zurück 28.10.1895, Montag ID: 189510285

Datierung Franz Bayers in einer von ihm geschriebenen Stimme zum Requiem [WAB 39] (2. Violine) (*).

Kritik (signiert »B. P.«) zum gestrigen Konzert mit der 4. Symphonie in der Linzer Montagspost Nr. 43 auf S. 3:
„         I. Musikvereins=Concert.
     Wer es noch vor 15 Jahren in Wien gewagt hätte, für Bruckner sich öffentlich ins Zeug zu legen, auf daß diesem Tonheros endlich auch die gebürende Anerkennung als Symphoniker gezollt werde, der wäre von der musikalischen Presse arg zerzaust worden, oder er würde musikalisch nicht ernst genommen worden sein, geradeso wie umgekehrt derjenige, der sich unterfangen hätte, an Brahms Muse nicht alles und jedes für den Inbegriff von Schönheit zu halten, gewiß nur für einen Musikbarbaren gehalten worden wäre. Brahms und Bruckner! Wenn je in diesen Zeiten von Bruckner die Rede war, Brahms wurde immer mitgenannt und gleichsam als Trumpf gegen Bruckner ausgespielt; die Tonschöpfungen beider zeitgenössischer Componisten wurden jedesmal gegeneinander abgewogen, Bruckner aber wurde regelmäßig als zu leicht befunden. Während man Brahms die Vornehmheit seiner musikalischen Gedanken, die Formgewandtheit und weiß Gott was alles zu loben hatte, fand man an Bruckners Werken nicht einen guten Faden. Der eine Kritikaster entsetzte sich vor der musikalischen Logik in den Bruckner’schen Tonwerken, ein zweiter zeigte sich darüber empört, daß sich der Meister über die Gesetze sittiger Tonalität kühn hinwegsetzt, bei einem dritten erregte die arge und wirre Stimmenverstrickung seines polyphonen Gewebes Mißfallen, von einem vierten wurde die allzu dicke Instrumentierung, die angeblich zu häufig in ein wüstes Tohuwabohu ausartet, bemängelt, kurzum, über Bruckner wurde ohne Gnade und Barmherzigkeit der Stab gebrochen.
     Wir möchten durchaus nicht Brahms auf Kosten Bruckners heruntermachen, wir gestehen offen, dass wir eine große Anzahl Brahms’scher Sachen im Laufe der Zeit recht lieb gewonnen haben. Brahms gilt in unseren Augen als vornehmes, hochbedeutsames Talent, nie und nimmer aber als urwüchsiges Kraftgenie, als ein Feuergeist vom Schlage eines Bruckner. Diese Meinung hatten wir, da wir vor einigen Jahren zwei Brahms’sche Symphonien und einige Kammermusikwerke zu hören bekamen, in dieser unserer Meinung wurden wir im letzten Concerte „Schreyer=Kühns“ neuerdings bestärkt. Von dem großen, gewaltigen Zuge, den die Werke eines Beethoven aufweisen, ist in den Brahms’schen Tonwerken nicht viel zu entdecken. Eine schöne, elegante, noble Mache allein stempelt Tondichtungen noch keineswegs zu Kunstwerken ersten Ranges, wofür die übereifrigen „Brahmanen“ die Tondichtungen ihres Musikgottes gern ausgeben möchten. Bruckners Tonschöpfungen athmen den Gluthauch des Genius. Am verflossenen Sonntag schweiften unsere Gedanken unwillkürlich für einen Augenblick von der in dämlicher Grübelei sich gefallenden Brahms’schen Composition zu Bruckner hinüber. „Wie ist doch der aus ganz anderem Holze geschnitzt! Und vor einem Brahms soll ein Bruckner die Segel streichen? Nie und nimmer!“ so sagten wir uns und Zornesröthe schoß uns ins Gesicht, da wir der Niedertracht und teuflischen Arglist gedachten, die allein Ursache waren, wenn Bruckners Stern erst zu einer Zeit aufgieng, da er selber langsam dem Grabe entgegenwankt. Gott sei gedankt, die Gewalt der böswilligen Gilde ist gebrochen. Gleich einem Phönix schüttelte der Genius Bruckners die heiße Asche ungerechter Verunglimpfung von sich und schwang sich empor in die Regionen unvergänglichen Ruhmes.
     Ohne einen anderen Anwalt als seine echt deutsche, bald durch Herzinnigkeit, bald durch erschütternde Kraft ausgezeichnete Tonsprache, zu besitzen, hat er sich zum ersten Tonheros der Gegenwart emporgeschwungen. Er hat jene Höhe durch eigene Kraft erklommen, er ist nicht durch die Gnade einer feilen Presse auf das hohe Piedestal künstlich emporgeschraubt worden, wie das bei anderen musikalischen Größen der Fall ist. Lange genug wurden dem deutschen Volke die Tonschöpfungen Bruckners vorenthalten, da sie ihm aber einmal in mustergiltigen Aufführungen dargeboten wurden, fühlte es ihren Wert sofort heraus, es wurde von ihrer Großartigkeit hingerissen. Bruckner und kein anderer hat das würdige Erbe Beethovens und im gewissen Sinne auch Wagners zugleich angetreten, hat er ja auf dem Gebiete der wortlosen Symphonie das erfüllt, was Wagner auf musikdramatischem Felde vollbracht hatte.
     Von den Werken Bruckners waren es vornehmlich die 7. und die 4. sogenannte romantische Symphonie, die seinen Ruf begründeten. Letztgenanntes Werk, dem Fürsten Constantin zu Hohenlohe=Schillingsfürst gewidmet, rauschte nun heute in seinem blendenden orchestralen Glanze an uns vorüber.
