zurück 1.2.1896, Samstag ID: 189602015

Die Österreichisch-Ungarische Musiker-Zeitung Nr. 3 bringt mehrere Kurzbiographien, darunter auch auf S. 14 eine von Bruckner:
"[.... Louis Köhler * 1820, Herrmann Ludwig Ferdinand Helmholz * 1821 ...].
     Anton Bruckner, geb. 4. September 1824 zu Ansfelden (Ober=Oesterreich) kam schon frühzeitig als Sängerknabe in das Stift St. Florian, wo er Clavier= Violin=  und Orgelunterricht genoß, wurde Volksschullehrer, nahm durch 8 Jahre bei Sechter in Wien Compositionsunterricht, wurde Stiftorganist in St. Florian, 1868 k. k. Hoforganist und Professor für Orgelspiel, Harmonie= und Contrapunktslehre am Conservatorium zu Wien und nebenbei noch Lehrer für Clavierspiel an der Wiener k. k. Bildungsanstalt für Lehrerinnen, welche Stelle er jedoch bald mit einem Lectorate an der k. k. Universität vertauschte. 1890 legte er aus Gesundheitsrücksichten seine Stelle am Conservatorium nieder und 1891 erhielt er von der Wiener Universität den Doctortitel. Im Jahre 1869 machte er als Orgelspieler eine Reise nach Frankreich und England, die ihm viel Ehre einbrachte. Er ist unbestritten einer der bedeutendsten Orgelspieler des 19. Jarhunderts [sic] und der hervorragendste unter den lebenden Symphonikern. Er schrieb: 8 Symphonien (1., 2. und 8. C-moll, 3. D-moll, 4. Es-dur, 5. B-dur, 6. A-dur, 7. E-dur), 3 Messen, 1 Streichoctett [sic], 1 Te deum, Männerchöre u. dgl.
     [... Jacob Offenbach * 1822, Josef Dachs * 1827 ...]." (*).

Die Österreichische Musik- und Theaterzeitung Nr. 12/13 (Faschingsnummer, redigiert von Arthur Barde) erwähnt auf S. 4 Bruckner in einem offensichtlich Hanslick gewidmeten Gedicht Arthur Bardes:
"               Nachruf
     für einen noch lebenden
       Wiener Musikkritiker.
Endlich hat der Mann hier auch in's Gras gebissen,
Bissig war er jederzeit, wie wir Alle wissen;
Hat mit grossen Worten stets nur betäubt die Massen,
An Verständniss, principiell, hat er's fehlen lassen.
Wagner, Bruckner, Kienzl auch wollt' er massakriren
Und mit einem Quentchen Hirn Meister kritisiren.
Auf das Unvergängliche spritzt er grüne Galle
Was ihm unverständlich ist, glaubt er, ist's für Alle.

Jetzund liegt er todt und kalt da wie seine Werke -
Bosheit schafft nichts, Bosheit ist keine geist'ge Stärke.
Einsam bleibt sein Grab bei Tag, keiner scheert sich d'rum.
Da der giftige Schwätzer ja lautlos jetzt und stumm. -
Nur bei mondenheller Nacht dort man sehen kann
Im Gebet versunken steh'n einen armen Mann.
Silberweiss das Haar, der Mund lispelt vor sich leise
Eine alte Melodie, eine süsse Weise:
„Selig sind, die Verfolgung leiden um der Gerechtigkeit willen.
Denn ihrer ist das Himmelreich.” (**a).

Auf Seite 6 ist Folgendes zu lesen:
   "Vermischtes.
   [...]
   * Ein hervorragender Wiener Kritiker beabsichtigt demnächst hier eine Fleischbank zu etabliren, in welcher die von ihm eigenhändig geschlachteten Componisten und Schriftsteller portionenweise zu „herabgesetzten Preisen” abgegeben werden. Wir machen jetzt schon unsere P. T. Leser hierauf aufmerksam, da es für Kunstgourmands zweifellos einen Leckerbissen bedeutet, wenn man alsdann einen „Schlögl” von Bruckner oder ein „Hinteres” von Ibsen spottbillig erstehen kann.
   * Die Herren Löwe und Schalk haben einem ehrenvollen Rufe in die Hinterbrühl Folge geleistet, um sich von der dortigen Brucknergemeinde anräuchern zu lassen. [... Simandl sei Vegetarier geworden ... die Lebensmittelpreise dürften nun sinken ...]" (**b).

