geworfen. Zwar im Concert selbst hat man Sonntag von einem "Kampf der Parteien" nichts gemerkt, es gab da nur mehr oder minder allgemeinen, mitunter sehr stürmischen Beifall, und die Zischlaute, welche einer der eifrigsten Trabanten des Wiener "Kritik=Pascha" nach dem ersten Satz vernommen zu haben glaubte, hat wahrscheinlich außer ihm sonst Niemand gehört. Aber nach dem Concert sollen allerdings aus jenen Kreisen der philharmonischen Abonnenten, welche nur um der Mode Willen diese Aufführungen besuchen, im grellsten Gegensatz zu der aufrichtigen Begeisterung der Mehrheit der Versammlung Aeußerungen gefallen sein, von so unglaublicher Oberflächlichkeit, Engherzigkeit und Gehässigkeit zeugend, daß man darob die Philharmoniker nur bedauern kann, ihre kostbarsten Gaben solchen musikalischen Halbbarbaren vorsetzen zu müssen. Wem fiele da nicht das Gleichniß von den Perlen und den Säuen ein? Merkwürdigerweise hegt man aber auch in dem [sic] sich stets vergrößernden Verehrerkreisen Bruckner's noch hie und da eine Art Vorurtheil gegen diese zweite Symphonie, welche unseres Erachtens zu seinen bedeutendsten Schöpfungen gehört und dereinst den seligen Herbeck (der doch gewiß ein guter Musiker war und etwas von der Sache verstand) zu dem geflügelten Worte anregte: Wenn Brahms eine solche Symphonie zu schaffen vermöchte, würde der Concertsaal demolirt vor Applaus!
     Woher nun trotzdem das Mißtrauen in ein von einem ausgezeichneten Fachmann so sehr bewundertes Meisterwerk? Es erklärt sich zunächst biographisch, aus der Entstehungsgeschichte desselben. [... Sonderstellung der 1. Symphonie, Bedeutung der späteren Symphonien ... über das Finale der 2. Symphonie ...]. Abgesagte journalistische Feinde des Meisters, welche nebenbei selbst componiren, nennen derlei großartige und überraschende Steigerungen freilich "Absurditäten"; mein Gott, wie glücklich wären sie, wenn ihnen einmal eine derartige Absurdität in die Feder käme! Und wo gibt es in der neuern symphonischen Literatur etwas Innigeres, Zarteres, Edleres, Klangschöneres, poetisch Verklärteres, als das Andante, wo etwas Schneidigeres und kraftvoll Gesünderes, als das Scherzo der Bruckner'schen "Zweiten"? Am meisten Bedenken könnte der erste Satz unseres in Rede stehenden Werkes hervorrufen. [... große Länge, viele Generalpausen ("Pausen-Symphonie") ...]