     Vor einigen Jahren wurde die Symphonie in München mit großartigem Erfolge aufgeführt, Paul Heyse war von der Schönheit des wunderbaren Tonwerkes dermaßen überwältigt, daß er an Bruckner ein warmes Dankschreiben richtete, daß [sic] hier mitzutheilen wir umso weniger uns versagen können, als der Herzenserguß der warm empfindenden Dichterseele den Eindruck, den das Tonwerk auf uns, wie überhaupt auf jeden fühlenden, von Voreingeniommenheit freien Menschen ausübt, ja ausüben muß, immer noch besser wiedergibt, als wir dies zu thun vermöchten. Paul Heyse schrieb damals:
[Der Brieftext ist im Originalartikel in kleinerer Drucktype und engerem Zeilenabstand wiedergegeben]
             Veehrter [sic] Herr Bruckner!
     Als ich gestern unserem Freunde Levi mein Entzücken über Ihre vierte Symphonie aussprach, die mich und ein überaus zahlreiches Publicum am letzten Mittwoch iim hiesigen Odeon zu enthusiasticher Bewunderung fortgerissen hatte, drang er in mich, meinen Dank für dieses herrliche Werk Ihnen direct abzustatten. Ich habe mich nur mit einigem Widerstreben dazu verstanden, da es mir als eine Vermessenheit erscheint, dem Meister einer Kunst mit einer anspruchslosen Laienempfindung gegenüberzutreten. Diesmal liegt die Sache denn doch ein wenig anders. Für die beispiellose Vernachlässigung und Verkennung, die Sie seit so langen Jahren erfahren mußten, ist es freilich keine entsprechende Genugthuung, immerhin aber nach so langer Kälte ein wohlthuend warmes Gefühl, daß nicht nur die Kenner und Kunstgenossen in unserer guten Stadt München, sondern auch die große Masse des Publicums für Sie gewonnen wird, und wenn ich mich auch nur zu diesem letzteren rechnen darf, so haben Sie doch hoffentlich bei unserem persönlichen Begegnen im Fiedler’schen Hause den Eindruck gewonnen, daß ich zu den wahrhaft Andächtigen gehöre, die Ohr und Seele aufzuthun verstehen, wenn ein Hohenpriester [sic] das Eine, was notthut, verkündet. Eine solche Andacht wirkte nun aber Ihr wunderbares Werk ringsum in dem weiten Saale, wie das nur bei den höchsten Offenbarungen des Genius der Fall zu sein pflegt, und daß ich Ihnen dieses mittheilen darf, berechtigt mich einigermaßen dazu, Ihnen zu schreiben. Auch die Widerwilligen und früher Kühlgesinnten haben der imposanten Macht der drei ersten Sätze nicht widerstehen können. Wenn im vierten die Stimmung nicht ganz auf gleicher Höhe blieb, war vielleicht weniger das Werk selbst daran schuld, als die menschliche Schwäche, so übergewaltige Eindrücke in beständiger Steigerung fast eine Stunde lang zu ertragen. Sie haben München neu erobert. Ihre Freunde werden dafür sorgen, daß diesem großen Siege noch viele nachfolgen. Nehmen Sie meinen innigsten Dank entgegen für einen Genuß, den ich zu den höchsten und unvergeßlichsten meines ganzen Lebens zähle.
       In wärmster Verehrung grüßt Sie Ihr
               Paul Heyse.
      Und nun zum gestrigen Concerte.
      Wer nur einigermaßen eine Ahnung hat von den Schwierigkeiten, mit denen die „Romantische“ im überreichen Maße gespickt ist, der wird es sicherlich nicht für eine Uebertreibung ansehen, wenn wir die heutige Wiedergabe der 4. Bruckner Symphoni [sic] durch unser Musikvereins= und Theater=Orchester für eine musikalische Großthat erklären. Insbesondere verdient Herr Musik=Director Schreyer für das sorgfältige Studium unsere besondere Anerkennung und unseren wärmsten Dank. Durch Herausciselieren der minutiösesten Feinheiten hat er es verstanden, der Symphonie ihren Charakter als einer von echt romantischem Dufte durchhauchten Tonschöpfung zu wahren. Nicht minder kamen unter der befeuernden Leitung des Dirigenten die Steigerungen und Kraftstellen wunderbar zur Geltung; selbst über den dicksten Stellen lag noch ein berückender Glanz.
     Schon nach dem 1. Satze brach ein Beifallsjubel los, wie ihn der Redoutensaal nicht oft erlebt hat. Etwas Zarteres, Innigeres als die Musik des Andante wird man in der neueren Literatur kaum finden. Andächtig lauschte alles dem edlen Sange der Bratschen. Eine überaus warme Aufnahme fand der durch seine energischen Rhythmen ausgezeichnete, eine Jagdscene illustrierende 3. Satz. Die Leistung der Hörner, voran die des Primhorns verdient lobend erwähnt zu werden. Auch der in seiner überreichen architektonischen Gliederung etwas lang gerathene 4. Satz hielt die Zuhörerschaft noch immer in vollster Spannung.
      In sinniger Weise wurde an dem Ehrentage unseres großen Landsmannes das Concert mit der durch das wunderbare Feuerspiel der Orchesterfarben geradezu entzückenden Tondichtung Rich. Wagners, nämlich mit der Faust=Ouverture eröffnet. Eine angenehme Abwechslung zwischen den Instrumental=Vorträgen bot die zweite Programmsnummer, eine Tenor=Arie aus „Jessonda“ von Spohr, von unserem geschätzten Sänger, Herrn Haslinger, mit Verständnis vorgetragen.
     Angesichts der heutigen Leistung unseres Musikvereins=Orchesters möchten wir zum Schlusse den Wunsch äußern, daß uns die 2. und 7. Bruckner Symphonie nicht mehr lange vorenthalten werde. |       B. P.“ (**).