In der Beilage berichtet auf Seite 10 Theodor Helm von der Aufführung des "Te deum"  am 12.1.1896:
"                        Wiener Concerte.
[...] 
    Zweites Gesellschaftsconcert. Nach vierjähriger Pause wurde im letzten Gesellschaftsconcert (12. Jänner) einmal wieder Bruckner's allgewaltiges, bereits weltberühmtes „Tedeum” aufgeführt. Der Eindruck der grossartigen Schöpfung [...] war wieder ein mächtiger, obgleich die Aufführung Einiges zu wünschen liess und sich das Werk auch nicht in der rechten Umgebung befand. [... Herbecks Orgelsymphonie wäre passender als die "Tanzmomente" gewesen, die eine Carnevalsstimmung erzeugten], von der dann der Uebergang zur künstlerischen Andacht für ein kirchliches Meisterwerk nur schwer zu finden war. Eine Dame im Parquet bemerkte sogar nach den „Tanzmomenten” ganz naiv: „Das war wirklich reizend! Wenn nur noch so ein lustiges Stück käme und nicht so ein langweiliges (sic!) „Tedeum”, das gehört doch nur in die Kirche, nicht in den Concertsaal und gar jetzt im Fasching, wo man doch lieber tanzt als betet!” Sprach's und verliess auch gleich darauf stolz den Saal. Was die Aufführung anbelangt, so litt sie vor Allem an der Unsicherheit des auch stimmlich (den führenden Sopran des Fräuleins Chotek ausgenommen) viel zu reizlosen Soloquartettes. Den äusserst wichtigen, vom Componisten herrlich bedachten Tenorpart sang Herr Dippel vom Hofoperntheater durchaus correct. Wie viel eindringlicher hätten aber diese inbrünstig frommen Bittgesänge aus dem Munde etwa seines Collegen Winkelmann gewirkt! Nach unserer Meinung sollte man überhaupt nur Solisten allerersten Ranges für Bruckner's „Tedeum” zu gewinnen suchen. Schon um der Schwierigkeit der Aufgabe willen, welche kaum viel geringer, als im Finale von Beethoven's neuenter Symphonie. Chor und Orchester waren von Herrn v. Perger gut studirt, so dass bis auf eine sehr bedenkliche Schwankung Alles klar herauskam und besonders die ebenso echt Bruckner'sche kühne, als meisterliche Polyphonie der grandiosen Schlussfuge in ziemlich deutlichen Umrissen hervortrat. Doch wünschten wir im Ganzen mehr Schwung, es schien jener Glauben, jene wahre Begeisterung für die Sache zu fehlen, durch welche der Berliner Dirigent, Herr Siegfried Ochs, an der Spitze des dortigen „Philharmonischen Chores” dem „Tedeum” in der deutschen Reichshauptstadt eine geradezu hinreissende Wirkung verschafft haben soll. Diese stellte sich neulich in Wien erst bei dem unmittelbaren, allerdings überwältigend glanzvollen Schlusse des Werkes ein. Nicht endenwollender Beifallssturm dankte dem greisen Schöpfer dieser hehren Festklänge, als man seiner - wie im philharmonischen Concert - wieder auf seinem bescheidenen Plätzchen im Hintergrunde einer Parterreloge ansichtig wurde. [... über Mottls Rameau-Bearbeitung und die Brahmsschen Chöre ...]    Theodor Helm." (**c).
 


Zitierhinweis:

Franz Scheder, Anton Bruckner Chronologie Datenbank, Eintrag Nr.: 189602015, URL: www.bruckner-online.at/ABCD-189602015
letzte Änderung: Mai 16, 2024, 7:07