. "Aber, was zwischen den vielen Pausen liegt, gehört in Bruckner's Symphonie Nr. 2 nicht selten zu dem Edelsten und Originellsten unseres gesammten Symphonie=Schatzes." Absichtlich gebrauchen wir hier die Worte eines durchaus conservativ gesinnten Kritikers, des Hofrathes Dr. v. Wörz [siehe 26.11.1894], dem gewiß Niemand irgend welche Voreingenommenheit für den kühnen Revolutionär Bruckner zumuthen wird. Eine eingehende technische Analyse der Symphonie läßt sich ohne Notenbeispiele schwer geben, auch käme sie nach der meisterhaften, im letzten Programmbuch der Philharmoniker enthaltenen (aus Dr. Robert Hirschfeld's Feder) doch zu spät. [... empfiehlt Erwerb des Programmbuchs, einen Blick in die bei Doblinger erschienene Partitur und das Studium des Klavierauszugs von Josef Schalk (das auch ihm, Helm, viel geholfen habe) ... Anmerkungen zu den einzelnen Sätzen ... [Zitat im ARtikel vom 16.4.1895:] "Am herzlichsten erscholl der Beifall nach den beiden Mittelsätzen, die auch am Schönsten gespielt wurden. Wir [sic] sangen die Geigen und Hörner um die Wette in dem wunderbar poetischen, zuletzt gleichsam verklärt entschwebenden Andante! Eine der zauberischsten Klangwirkungen, die uns je in symphonischer Musik entzückten. Und dieses überaus schneidige, im Beethoven’schen Titanentrotz grollende und stürmende, dazwischen auch lieblich lockende Scherzo mit dem reizend melodischen, volksthümlichen Trio!" ... Zitate aus der f-Moll-Messe ... über das Scherzo wurde schon im Montags-Abendblatt einiges gesagt ...].
    Nur über die Aufführung des großen Werkes durch die Philharmoniker sei uns noch ein Schlußwort vergönnt. Sie war nahezu mustergiltig, schier unübertrefflich im Andante, kein Orchester der Welt wird diesen Wundersatz schöner spielen; das märchenhafte Verklingen der Solovioline mit Flöte und des sordinirten Streichorchesters mit Clarinette am Schlusse – gleichsam der Hauch eines Hauches – brachte eine Wirkung hervor, die nicht zu beschreiben. Feierten hier Hans Richter und seine ausgezeichneten Musiker den höchsten Triumph ihrer Darstellungskunst, so erschienen einige andere Partien der Aufführung entschieden vergriffen. Warum wurde im ersten Satz nicht beachtet, daß von dem dritten Thema nur die Viertel mit Staccato=Zeichen versehen, die Achtel aber gebunden vorzutragen seien? [... tändelnder Charakter ... die Mordentfigur gehört mehr gesungen ...]. Am meisten aber bedauerten wir das gänzliche Verwischen der großartigen Triolenfigur in dem ersten genialen Zwischensatz des Finale, wo doch der Componist ausdrücklich "breit" vorschreibt. Bei dem neulichen überstürzten Tempo wurde die prächtige Melodie zu einem nichtssagenden Gepolter. Zum Glück bildeten diese wenigen verfehlten Stellen der Aufführung nur kleine dunkle Fleckchen in einem herrlich leuchtenden künstlerischen Ganzen, durch das die Philharmoniker nachträglich Meister Bruckner zu seinem 70. Geburtstag die würdigste Spende darbrachten und sich selber in den unverwelklichen Ruhmeskranz ihrer Verdienste ein neues immergrünes Lorbeerblatt einflochten.
                                  Theodor Helm." (°).

