zurück 23.1.1896, Donnerstag ID: 189601235

Das Musikalische Wochenblatt Nr. 5 berichtet auf S. 59f im »Wiener Musikbrief« von den Aufführungen der 4. Symphonie [am 5.1.1896] und des »Te Deum« [am 12.1.1896]:
"[...]
     Inzwischen haben auch das fünfte Philharmonische und das zweite (Ordentliche) Gesellschaftsconcert stattgefunden. Das fünfte Philharmonische Concert brachte neben Mozart's reizender Symphonie in Ddur ohne Menuett (Köchel 504) und Mendelssohn's "Hebriden"-Ouverture zwei hochinteresante Novitäten, unter welchen die weitaus gewichtigere – Bruckner's "Romantische Symphonie" (No. 4 in Esdur) – freilich nur neu für diese Concerte war. Ihre erste Aufführung in Wien erlebte dagegen die andere Neuheit: Richard Strauss' Humoreske "Till Eulenspiegel's lustige Streiche". Vielleicht das Beste, jedenfalls das Geistreichste, was der hochbegabte Münchener Componist bisher für den Concertsaal geschrieben, [...].
     Leider nur wurde durch die in diesem Concert gänzlich überflüssige Mendelssohn'sche Ouverture dessen Zeitdauer so verlängert, dass viele Hörer für das eigentliche Hauptwerk der Aufführung: Bruckner's grossartige Esdur-Symphonie, kaum mehr die rechte Empfänglichkeit besessen haben mögen. Es war, als hätte es Hans Richter darauf anlegen wollen, dem genialen Wiener Altmeister den Erfolg Eines seiner klarsten und formell abgerundetsten Werke raffinirt zu erschweren. Unbegreiflich, dass sich unsere Philharmoniker (welche 1881 und 1888 die Romantische Symphonie unter Richter's Leitung mit stürmischem Beifall in von anderer Seite her veranstalteten Concerten gespielt) sich mit der Aufnahme der blühenen Tondichtung in ihre eigenen Abonnementconcerte mehr als 15 Jahre Zeit gelassen hatten. Denn so lange, wenn nicht länger, existirt die vollendete Partitur.
     Nun, wenigstens haben die Philharmoniker die schwere Unterlassungssünde endlich gut gemacht durch Eine der prachtvollsten Aufführungen, welcher sich die Romantische Symphonie je zu erfreuen hatte. Mit Ausnahme des von Prof. J. Schalk mit dem Orchester der Wiener Musik- und Theaterausstellung 1892 noch feierlicher herausgebrachten letzten Anhanges des Finales (für mein Empfinden allerdings die Krone des Werkes!) und abgesehen von einigen unliebsamen Horngixern in dem überhaupt verhetzten Jagdstück gelang Alles wunderbar. Den Preis verdiente die Wiedergabe des Andante: es war, als wollten uns die Bratschen und Violoncells in diesem himmlischen Satze die Seele aus dem Leib singen. Ich hätte wahrlich bei diesem Stücke (und natürlich auch bei den anderen Sätzen der Symphonie, besonders bei dem grandios aufgebauten ersten) alle Die herbeigewünscht, welche sich heute noch der hehren Muse Bruckner's spröde verschliessen: sie hätten bekehrt werden müssen. Zur grössten Freude seiner vielen Verehrer wohnte der Componist selber der Aufführung bei, sogar besser aussehend, als ungefähr vor Jahresfrist, da er das letzte Mal zur Anhörung Einer seiner Symphonien (der zweiten in Cmoll) in diesen Räumen erschienen war (25. November 1894). Stürmischer, nicht endenwollender Beifall zwang den Meister, von dem bescheidenen Plätzchen, das er im Hintergrund einer Parterreloge des Saales eingenommen hatte, sich immer von Neuem dankend zu erheben. Und ganz derselbe Vorgang wiederholte sich im zweiten Gesellschaftsconcerte bei dem dessen Schlussnummer bildenden, bereits weit berühmten "Te Deum" Bruckner's.
     Leider wurde auch hier dem Componisten der Erfolg erschwert, und zwar diesmal nicht durch die Länge, wohl aber durch die stillose Buntheit des Programms. [... Rameau/Mottl, Brahms, Herbecks "Tanzmomente" ...]. Gleich darauf kam aber wie hereingeschneit in den Ballsaal (oder, wenn man will: in den steirischen Tanzboden) ein grosses kirchliches Werk, eben das Bruckner'sche "Te Deum"! Man kann es dem Publicum nicht einmal verdenken, wenn nicht Alle Lust hatten, so unvermittelte Stimmungscontraste auf sich wirken zu lassen. Leider war auch die Aufführung des psalmistisch-begeisterten Werkes durchaus keine musterhafte; sorgfältig studirt nur in Chor und Orchester (obgleich auch hier Schwankungen vorkamen), ungenügend in dem höchst wichtigen Soloquartett. Relativ am besten war die grandiose, überaus schwierige Schlussfuge herausgearbeitet, deren Wirkung sich die bis dahin etwas apathischen Hörer nicht entziehen konnten. Welche herzlichen Ovationen Bruckner persönlich empfing – von dessen Anwesenheit im Concerte man anfangs Nichts wusste –, wurde schon oben bemerkt. Im Ganzen schien dieser von Hrn. v. Perger geleiteten Aufführung des Bruckner'schen "Te Deum" jener unerschütterliche Glauben an die Sache, jene wahre Begeisterung zu fehlen, welche der Componist mir selbst gegenüber so sehr an dem Berliner Dirigenten, Hrn. Siegfried Ochs, rühmte. Wie mir auch von anderer Seite versichert wurde, wären die Aufführungen des "Te Deum" durch den Philharmonischen Chor in Berlin (1894 und schon früher) unter Siegfried Ochs' Leitung geradezu glänzender gewesen und hätten dem österreichischen Altmeister in der Deutschen Reichshauptstadt eine Popularität verschafft, wie er sie – etwa noch München ausgenommen – wohl sonst nirgends jenseits der schwarzgelben Grenzpfähle geniesst.
                               (Fortsetzung folgt.)" [Signatur am 3.9.1896: "Dr. Theodor Helm."].


Zitierhinweis:

Franz Scheder, Anton Bruckner Chronologie Datenbank, Eintrag Nr.: 189601235, URL: www.bruckner-online.at/ABCD-189601235
letzte Änderung: Sep 29, 2023, 9:09