Kurzkritik zum Linzer Konzert im Deutschen Volksblatt Nr. 2449 auf S. 6:
"    – Aus Linzer Musikkreisen erhalten wir nachstehenden Bericht: Gestern, Sonntag, den 27. d. M., war uns durch den Musikverein in Linz ein außerordentlicher Genuß zutheil, indem derselbe bei seinem ersten statutenmäßigen Vereinsconcerte unseres Altmeisters Bruckner vierte Symphonie in Es-dur (romantische) zur Aufführung brachte, wodurch sich derselbe große Verdienste erwarb. Galt es hier doch nicht nur Bruckner als Tonkünstler im Allgemeinen zu feiern, als vielmehr ihm, dem großen Landsmann die gebührende Ehrung zu zollen. Die heutige Aufführung der Symphonie kann als eine Glanzleistung des Musikvereines hingestellt werden; hiebei gebührt wohl unserem tüchtigen Musikdirector Schreyer der größte Dank, indem er die zahlreichen Schwierigkeiten, die sich einer solchen Aufführung in einer Provinzstadt entgegenstellen, siegreich überwunden hat. Die Symphonie wurde aber auch mit größter Begeisterung aufgenommen. Besonders durch den zweiten und dritten Satz wußte der Componist auf die gesammte Zuhörerschaft enthusiasmirend zu wirken. Zahlreiche hiesige Freunde des Meisters bedauerten nur, den genialen Schöpfer nicht durch persönliche Ovation feieren zu können. Möge es dem greisen Symphoniker gegönnt sein, hier in seiner zweiten Vaterstadt noch einmal Zeuge des Erfolges und Sieges eines seiner Werke zu werden." (***).

Ein Inserat in den Wiener Neuesten Nachrichten Nr. 51 auf S. 8 macht auf das Konzert vom 12.1.1896 [statt des 150. Psalms das "Te deum"] aufmerksam:
"Gesellsch. d. Musikfreunde in Wien.
     Großer Saal (Saison 1895/96).
Sechs Concerte, und zw.: 4 ordentliche und 2 außerordentliche unter der Leitung des Concert=Directors Herrn Richard v. Perger und unter der Mitwirkung des Singvereines, dann einheimischer und auswärtiger Solisten u. des Gesellschafts=Orchesters. – A. Die ordentlichen Concerte: Diese finden statt am 10. November 1895, ["am 12. Jänner" fehlt!], am 9. Februar und am 8. März 1896 Mittags halb 1 Uhr und sind außer anderen Werken die nachstehenden zur Aufführung bestimmt:
     J. Brahms: Frauen=Chöre mit Horn= u. Harfenbegl. A. Bruckner: 150. Psalm für Soli, Chor und Orchester (II. Auff.) J. Massenet: [... alphabetisch bis Edgar Tinel ... B. Die ausserordentlichen Konzerte ... Kartenpreise etc. ...]." (°).


Zitierhinweis:

Franz Scheder, Anton Bruckner Chronologie Datenbank, Eintrag Nr.: 189510285, URL: www.bruckner-online.at/ABCD-189510285
letzte Änderung: Nov 27, 2023, 23:23