Besprechung der 2. Symphonie durch Robert Hirschfeld in der »Presse« Nr. 329 auf S. 1f:
                           "Concerte.
             (Philharmoniker. – Quartett Rosé.)
    
Die Leiden, welche dem Meister Bruckner die siebzigste Wiederkehr des Geburtstages umdüstern, werden duch pietätvolle Aufführungen gelindert. Der F-moll-Messe im ersten Gesellschafts=Concerte, nach welcher die Giftblüthen der Unduldsamkeit und der Lüge in gewissen Kreisen wieder hoch aufgeschossen sind, folgte Bruckner's zweite Symphonie in C-moll im zweiten philharmonischen Concerte. Sie wurde in einem Festconcerte zum Schlusse der Weltausstellung zum erstenmale aufgeführt. Vielen sind aus jenem Concerte oder von der Wiederholung der Aufführung in einem Gesellschafts=Concerte des Jahres 1876 weniger die herrlichen Themen als die vielen Pausen in Erinnerung geblieben. Glücklich die Geister, welche sich wenigstens Pausen merken können. Sie werden auch diesesmal viel Pausen nach Hause getragen haben. Es bedarf keiner Entschuldigung, wenn ich hier betrachten will, was zwischen den Pausen steht – das breit auströmende Hauptthema vorerst, unter den schwirrenden Geigen vom Cello getragen, mit dem echt symphonischen Kernmotiv in den ersten Tacten. [... übedie Themen des 1. Satzes ...] Auch rigorose Formalisten werden dem ersten Satze die logische, organische Gestaltung nicht absprechen können. Es kommt in der Durchbildung kein Motiv ans Licht, das nicht schon als Keim in einem früheren Gedanken läge. Das ist nicht eben häufig bei Bruckner, welcher selten seiner Erfindungskraft Herr wird und die zuströmenden Gedanken, auch wenn das Maß der Form übervoll wird, nicht gerne abweist. Die Form des ersten Satzes ist aber durchsichtig und klar trotz reichster contrapunktischer Kunst, trotz wechselvoller, in zerstreuten Farben glänzender Bildungen, denen man nur bei genauer Kenntniß der Partitur nachzuspüren vermag. . . .   Der zweite Satz der Symphonie, das feierlich einherschreitende Andante, ist von unsäglicher Schönheit, edle Sprache des Herzens, ein Ausklingen reinster Gefühle. In freier Variationenform werden zwei Themen fortgeleitet. Das zweite bindet eine innige Hornmelodie an ein charakteristisches Pizzicato=Motiv der Streicher – das gibt wundersame Klänge, welche in den mild verklärten Harmonien des sordinirten Streichorchesters mit Clarinette, schließlich nur ein Hauch der Solo=Violine und Flöte, ersterben. . . .  Das Bruckner'sche Scherzo bedarf nicht erst, wie das Andante, auch eines empfänglichen Gemüths. Es bezwingt im Sturme und zwingt mit brausender  Lust auch den Gegner zum Freund. Es gibt ein urgesundes Weltbild, das sich mit Freudentrotz vom Jammer des Daseins löst. Ein stämmiger Bauern=Optimismus, welcher losschlägt, statt zu beweisen. Diese Klänge sausen; sie regen Kräfte in uns auf – fürwahr, wir brauchen sie für den letzten Satz – eine Art Rondo, dessen Zwischensätze sich verwirrend über die Hauptgedanken heben. Die Aufmerksamkeit wird duch immer neue Zuflüsse, immer neue Orchesterfarben, neue überraschende Combinationen derart ans Einzelne geheftet und vom Einzelnen gefesselt, daß der große Zug des Ganzen aus den Nebenzügen kaum zu sondern ist. Da scheitert auch der starke Wille. Die Contraste, welche das Hauptbild heben sollten, bringen es ins Gedränge. Bald ist es das Orchesterkleid, bald ein gleichzeitig erklingendes Gegenmotiv, welches die Verwandtschft der Motive verhüllt. . . .   Die Hörer des philharmonischen Concertes hielten sich theilnehmend an die drei ersten Sätze und riefen den Meister nach jedem Theile mit warmen Beifallsgrüßen aus seinem Logenversteck, Bruckner hatte allen Grund, dankend auch auf die Ausführenden zu zeigen, welche unter Hans Richter's Leitung ihre innige Vertrautheit auch mit den verborgensten Schönheiten der Symphonie in einer glänzenden Darbietung erwiesen.
     Der Bruckner=Symphonie war Beethoven's Ouverture zu "Egmont" vorangegangen und Liszt's Es-dur-Concert mit Richard Epstein am Claviere. [... über den Solisten ...]
    Der zweite Kammermusik=Abend des Quartetts Rosé war in jeder Hinsicht eine Steigerung des ersten. [... über dieses Konzert ...] Das C-dur-Quartett aus Opus 59 wurde ausgezeichnet, mit so begeisterndem Schwung gespielt, daß ich es nicht versäumen möchte, im Lobe des Quartettvereins neben Rosé die Namen Bachrich, Hummer und Siebert nachdrücklich zu unterstreichen
                                               Robert Hirschfeld." (°°).

Protokoll der Wiener Universität [Vorgedrucktes fett gedruckt. Von Rektor Müllner persönlich stammt nur die Unterschrift]:
"Studienjahr 1894|95
Akademischer Senat der k. k. Universität in Wien.
Protokoll No 881 | Datum 28./11 1894 Zahl 93748 | Praesentatum 30./11 1894 | Mundirt .... Collationirt .... | Expedirt 30./11 | Zustellungsbuch, Seite br.m. [brevi manu]
Priora No 821 | Posteriora No 2733
[linke Spalte:]
Statthalterei,
Anweisung der Subvention per 150 f für Dr Anton Bruckner
[darunter Bruckners Unterschrift:]
Dr Anton Brucknermp.
[rechte Spalte:]
Das vorliegende Dekret ist an H Dr Bruckner zu übergeben.
     Wien 30/11 [18]94
     Der Rector
                Müllner" (°°°).


Zitierhinweis:

Franz Scheder, Anton Bruckner Chronologie Datenbank, Eintrag Nr.: 189411305, URL: www.bruckner-online.at/ABCD-189411305
letzte Änderung: Nov 27, 2023, 21:21